Optimal gefedert und gebremst
Ein Familienunternehmen in Staßfurt zählt zu den Hidden Champions aus Sachsen-Anhalt
Die Bischoff Federnwerk und Nutzfahrzeugteile GmbH in Staßfurt zählt nicht nur in Deutschland zu den Top-Adressen unter den Herstellern und Instandsetzern warmverformter Blatt- und Parabelfedern in Mittel- und Kleinserien. Mit innovativen Industriebremsen sorgt auch eine Ausgründung aus dem Familienunternehmen für einen guten Ruf des Industriestandortes Sachsen-Anhalt.
Die Bischoff Federnwerk und Nutzfahrzeugteile GmbH in Staßfurt ist auf dem Gebiet der Blattfederherstellung seit vielen Jahren breit aufgestellt, um den diversen Anforderungen des globalen Marktes gerecht zu werden. „Wir produzieren warmverformte Blattfedern und Parabelfedern vorrangig für Bahn- und Nutzfahrzeuge sowie für landwirtschaftliche Maschinen“, sagt der Geschäftsführer Hartmut Bischoff. Hauptabnehmer für die in Serie produzierten Blattfedern sind Unternehmen in Europa wie die Deutsche Bahn, die österreichische Staatsbahn, die Schweizer Bundesbahnen und diverse weitere Regionalbahnen im In- und Ausland. Alle dafür erforderlichen Produktqualifizierungsrichtlinien, wie die ISO 9001, das Q1 Zertifikat der Deutsche Bahn AG sowie die HPQ und der IRIS für die weltweite Zertifizierung als Bahnzulieferer, erfüllt das mittelständische Unternehmen aus Sachsen-Anhalt..
In Deutschland und zukünftig auch in den angrenzenden, östlichen Nachbarländern ist das Unternehmen aus Staßfurt zudem Erstausrüster für alle Federteile des mitteldeutschen Fahrzeugherstellers Multicar (heute Hako GmbH).
Unlängst hat das Bischoff Federnwerk mit seinen Stahl-Produkten einen ganz neuen Einsatzbereich erschlossen, der außerhalb des Mobilitätssektors liegt. „In Großserie produzieren wir spezielle Blattfedern für einen schweizer Sitzmöbelhersteller“, sagt Geschäftsführer Hartmut Bischoff, und deutet dabei auf einen großen Stapel glänzender Stahlteile, die ergonomisch geformt sind. Die maßgeschneiderten Stahlfedern verleihen der Rückenlehne von Stühlen eine einzigartige Elastizität, die entlastend auf die Wirbelsäule wirkt..
Aktuell verarbeitet das Staßfurter Familienunternehmen pro Jahr rund 2.000 Tonnen Stahl, davon etwa 500 Tonnen Stahl für Aufarbeitungen, und etwa 250 verschiedene Federstahlsorten. Von ehemals acht Beschäftigten im Jahr 1990 stieg die Mitarbeiterzahl auf mittlerweile 115 Frauen und Männer. Die Fertigung am Firmensitz in Staßfurt wurde auf derzeit 8.000 Quadratmeter Produktionsfläche ausgebaut. Schon ab dem nächsten Jahr soll die Produktionskapazität durch Inbetriebnahme von neuen Fertigungsanlagen für warmgeformte Blatt- und Parabelfedern nahezu verdoppelt werden. An der Installation der Anlagen im Finanzvolumen von 4,6 Millionen Euro hat sich das Land Sachsen-Anhalt mit einer Förderung von 1,15 Millionen Euro beteiligt. Den überwiegenden Rest trägt die Bischoff Federnwerk und Nutzfahrzeugteile GmbH bei.
„Die neuen, teilautomatischen Fertigungsstrecken werden körperlich anspruchsvolle Arbeiten ersetzen", sagt der Geschäftsführer Hartmut Bischoff: Zu Entlassungen von Firmenmitarbeitern sollen die automatischen Produktionsstrecken aber dennoch nicht führen. Der Grund für diesen Optimismus: Das handwerkliche Können der Mitarbeiter des Unternehmen sind gefragt – insbesondere auf dem Gebiet von Spezialanfertigungen nach Muster oder Zeichnung sowie der Wiederaufbereitung von Federn für Oldtimer.
Besonders stolz sind die Staßfurter darauf, an der Rekonstruktion der ersten deutschen Dampflok „Adler“ mitgewirkt zu haben. Bis auf den großen Dampfkessel gingen in der Vergangenheit leider die meisten Bauteile des „Urvaters aller deutschen Dampflokomotiven“ verloren. Zum Glück blieben viele Originalbauzeichnungen erhalten. Darauf aufbauend konnte das Staßfurter Federnwerk eine getreue Nachbildung des Originals der großen Blattfedern der Dampflokomotive „Adler“ herstellen.
Außerdem fertigten die Mitarbeiter des Unternehmens aus Sachsen-Anhalt maßgeschneiderte Blattferdern für einen Mercedes-Benz-Rennwagen aus den 1920er Jahren, der heute im deutschen Verkehrsmuseumuseum in Sinsheim präsentiert wird. Diese und weitere Projekte machten das Staßfurter Unternehmen inzwischen auch unter Oldtimer-Fans weltweit bekannt und zu einem der Hidden Champions aus Sachsen-Anhalt.
Zugleich setzt das Unternehmen seit vielen Generationen auch immer wieder auf neue technische Innovationen. So entwickelten die Mitarbeiter energiesparende und verschleißarme Bremssysteme für die Industrie und für den Fahrzeugbau. Mit kleinen, kompakt gebauten elektromagnetischen Bremsen gewann das Unternehmen vor knapp einem Jahrzehnt (2008) auf der Hannovermesse den Industriepreis in der Kategorie Antriebstechnik. Die inzwischen zum weltweiten Patent angemeldete Bremse zeichnet sich vor allem durch Optimierung des Abriebs, durch variable Anpresskräfte sowie eine einfache Wartung aus.
Weltweit besteht daran Interesse. Einen Einsatz fand die in Sachsen-Anhalt entwickelte Bremse unter anderem bereits in einer Schienenbahn, die zwei Stadtteile in der chinesischen Sonderverwaltungsregion Macao verbindet. Einsetzbar sind die innovativen Bremssysteme aus Sachsen-Anhalt beispielsweise auch in on- und offshore-Windenergieanlagen oder als Notstoppsysteme in Achterbahnen. Weil die in Staßfurt entwickelten Bremssysteme keine zusätzliche Hydraulik, Kompressoren oder Ölpumpen erfordern, sind auch optimal für den Einsatz in Fertigungsstrecken von Medizinprodukten geeignet. Der Bereich Industriebremsen wurde aus dem Familienunternehmen ausgeliedert und wird als eigenständige „Bischoff Industriebremsen GmbH” geführt.
Autor: Uwe Seidenfaden