Sonnige Aussichten für ein Recycling-Startup

Es ist nur noch eine Frage der Zeit. In zwei Jahren endet für die ersten Solarmodule aus den frühen 90er Jahren die prognostizierte technische Lebensdauer. Nach 20 bis 30 Jahren müssen die Anlagen aus der „Boom-Zeit“ der deutschen Solarindustrie in großem Stil ausgetauscht werden. Ein junges Unternehmen aus Sachsen-Anhalt bereitet sich darauf vor und präsentiert eine Lösung, mit der nicht nur Elektroschrott vermieden, sondern auch die Umwelt geschont werden kann.

In der Halle auf dem Health and IT-Campus (HIT) in Magdeburg hat die Zukunft bereits begonnen. Hier arbeitet die erste Anlage von „Solar Materials“. Noch ist es eine Versuchsanlage. Und noch kommen nicht massenweise Solarmodule vor den Toren an. Die Betonung liegt auf „noch“. Denn längst sind wichtige Weichen dafür gestellt, dass sich hier bald einiges ändern wird. Fridolin Franke, Jan Bargel und Dr. Jan-Philipp Mai haben eine Technologie entwickelt, mit der sich Solaranlagen nahezu komplett recyceln lassen. Was die Entwicklung besonders macht: Es lassen sich neben dem hochwertigen Solarglas und Aluminium insbesondere Silizium und das wertvolle Silber zurückgewinnen – Rohstoffe, die bisher oft einfach verlorengehen. „Das Verfahren wird damit selbst wirtschaftlich tragfähig“, sagt Ideengeber und Mitgründer Dr. Jan-Philipp Mai. Dass sich Wirtschaftlichkeit und Ökologie nicht ausschließen, zeigt auch ein Blick auf die Gesamtbilanz: Werden die recycelten Rohstoffe weiter verarbeitet, benötigen sie etwa 80 Prozent weniger Energie als bei ihrer ersten Bereitstellung.

Wie funktioniert diese neue Technologie der Magdeburger Jung-Unternehmer? „Wir nutzen einen thermomechanischen Prozess“, erklärt Mai. „Mit einfachem Schreddern und Sortieren hat das bei uns nichts zu tun. Wir sind in der Lage, die verbindende Kunststoffschicht zielgenau anzugreifen, lösen mit Wärme den Verbund auf, dann können wir das Deckglas entfernen und gelangen an die aufgedruckten Silberbahnen auf den Solarzellen sowie die Zelle selbst.“ Diese könnten dann direkt in die Industrie zurückfließen, selbst Plastik und Kabel würden wiederverwendet, so der Mit-Gründer. Es bleibt also nicht viel übrig von dem, was vorn in die Anlage hineinkommt.

 

Solar-Module werden nahezu komplett recycelt

Damit liefert das sachsen-anhaltische Startup Lösungen für eine Zeit, die geprägt ist vom globalen Anstieg der Rohstoffpreise und der Erkenntnis, dass etwas für den Klimaschutz getan werden muss. Mit dem „Green Deal“ hat die Europäische Union 2019 ein Programm für mehr Klima- und Umweltschutz aufgelegt, in dessen Zentrum der Kreislaufwirtschaft eine Führungsrolle zukommt. Mehr „Kreislauf“ als bei der Technologie von „Solar Materials“ geht kaum. Was in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt künftig in Massen auseinandergebaut wird, soll fast ausnahmslos als Rohstoff zurück in die Industrie gehen. Die drei Gründer zweifeln nicht an ihrem Plan und legen ein hohes Tempo vor.

Vor drei Jahren kreuzten sich die Wege der damaligen Absolventen und des Ideengebers Dr. Jan-Philipp Mai an der Technischen Universität Braunschweig. Alle drei waren fasziniert davon, was mit der richtigen Technologie möglich ist. Alle drei sahen das Problem, das für viele Menschen zurzeit noch keins ist: In absehbarer Zeit werden sich bei uns in Deutschland, auch in Europa und vielen anderen Teilen der Welt, alte Solarplatten stapeln. Die Gründer in spe sammelten Daten, entwickelten, verglichen. Neben der unbändigen Lust, das Startup aufzubauen, bringt Dr. Jan-Philipp Mai Erfahrungen aus anderen Unternehmungen mit, die sich der Ressource Silizium widmen. „Solar Materials“ fußt auf dem Ergebnis einer mehrjährigen Entwicklungsarbeit.

Spürbarer „Drive“ in Sachsen-Anhalt

Sie suchten in ihrer niedersächsischen Umgebung nach Investoren. Sie fanden sie jedoch in Sachsen-Anhalt. Mitte 2021 investierte die „bmp Ventures AG“, die die Risikokapitalfonds des Landes managt und innovative Unternehmen mit nachhaltigem, überdurchschnittlichem Wachstumspotenzial unterstützt. Doch das war nicht der einzige Grund, warum die Unternehmer seither auf Sachsen-Anhalt schwören. „Der Drive war hier viel größer als anderswo, unser damaliges Nachbarbundesland ist deutlich dynamischer aufgetreten“, erinnert sich Dr. Mai. Sachsen-Anhalt konnte zudem mit kurzen Wegen und einer passenden Wirtschafts-Landschaft aufwarten. Der Gründer sagt: „Bald wird es für uns wichtig, dass wir mit effizienter Logistik die Rohstoffe zurück zur Industrie bringen.“ Sachsen-Anhalt punkte unter anderem mit einer starken Glas-Industrie. Ein wichtiger Fakt für das Recycling-Startup, bestehen die Module doch zu 65 bis 70 Prozent aus Glas. „Wir passen hier einfach gut rein“, sagt Mai und blickt dabei auch auf die Geschichte der Solar-Industrie, die stark mit Sachsen-Anhalt verbunden war – und es bald wieder sein könnte.

Solar-Branche im Aufwind

Die Chefs von „Solar Materials“ spüren das Kribbeln, das hierzulande in der Luft liegt. So will der schweizerische Solarmodul-Hersteller „Meyer Burger“ Maschinen für die Solarzellen-Produktion nun nicht mehr nach China verkaufen, sondern stellt selbst Module her und hat dafür jüngst eine Produktionshalle im einstigen „Solar Valley“ im sachsen-anhaltischen Thalheim in Betrieb genommen. Die Branche erlebt derzeit einen Aufschwung. Für Solarfirmen sind die Zukunftsaussichten sonnig. Die Energiekrise beflügelt den Wirtschaftszweig. Und die Bundesregierung will raus aus der Kohle. 80 Prozent des Stroms sollen in Deutschland bis dahin aus Erneuerbaren Energien kommen. Zum Vergleich: 2021 hatten sie an der Stromerzeugung einen Anteil von etwas mehr als 40 Prozent. Solarstrom macht dabei etwa zehn Prozent aus. Damit die Klimaziele erreicht werden, muss neben der Windkraft auch die Photovoltaik ausgebaut werden.

Erste vollautomatisierte Linie soll in diesem Jahr in Betrieb gehen

Solche Entwicklungen beflügeln die Unternehmer. Vor kurzem sicherten sie sich die Folge-Finanzierung. Neben der erneuten Unterstützung durch die „bmp“ kann das Trio nun auch mit zwei europäischen Investoren rechnen. Mit dem Geld baut es jetzt auf dem HIT-Campus die erste vollautomatisierte Linie auf, die noch in diesem Jahr in Betrieb gehen soll. Parallel muss sich das Unternehmen mit dem Forschungsschwerpunkt zu einem zertifizierten Recycling-Betrieb transformieren. Mit der neuen Linie könnten in Magdeburg künftig etwa 150.000 Module im Jahr recycelt werden. Die nächstgrößere Anlage soll später dann schon die dreifache Menge umweltgerecht zerlegen können. Wenn es so weit ist, wollen sie sich nach einem weiteren Standort umschauen. „Wir werden uns ziemlich sicher im nächsten Schritt weiter in Sachsen-Anhalt vergrößern“, so Dr. Jan-Philipp Mai.

Datenbank wird aufgebaut

Parallel zum Startup entwickelten die Gründer mit dem Fraunhofer-Center für Silizium Photovoltaik CSP in Halle (Saale) eine Modul- und Materialdatenbank. „Wenn wir in den nächsten Jahren Module erhalten, müssen wir wissen, wie wir sie am besten behandeln“, erklärt Dr. Jan-Philipp Mai. Solarplatten seien über die Jahre gewachsen, es gibt verschiedene Typen, die wiederum andere Schadensbilder aufweisen würden. „Auf all das bereiten wir uns jetzt schon vor, damit wir später effizient arbeiten können“, sagt er. Die Weichen für das Recycling von Solarmodulen sind also gestellt und führen direkt nach Sachsen-Anhalt.

 

Autorin: Manuela Bock

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