Stroh mit Köpfchen

Ein Startup entwickelt ein Bauteilsystem zur Vereinfachung des Strohballen-Hausbaus

Die Bioökonomie erobert den Alltag und die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt. Im Zuge des Strukturwandels entwickelt sich das Bundesland dabei zur Modellregion. Neben Know-how, Erfahrungen und etablierten Unternehmen zählt noch eins: der Mut, Visionen umzusetzen und damit das wachsende Interesse an biobasierten und nachhaltigen Produkten weiter zu befördern. Werner Ehrich gehört zu den Menschen, die Nachhaltigkeit ernst nehmen und Ideen am Schopfe packen. Der Weißenfelser will ein Unternehmen gründen, das den Bau von Strohballenhäusern vereinfacht.

Die Grund-Idee ist nicht neu: Vor mehr als 130 Jahren haben Wanderarbeiter in Nebraska aus Mangel an Holz Strohballen wie Ziegelsteine zum Wandaufbau eingesetzt. Das älteste Strohballenhaus Europas in Frankreich kann immerhin auf eine 100-jährige Geschichte verweisen. Was lange in Vergessenheit geraten war, erlebt heute eine Renaissance. Etwa 400 Strohballenhäuser gibt es laut Fachverband Strohballenbau Deutschland e. V. - Tendenz steigend. Auf die Frage „Warum?“ hat Werner Ehrich viele Antworten parat: „Stroh ist ein natürlich nachwachsender Rohstoff mit sehr guten Dämmwerten und einer unschlagbaren niedrigen Herstellungsenergie.“ Dazu käme eine CO2-Bilanz, die unter den herkömmlichen Baumaterialien ihresgleichen sucht: Stroh in Verbindung mit Holz bindet das Treibhausgas und kann damit zum Klimaschutz beitragen. Eine Tonne Stroh bindet 1,5 Tonnen CO2. Das ist der CO2-Ausstoß von gut 7.000 Kilometern Fahrt eines Mittelklasse-Pkw. Allein – es ist nicht ganz einfach, ein Haus mit Strohballen zu bauen. Und hier kommt der Sachsen-Anhalter mit seiner Idee ins Spiel. Traditionell wird bei der Sanierung von Häusern oder beim Neubau mit kleinen Strohballen gearbeitet. Diese werden in ein Stützgerüst gedrückt und verdichtet bzw. gepresst und anschließend verputzt oder verkleidet. In der Bauphase allerdings sollte es nicht regnen, denn das tut dem Stroh nicht gut.

Mehr als 15 Jahre hat sich Werner Ehrich, der seit mehr als 25 Jahren Inhaber eines ökologischen Architekturbüros ist, mit dem Strohballen-Bau beschäftigt und unzählige Erfahrungen in der Altbausanierung gesammelt. Als Zimmermann und Diplom- Ingenieur für Architektur kennt er den Markt und weiß auch um die Möglichkeiten, Montage-Systeme einzusetzen. Für ihn stand fest: „Das kann man besser machen.“ Der Weißenfelser sah auf den Äckern der Region die großen Strohballen liegen und dachte: „Die sind ideal, die müsste man einsetzen.“

Bindemittel und Zusätze beim Material sind tabu.

Darum entwarf der Ökoplaner, der die Überzeugung pflegt, dass „alles in der Natur mit in sich selbst stabilisierenden Kreisläufen funktioniert“, am Reißbrett sein Rahmensystem als Großbauteil für die großen Strohballen. Passgenau, verdichtet, hochwärmedämmend, tragfähig und rückbaubar  besteht es aus Holz und Stroh, Bindemittel und Zusätze sind tabu. Beim Bau wird nahezu null Energie verbraucht. Dieses „Stroh mit Rahmen“ ist inzwischen patentiert und hat Interesse geweckt – zum Beispiel bei einem jungen Bauingenieur und kreativem Kopf aus Halle (Saale), der derzeit an seinem Abschluss zum „Master of Engineering“ arbeitet. Der hörte bei einem Treff des „Bauzirkel Leipzig“, einer Gruppe, die sich dem Cradle-to-Cradle- Ansatz für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft verschrieben hat, durch Werner Ehrich vom Großbauteil mit Strohinhalt. Gewachsen ist daraus das Vorhaben, Anfang 2022 ein Unternehmen in Weißenfels zu gründen mit dem Arbeitstitel „Stroh mit Köpfchen“.

Unterstützung durch den „Weinberg Campus Accelerator“

Unterstützung erhält das Duo durch den „Weinberg Campus Accelerator“ des Technologieparks Weinberg Campus in Halle (Saale), einem Beschleunigungsprogramm für Neugründungen in den Branchen Biomedical & Life Sciences, Greentech, Bioeconomy und New Materials. Mit dem „Startup-Accelerator“ bekommt das gründungswillige Zweier-Team Know-how für die Selbstständigkeit, Kontakte zu wichtigen Netzwerken und lernt bei Coachings, worauf es in den nächsten Monaten ankommt. „Wenn man wenig Erfahrungen im Aufbau von Unternehmen hat, ist so etwas sehr wichtig“, sagt Werner Ehrich, der die nächsten Schritte zum Startup bereits gegangen ist. Einen Prototyp hat er gebaut und Interessenten noch interessierter gemacht. Im Herbst soll ein erstes Musterhaus in Weißenfels entstehen. Geplant ist, mit dem Startup in einer Halle in die serielle Vorfertigung zu gehen, um damit schnell und witterungsunabhängig zu arbeiten. Jetzt sucht er Technik zum Verdichten des Strohs und zum Bewegen der Bauteile. Eins wiegt immerhin um die 200 Kilogramm, ist 2,50 bis 3,20 Meter hoch und 1,25 Meter breit. „Es wäre schön, wenn wir hierfür noch finanzielle Unterstützung erhalten könnten“, sagt der angehende Unternehmensgründer. Noch wird das Stroh auf seinem Hof mit der Hand verdichtet. Geliefert wird es von einer Agrargenossenschaft im nahegelegenen Bad Dürrenberg. „Zu den Vorteilen gehört, dass Stroh als Abfallprodukt der Landwirtschaft fast überall regional verfügbar ist“, sagt Ehrich. Er ist auch überzeugt davon, dass die Stroh-Variante „die beste Möglichkeit ist, Häuser zu bauen“, und zwar jeglicher Art, vom Bürogebäude über öffentliche Gebäude wie Kitas bis zu Gewerbebauten.

Anwendungsbeispiele vom Strohballenchalet bis zum Dreigeschösser

Dass es funktioniert, haben nicht nur die Arbeiter in Nebraska bewiesen. Auch in Leipzig-Lindenau sind unter Anleitung von Werner Ehrich Strohballenhäuser gebaut worden. In Großjena bei Naumburg wurde mit Holz, Lehm und Stroh ein Strohballen-Chalet mit historischem Gewölbekeller projektiert. Ein weiteres Beispiel in Sachsen-Anhalt ist das dreigeschossige Mehrfamilienhaus im Ökodorf Sieben Linden in der altmärkischen Gemeinde Beetzendorf. Werner Ehrich hat dort beim ersten Strohballenhaus mitgebaut. Er verweist auch auf historische Häuser und nennt sie „frühe Ökohäuser“, weil sie dank der eingesetzten Baumaterialien Holz, Stroh und Lehm fast „vollständig rückbaubar“ sind. Die meisten haben sehr viele Jahre überdauert, denn entgegen der noch landläufigen Meinung halten Gebäude, die mit Lehm und Stroh gedämmt wurden, sehr lange.

Was die Baumeister von einst noch nicht nutzen konnten, war die Montagebauweise im großen Stil. Die möchte nun das neue sachsen-anhaltische Startup bald liefern. „Wir bieten im Prinzip riesige Strohsteine an“, so Ehrich. Ihre Stärken sind individuell anpassbar, sie sind raumhoch, einfach zu montieren und kommen ohne Stützgestell aus. Weil er immer wieder danach gefragt wird, ergänzt Ehrich: „Mäuse lockt das Stroh nicht an. Die gehen nur dorthin, wo noch Kornreste zu finden sind. Dank der neuen Mähdrescher-Generation gibt es die aber nicht mehr.“ Sein patentiertes Stroh-Holz-System hat für Werner Ehrich „nur Vorteile“. Er sagt: „Nachhaltig zu bauen, bedeutet, den Klimaschutz praktisch in die Hand zu nehmen. Die Zukunft liegt mit dem Stroh fast überall vor unseren Füßen.“

Autorin: Manuela Bock/IMG Sachsen-Anhalt


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