Sensibilisierung für den nachhaltigen Wandel

Magdeburger Wissenschaftler*innen analysieren Rahmenbedingungen für die Bioökonomie

Politikwissenschaftler*innen der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und der Fern-Universität in Hagen haben in einer großangelegten Studie von 2017 bis jetzt untersucht, welche politischen Prozesse zu einer biobasierten Volkswirtschaft führen. Der Endbericht zum Verbundprojekt „Bio-Ökopoli“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, soll im Oktober veröffentlicht werden.

Das Wissenschaftsjahr 2020/21 widmet sich dem Thema Bioökonomie und globalen Herausforderungen. Passend dazu spricht Prof. Dr. Michael Böcher vom Magdeburger Institut für Gesellschaftswissenschaften im Interview über Herausforderungen, die sich durch politische Konflikte ergeben – z. B. zwischen wirtschaftlichen Interessen und Umweltschutzbelangen. Der sachsen-anhaltische Wissenschaftler ermutigt jedoch auch dazu, die Potenziale der Bioökonomie zu nutzen.

Sie haben die Steuerung regionaler und europaweiter bioökonomischer Prozesse untersucht. Wie sieht sie denn Ihrer Sicht aus, die ideale Bioökonomie-Politik?

Prof. Dr. Michael Böcher: Die ideale Bioökonomiepolitik sollte verschiedene Aspekte austarieren und zu einer optimalen Nutzung der Bioökonomie führen – aber nicht Bioökonomie um jeden Preis wollen. Nachhaltigkeitsaspekte sollten dabei berücksichtigt werden. Artenvielfalt und Naturschutz dürfen durch die Bioökonomie nicht noch weiter gefährdet werden.

Wenn Sie über fehlende gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Prozesse und Kompromisse sprechen, ist Ihre Basis dann, dass die Bioökonomie unverzichtbar ist?

Es entsteht für Außenstehende vielleicht der Eindruck, dass wir die Bioökonomie infrage stellen, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Ich denke, dass die Bioökonomie einen großen Beitrag leisten kann für ressourcenschonendere Produktionsweisen, die beispielsweise positive Effekte für den Klimaschutz hervorbringen. Bestimmte Verfahren haben ein sehr hohes Innovationspotenzial. In der Bioökonomie gibt es sehr faszinierende technologische Verfahren, die zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise führen können. Aber ich sehe auch, dass es Grenzen gibt, Konflikte vorhanden sind bei der Flächennutzung, beim Naturschutz, in Bezug auf Interessen der Verbraucher*innen. Die politischen Rahmenbedingungen müssen stimmen, diesen Fakt stellen wir in unseren Analysen und Forschungen heraus, um die Branche zukunftsfähig zu etablieren.

Welche wesentlichen Konflikte sehen Sie bei der Erreichung bioökonomischer Ziele?

Es gibt ein sehr großes Konfliktpotenzial bei der Frage, woher die Biomasse kommen soll, wenn wir unsere Wirtschaft mit allen Teilbereichen jeder einzelnen Wertschöpfungskette umstellen auf nachwachsende Rohstoffe. Für sehr viel Biomasse benötigen wir sehr viele Anbauflächen. Eine Monokultur steht jedoch im Widerspruch zu artenreichen Landschaften und führt zum Konflikt mit der landwirtschaftlichen Produktion oder Naturschutz-Ansprüchen. Es gibt also verschiedene Interessen und nur eine begrenzte Anzahl von Flächen. Derzeit ist leider häufig ein Ausweg, Biomasse zu importieren, also die Konflikte auf andere Länder zu verlagern. Das ist aber bei knapper werdenden Ressourcen und Nutzflächen, bei parallel dazu ansteigender Weltbevölkerung, Klimawandel und Rückgang der Arten – den globalen Herausforderungen – keine Lösung. Bioökonomie darf nicht nur regional und national, sondern muss auch immer mit ihren überregionalen und globalen Konsequenzen betrachtet werden.

Wie könnten zunächst Teilbereiche zügig und sinnvoll verändert werden?

Die Politik muss Prioritäten setzen. Beispielhaft ist die Diskussion, die im Bereich der Bio-Energie geführt wurde. Es gab einen Hype, möglichst viel Bio-Energie aus Holz zu erzeugen. Dann hat sich die Industrie zu Wort gemeldet. Die Hersteller wollten aus gutem Holz ihre hochwertigen Produkte machen und den Rohstoff möglichst nicht für Energiegewinnung verbrennen. Aus diesem Konflikt ist die Befürwortung einer Kaskaden-Nutzung entstanden. Für die Energienutzung werden Reststoffe einsetzt, die bei der Produktion ohnehin nicht zu verwerten sind. Solche Diskussionen müssen einfach geführt werden.

Ein Ergebnis Ihrer Studie sollte sein, beispielhaft universitäre Angebote zu schaffen, um für politische und gesellschaftliche Konflikte im Bereich der Bioökonomie zu sensibilisieren. Was ist daraus geworden?

Wir haben mit der Fern-Uni Hagen ein Online-Seminar zur Bioökonomie-Politik entwickelt, das seit Beginn des aktuellen Sommersemesters auch an der Magdeburger Universität eingesetzt wurde, obwohl sie eigentlich eine Präsenzuni ist. Als die Corona-Pandemie begann, hatten wir praktischerweise das passende Lehrformat entwickelt und konnten damit arbeiten. Wir konnten die Studierenden dafür sensibilisieren, dass sehr viele Politikbereiche berührt werden. Bioökonomie-Politik hat Schnittstellen zur Agrar-, Wirtschafts-, Technologie, Klima-, Umwelt- und Naturschutzpolitik und zum Verbraucherschutz.

Wie schätzen Sie die Voraussetzungen zur Etablierung einer nachhaltigen Bioökonomie:  in Sachsen-Anhalt ein?

Bioökonomie ist für Sachsen-Anhalt wichtig, und die Forschungslandschaft ist hier sehr gut aufgestellt. Ich befürworte sehr, dass es bei uns einen BioEconomy Cluster gibt, der von Bund und Land gefördert wird. Ein wichtiges Signal ist auch, dass die Landesregierung in ihrer Regionalen Innovationsstrategie festgeschrieben hat, dass Chemie und Bioökonomie zu den regionalen Leitmärkten gehören. Ein Signal für die Zukunft ist auch, dass Bundestag und Bundesrat am 3. Juli den Gesetzen zum Kohleausstieg und zur Strukturstärkung der vom Kohleausstieg betroffenen Regionen zugestimmt haben. Zu den wichtigsten Projekten gehört in Sachsen-Anhalt dabei der Aufbau eines BioEconomy Hubs als Zentrum für nachhaltige Chemie in Mitteldeutschland. Regionale Strukturmittel für den Kohleausstieg sollen hier in eine Maßnahme fließen, die Forschung sowie größere und kleinere Unternehmen rund um den Cluster und den Hub bündelt. Das ist wichtig, um Sachsen-Anhalt weiter zukunftsfähig zu machen. Wirtschaftliche Entwicklungen brauchen Innovationen, wenn man in Sachsen-Anhalt auf solche Innovationsbereiche setzt, kann das befördern, dass sich noch mehr Unternehmen ansiedeln und Arbeitsplätze geschaffen werden.

In der aktuellen Diskussion ist derzeit auch der europäische „Grüne Deal“. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Der Green Deal der EU ist grundsätzlich begrüßenswert, weil klar gefasst wurde, dass Europa als erster Kontinent klimaneutral werden soll. Es bleibt abzuwarten, wie das von den einzelnen Staaten umgesetzt wird. Ich finde aber bemerkenswert, dass die Europäische Kommission ihren Green Deal genau jetzt platziert hat, um Maßnahmen des Klima- und Umweltschutzes zu betreiben – wo gerade Strukturmaßnahmen greifen, um die negativen Wirkungen der Pandemie zu überwinden. Die Wirtschaftsförderung infolge der Pandemie wird nicht gegen den Klimaschutz ausgespielt, sondern es wird klar gesagt, dass wir diesen Green Deal brauchen gerade wegen der Pandemie. Das Zeichen ist: Wir wollen solche Wirtschaftsförderungen nicht auf Kosten der Umwelt beschließen, sondern verbinden sie mit dem Klimaschutz.

Autorin: Manuela Bock/IMG Sachsen-Anhalt

www.ovgu.de
www.bio-oekopoli.de


Zukunftsfähiges Wirtschaften erfordert verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen. In Sachsen-Anhalt wird dies gelebt: Gut die Hälfte des im Land erzeugten Stroms hat seinen Ursprung in den Erneuerbaren Energien. 

HIER haben wir die Kreisläufe der Natur verstanden, denken bioökonomisch und setzen so Maßstäbe.

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