Eine gigantische Leistung vollbracht
Der Chemie- und Industriepark Zeitz ist einer der großen Industrieparks Sachsen-Anhalts. Hervorgegangen ist er 1996 aus dem einstigen Hydrierwerk. Betreiber ist die Infra-Zeitz Servicegesellschaft mbH. Mit ihrem Geschäftsführer, Arvid Friebe, sprachen wir über das Konzept des Parks, seinen Erfolg und die Herausforderungen in der Zukunft. Arvid Friebe ist außerdem Sprecher des Verbundes CeChemNet, des Netzwerkes der mitteldeutschen Chemieparks.
Herr Friebe, Sie sind seit 2013 Geschäftsführer der Infra-Zeitz Servicegesellschaft mbH. Wie groß ist der Chemiepark, dem Sie vorstehen?
Der Chemiepark ist 232 Hektar groß, das entspricht einer Fläche von 300 Fußballfeldern. Insgesamt haben sich hier 50 Unternehmen angesiedelt, darunter sind 35 Dienstleister, zehn Produktionsbetriebe und fünf Energieerzeuger. Knapp 1000 Mitarbeiter werden hier beschäftigt, der Gesamtumsatz liegt bei 600 Millionen Euro pro Jahr. Wir merken am Absatz von Kühlwasser und dem Abwasseraufkommen, dass die Produktion gestiegen ist seit 2015. Nach dem Einbruch 2008 durch die Wirtschaftskrise und einer Stagnation vor drei, vier Jahren geht es wieder nach oben. Die Wirtschaft hat gelernt, mit Unsicherheiten umzugehen.
Wie sieht das Konzept für den Chemiepark Zeitz aus?
Uns zeichnen fünf Merkmale aus. Erstens ist der Chemiepark ein offener, das heißt, es ist kein geschlossenes Areal, es gibt keine Zwangsdienstleistungen außer der Abwasserentsorgung. Zweitens sind wir als kommunales Unternehmen unabhängig, wir verfolgen also keine eigenen Interessen bei der Auswahl der Anbieter. Drittens sind wir deutlich mittelständisch geprägt. Viertens sind wir international aufgestellt, die Hälfte der Produktionsbetriebe kommt aus dem Ausland.
Zum Beispiel?
Die Weizenstärkefabrik Interstarch GmbH hat einen Eigentümer aus der Ukraine, der Maschinenbauer ZEMAG ist eine chinesische Gesellschaft; der Chemiegrundstoffhersteller Radici Chimica eine italienische; die Raffinerie Puraglobe, sie verarbeitet Altöl, kommt aus den USA.
Und was ist das fünfte Merkmal des Chemieparks?
Die Nachhaltigkeit. 70 Prozent der Produkte werden aus recycelten Rohstoffen entwickelt oder aus Biomasse. Der Anteil aus Letzterem liegt in der deutschen Chemieindustrie bei etwa 13 bis 14 Prozent, bei uns sind es 35. Außerdem stammen vierzig Prozent des Stromes aus erneuerbaren Energien aus Sachsen-Anhalt und Sachsen.
Wird am Standort selbst Energie produziert?
Ja. Es gibt mehrere Photovoltaik-Anlagen, einen Biogaserzeuger, und am Standort sind mehrere Blockheizkraftwerke und Dampferzeuger auf Basis CO2-neutralen Erdgases in Betrieb.
Damit sind Sie für die Energiewende gut gerüstet.
Jetzt ja. Zunächst aber hatte uns die Energiewende an den Rand der Existenzfähigkeit gebracht, weil wir als Betreiber die volle Energieumlage zahlen müssen - die Unternehmen selbst sind davon befreit. Wir mussten in kürzester Zeit eine Lösung finden. Hätten wir dauerhaft die Kosten an unsere Kunden weitergereicht, wäre das Chemieparkmodell zerbrochen. Hätten wir die Kosten selbst getragen, wären wir insolvent gegangen. Das Blockheizkraftwerk, das wir haben errichten lassen, gibt uns jetzt die Möglichkeit, Strom autark und kostengünstig zu produzieren.
Ist der Chemiepark Zeitz ausgelastet?
Nein, von den 190 Hektar verkaufsfähiger Fläche haben wir bislang 120 veräußert. Ich kann zwar noch keine Zeit abschätzen, bin aber zuversichtlich, dass wir die Vollbelegung irgendwann erreichen werden.
Die Zukunftsfähigkeit und die Standortvorteile der Chemieparks haben sich als Erfolg erwiesen. Stehen Sie mit den anderen Parks in Sachsen-Anhalt in Konkurrenz?
Es hat da einen positiven Wandel gegeben. Nach der Wende gab es überall leere Baufelder, es herrschte damals eine starke Konkurrenz. Inzwischen hat sich das ausdifferenziert, jeder Chemiepark hat sein eigenes Profil. Ich würde sagen, zu 80 Prozent arbeiten wir zusammen, die restlichen 20 Prozent sind Konkurrenz.
Wie sieht die Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt aus?
Sehr komfortabel. Die Unterstützung der Investoren ist hervorragend, bei uns zum Beispiel beim Bau von Abwasserbehandlungsanlagen. Die Infra-Zeitz investiert in den kommenden Jahren rund 18 Millionen Euro in den Bau einer neuen Anlage, davon trägt das Land etwa 65 Prozent. Auch die Zusammenarbeit mit den Behörden gelingt sehr gut, herausragendes Beispiel ist die Landesanstalt für Altlastenfreistellung, zuständig für die Beseitigung von Bodenverunreinigungen. Engagierte, spezialisierte Fachleute arbeiten dort, die Kooperation ist unkompliziert und lösungsorientiert.
Sie sind auch Sprecher des Central European Chemical Network, kurz CeChemNet. Ein Netzwerk, 1996 gegründet, dem fünf Chemiezentren angehören, davon vier aus Sachsen-Anhalt. Was ist Ihr Ziel?
Wir wollen ein positives Umfeld für die Chemieindustrie schaffen. Wir informieren die Politik über bestehende Problemlagen in einer offenen Gesprächsatmosphäre. Wir werden ernst genommen und sind sehr zufrieden mit der Resonanz. Es gibt eine gute Anbindung an die Landespolitik, aber auch zur Bundesregierung. Mit der Ostbeauftragen, der Parlamentarischen Staatssekretärin Iris Gleicke, sitzen wir regelmäßig am Tisch. Wir möchten die Interessen der Chemieparks deutlich machen, sie sind in Sachsen-Anhalt immerhin die zweitstärksten Umsatzbringer, und die Industrie konzentriert sich in den Parks. Außerdem wollen wir den Austausch untereinander stärken, um Konflikte zu kanalisieren. Und schließlich möchten wir uns gemeinsam nach außen präsentieren, als Einheit.
Welchen Herausforderungen müssen sich Politik und Industrie zukünftig stellen?
Das sind einige, wir haben sie in einem Forderungskatalog an die Politik zusammengestellt. Einige Beispiele: Entschlackte Regelungen zur Investitionsförderung gehören dazu auf allen Ebenen bis hin zur EU. Die Netznutzungsentgelte müssen bundesweit vereinheitlicht werden, um die Benachteiligung der neuen Bundesländer durch den hohen Bestand an EEG-Anlagen zu neutralisieren. Die Chemieparkbetreiber müssen einbezogen werden in die besondere Ausgleichsregelung bei der EEG-Umlage und bei der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Die Logistikinfrastruktur ist ein Thema, die wichtigen Achsen zwischen den ostdeutschen Chemieparks sollten modernisiert und ausgebaut werden. Und schließlich sehen wir uns mit dem zunehmenden Fachkräftebedarf konfrontiert und fordern daher die Aufnahme einer Lerneinheit „Wirtschaft und Arbeit“ in den Kanon der Sekundarschulen, Kooperationspartnerschaften und auch die Beschleunigung der Integration von Ausländern in den Arbeitsmarkt.
Wie sieht es mit der Forschung aus?
Die Zusammenarbeit zwischen Chemieindustrie und den entsprechenden Einrichtungen läuft momentan hervorragend, Zeitz arbeitet zum Beispiel sehr eng mit der Fachhochschule Merseburg zusammen. Würde es zur Schließung einzelner Forschungseinrichtungen oder -bereiche kommen, wäre diese Lücke nicht zu schließen.
Wie ist Ihre Prognose für die Zukunft?
Die Chemieindustrie wird einen ernstzunehmenden Strukturwandel durchlaufen: weg von der Massenware hin zum Spezialprodukt. Die Politik muss diesen Prozess begleiten und das zarte Pflänzchen Chemieindustrie, das in Ostdeutschland nach der Wende entstand, pflegen! Es gibt noch viel zu tun, aber in den letzten zwanzig Jahren wurde hier eine gigantische Leistung vollbracht!
Interview: Anja Falgowski