Bioökonomie schafft neue Berufe und Geschäftsfelder

Das mitteldeutsche BioEconomy-Cluster hat nachhaltige Nutzung von Biomasse im Fokus

„Bioökonomisch zu denken heißt, die Kreisläufe der Natur zu kennen und für die Wirtschaft im Sinne von Umwelt- und Ressourcenschutz zu nutzen“, sagt Matthias Zscheile. Vor über zehn Jahren war er Gründungsmitglied des mitteldeutschen Clusters BioEconomy und ist inzwischen Geschäftsführer des Clustermanagements. Als Kernaufgabe sieht das Cluster die Entwicklung und Anwendung von Technologien zur nachhaltigen Nutzung biobasierter Rohstoffe, allen voran von Holz.

Steg Nummer 5 an der Saalepromenade im sachsen-anhaltischen Halle ist seit Mitte Juni belegt. Als neue Attraktion unter der Flagge der Bioökonomie liegt hier die „Make Science Halle“ vor Anker, Deutschlands erstes Bürgerforschungsschiff. Simon Grambau mixt einen Begrüßungstrank aus Algen. Er engagiert sich im Verein Science2public, der das Wissenschaftsschiff betreibt und im Wissenschaftsjahr 2020/21 dabei vom Bundesforschungsministerium, vom Landes Sachsen-Anhalt und von der Fraunhofer Gesellschaft gefördert wird. Grambau und weitere Studierende der vier an der Saale gelegenen Partnerhochschulen betreuen Forschungsstationen und Veranstaltungen zur aktiven Mitforschung unter dem großen Thema „Blaue Bioökonomie“. Mehr noch: Die „Bürgerforschungen“ finden Eingang in studentische Arbeiten der Partnerhochschulen Merseburg und Anhalt, der Kunsthochschule Burg Giebichenstein und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Neue Lagertechnologien für Holz

Clustermanager Zscheile sieht sich hier auf dem Schiff in seinem Standpunkt einmal mehr bestätigt, dass die bioökonomische Zukunft ganz neue Berufe braucht. Zscheile ist Professor an der Fakultät für Holztechnik und Bau der Technischen Hochschule Rosenheim. Der gebürtige Sachsen-Anhalter wuchs in einem familienbetriebenen Sägewerk in Stolberg im Südharz auf. Wenn er heute durch den Harz fährt, sieht er große Mengen geschlagenen Holzes auf den Abtransport warten. „Wir brauchen neue Technologien, die es erlauben, Holz über einen längeren Zeitraum unbeschadet zu lagern“, sagt der Fachmann und das mittels modernster Verfahren Holz zu ungeahnten innovativen Produkten verarbeitet werden könne. Zscheile hält den Zukunftssektor Bioökonomie für äußerst innovationsfähig. In dem mitteldeutschen BioEconomy-Cluster sind derzeit an die 60 Partner vernetzt, etwa das Zellstoffwerk Stendal, die Südzucker AG, DOMO Chemicals in Leuna und das Folienwerk Wolfen; noch sehr junge Unternehmen sind u.a. die timura Holzmanufaktur in Rottleberode und das GreenTech-Unternehmen C3 Technologies in Halle (Saale). Aus der Wissenschaft kommen die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Fraunhofer-Gesellschaft sowie das Deutsche Biomasseforschungszentrum in Leipzig, das Helmholtz Umweltforschungszentrums sowie die Technische Universität Dresden und die Technische Hochschule Rosenheim. Sie alle haben die Profilierung Mitteldeutschlands zur europäischen Modellregion für Bioökonomie im Blick.

Pilotprojekte und Demonstrationsanlagen

Bioökonomie als ein Zukunftszweig der Wirtschaft umfasse alle Sektoren, die biologische Ressourcen verarbeiten und nachhaltig nutzen, sagt Matthias Zscheile. Sachsen-Anhalt habe da eine breite Branchenaufstellung zu bieten. Von der Chemie- und Kunststoff- sowie Papier- und Zellstoffindustrie über die Land-, Forst- und Energiewirtschaft bis zum Maschinen- und Anlagenbau und zur Logistik könnte eine branchenübergreifende bioökonomische Wertschöpfungskette geschaffen werden. Ebenso gut weiß der Clustermanager, dass es für die kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht so einfach ist, bioökonomisches Denken und Handeln in Einklang zu bringen. „Darum schaffen wir Pilotprojekte und Demonstrationsanlagen, die eindrücklich zeigen, dass nachhaltige Bioökonomie neue Geschäftsfelder erschließen kann, mit denen sich Geld verdienen lässt“, sagt Zscheile und erwähnt ausdrücklich die Unterstützung von Start-ups, die eine bioökonomische Gründungsidee entwickeln und industriell umsetzen wollen.

Seine technologischen Kompetenzen sieht das BioEconomy-Cluster zum einen in der Weiterverarbeitung von chemischen Grundstoffen. An einer Demonstrationsanlage in Leuna können Partner aus Forschung und Industrie biotechnologische und chemische Prozesse zur Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe bis zum marktfähigen Produkt entwickeln.

Auch die Aufbereitung und werkstoffliche Verwertung des Rohstoffes Holz hat das Cluster im Fokus. In Leuna entsteht ein Bioökonomie Hub zur Entwicklung und Demonstration verschiedener Bioraffinerieverfahren z.B. zur Gewinnung von Basischemikalien aus Holz. Im  Projekt HyAlt4Chem wird eine industriell anwendbare Hydrolyse für Altholz entwickelt, bei der Polysaccharide in Fermentationszucker umgewandelt werden. Aus diesem Basisstoff lassen sich hochwertige Chemikalien u.a. zur Herstellung von Bio-Kunststoffen herstellen.

Explizit für die vom Kohleausstieg betroffene Region Mansfeld-Südharz sei die Bioökonomie ein aussichtsreicher Weg in den Strukturwandel, prognostiziert Matthias Zscheile. Das zukunftsträchtige Potenzial des Rohstoffes Holz könne hier Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen. So werde im Südharz ein Innovationshub „Zukunft Holz“ entstehen, der die klein- und mittelständischen Holzbe- und -verarbeiter Sachsen-Anhalts vielfältig fördern soll.

EU-Regionen entwickeln Bioökonomiestrategie

Torsten Schmidt-Baum vom Deutschen Biomasseforschungszentrum Leipzig kann das nur bekräftigen. Im europaweiten Projekt POWER4BIO entwickelt das DBFZ gemeinsam mit Partner-Regionen Konzepte für deren strukturellen Übergang zu Bioökonomie-Region. „Wir entwickeln Methoden und einen Leitfaden zur fachlichen Qualifikation der Akteure in der Region, wir unterstützen die Entwicklung einer regionalen Bioökonomiestrategie und den Wissenstransfer über regionale Grenzen hinweg“, sagt Schmidt-Baum. Er kommt auf einen Katalog zu sprechen, der tragbare Geschäftsmodelle vorstellt. So könne zum Beispiel aus nicht verwerteter Milch eine Milchfaser gewonnen werden, die sich zur Herstellung von Hygienepapier, von Taschen und Kleidung eignet;  aus Molke ließe sich ein Biokunststoff etwa für Einwegtüten herstellen.

Zu den Regionen, die derzeit in das europäische Netzwerk eingebunden sind, zählen neben Mitteldeutschland und Bayern unter anderem Andalusien, Mazovia, Flandern, Südböhmen und italienische Regionen. Was die Erschließung neuer Märkte für Biomasse betrifft, habe Sachsen-Anhalt exzellente Voraussetzungen, bekräftigt Schmidt-Baum. Mit geübtem Blick sieht er auch hier auf dem Wissenschaftsschiff Potenziale für neue Best-Practice-Beispiele. In Algenreaktoren blubbert ein grünes Substrat. Mikroalgen gelten als Multitalente. Sie können die Basis für Treib – und Werkstoffe sein und für vitaminreiche kulinarische Kreationen. Simon Grambau berichtet von der Zusammenarbeit mit dem Algenkompetenzzentrum der Hochschule Anhalt, und vor Torsten Schmidt-Baum tut sich eine Fundgrube für neue Geschäftsmodelle auf.

Autorin: Kathrain Graubaum/IMG Sachsen-Anhalt

www.bioeconomy.de


Sachsen-Anhalt: Aufbau eines BioEconomy Hubs als Zentrum für nachhaltige Chemie in Mitteldeutschland

Der Bundestag und Bundesrat haben am 3. Juli den Gesetzen zum Kohleausstieg und zur Strukturstärkung der vom Kohleausstieg betroffenen Regionen zugestimmt. Zu den wichtigsten Projekten in Sachsen-Anhalt gehört der Aufbau eines BioEconomy Hubs als Zentrum für nachhaltige Chemie in Mitteldeutschland.

Der BioEconomy e. V. und die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt hatten im Vorfeld ein Projekt zur Etablierung der Modellregion BioÖkonomie entwickelt und den BioEconomy Hub als zentralen Knotenpunkt der Bioökonomie in Leuna definiert. Mit der Verabschiedung des Strukturfördergesetzes wurde der Grundstein gelegt zur Stärkung der mitteldeutschen Region, heißt es aus dem Cluster.

Der geplante BioEconomy Hub wird industrietaugliche Anlagen und Personal für den projektebetriebenen Betrieb biotechnischer Verfahren an einem Industriestandort bereitstellen. Start-Ups und junge Unternehmen der Bioökonomie sollen damit unterstützt werden, Märkte zu erobern und Technologien bis zur industriellen Reife zu entwickeln. 


Zukunftsfähiges Wirtschaften erfordert verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen. In Sachsen-Anhalt wird dies gelebt: Gut die Hälfte des im Land erzeugten Stroms hat seinen Ursprung in den Erneuerbaren Energien. 

HIER haben wir die Kreisläufe der Natur verstanden, denken bioökonomisch und setzen so Maßstäbe.

> Erfahren Sie mehr über Bioökonomie in Sachsen-Anhalt.

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