Forschungsprojekt SEE-2L „Sicherheit elektrochemischer Energiespeicher in Second-Life-Anwendungen“
Ein Wissenschaftlerteam der Universität Magdeburg erforscht im Großversuch die sichere Nachnutzung elektrochemischer Energiespeichersysteme. Aber zuerst müssen die sicherheitsrelevanten Hausaufgaben gemacht werden.
Wie könnten ausgediente Batterien aus Elektroautos für ein zweites Leben fit gemacht werden können, bevor sie an ihrem Lebensende zurück in die Stoffkreisläufe geführt werden? Am Institut für Apparate- und Umwelttechnik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg erforscht ein Team in Großversuchen die sichere Nachnutzung von Batterien aus Elektroautos. Sie sollen als stationäre Energiespeicher in Wind- und Solarparks genutzt werden. Oberstes Ziel der Forschung ist es, Energiespeicher künftig sicher und zuverlässig betreiben zu können.
Ob Laptop, Handy, E-Bike oder das Elektroauto, ihre Akkus sorgen für die nötige Power in allen Lebenslagen. In Zeiten zunehmend knapper werdender Rohstoffressourcen und in Hinblick auf Nachhaltigkeit sind Lithium-Ionen-Speicher in ihrer zweiten Nutzung als stationärer Speicher für die Energiewende äußerst relevant. Dabei geht es um energiereiche Varianten, die aus Elektroautos bekannt sind. „Ihnen wollen wir ein zweites Leben in stationären Speicheranlagen schenken, bevor sie irgendwann den Weg in die Recyclinganlagen gehen“, erläutert Prof. Dr.-Ing. habil. Ulrich Krause, Inhaber des Lehrstuhls Anlagentechnik und Anlagensicherheit an der Fakultät für Verfahrens- und Systemtechnik der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität.
An deren Kompetenzzentrum Elektromobilität fahren zwei E-Autos und ein Elektroboot. „Unser Part ist die Bewertung mit dem sicherheitstechnischen Blick“, beschreibt der Wissenschaftler das Tun seiner Forschungsgruppe. „Um es deutlich zu sagen, das Risiko, dass an Elektrofahrzeugen etwas brennt, ist nicht größer als bei konventionellen Fahrzeugen“, ordnet der Professor ein. Aber in elektrochemischen Batteriezellen könne es zu unkontrollierten Reaktionen kommen. Wenn die nicht erkannt werden, entstehen Brände mit hohen Temperaturen. Das Resultat: Die Gefahr, dass hoch giftige und explosive Stoffe freigesetzt werden, steigt. So relevant Lithium-Ionen-Speicher aus Sicht der Nachhaltigkeit für eine zweite Nutzung als stationärer Speicher für die Energiewende auch seien, die Experten sorgen sich, dass es an vielen Stellen noch zu wenig Verständnis für kritische Zustände dieser Akkusysteme gibt.
Drei Faktoren nennt Professor Krause. „Es kann zu Explosionen, Bränden und dem unbeabsichtigten Freisetzen von gefährlichen Stoffen kommen.“ Der Aufbau stationärer Energiespeicher in industriellen Wind- und Solarparks oder Gebäuden mit einer Photovoltaik-Anlage gleicht dem Schnüren von Paketen. Ein vollelektrischer Mittelklassewagen wird mit ungefähr 60 Kiloampérestunden Batteriekapazität ausgestattet. Einzelne Batteriezellen werden zu Modulen verbunden, von denen neun bis zwölf letztlich das Batterie-Paket bilden, das dann stationär dabei hilft, nicht ins Netz eingespeiste Wind- oder Solarenergie zwischenzuspeichern.
Geplante Explosionen mit Lithium-Ionen-Batterien für ein sicheres zweites Leben
Doch durchgehende Lithium-Ionen-Akkus unterliegen dem Risiko des von den Fachleuten „thermal runaway“ genannten unaufhaltsamen Freisetzens der gesamten gespeicherten elektrischen Energie ähnlich einem Domino-Spiel. „Wir suchen nach Möglichkeiten, diesen Prozess zu beherrschen“, erklärt der erfahrene Lehrstuhlinhaber, der vor zehn Jahren von der Berliner Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung an die Magdeburger Universität wechselte. Sein Forschungsprojekt SEE-2L „Sicherheit elektrochemischer Energiespeicher in Second-Life-Anwendungen“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit fast 1,2 Millionen Euro gefördert.
Versagen die Akkus und werden zum Problem, gehe das auf Überladung, thermische Überlastung, mechanische Schädigungen und elektrische Defekte wie Kurzschlüsse zurück. Wenn sich der Speicher dann entlädt, wird Wärme frei. Es brennt, am Fahrzeug entzünden sich Reifen und Kunststoffe, es entweichen aus der Batterie bei der Ausgasung brennbare und toxische Gase.
Bei stationären Anlagen geschieht das ähnlich - in einer Kettenreaktion von einer Zelle zur nächsten. Die chemischen Prozesse sind kaum noch zu beherrschen. Es gehe dabei um eine starke Überhitzung der Batterie auf bis zu 1000 °C. Die Forscherinnen und Forscher planen auf ihrem Testgelände, Havarien zu simulieren, um daraus Erkenntnisse über unkontrollierte chemische Reaktionen in den Batteriezellen zu gewinnen. Im Rahmen des Verbundprojekts werden Ingenieurinnen und Ingenieure in den nächsten zwei Jahren diese Havariefälle künstlich herbeiführen und erforschen. Dafür wird gemeinsam mit den Projektpartnern, der Bundesanstalt für Materialforschung und Prüfung (BAM) und der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e. V. (vfdb), eine Großversuchsanlage aufgebaut. Sie ermöglicht Versuche zum sicheren Umgang mit Batterien mit einem Energieinhalt von bis zu 500 Kilowattstunden (kWh).
Konzept für Feuerwehrleute
Bislang fehlt es gänzlich an fundierten Grundlagen für ein einheitliches taktisches Vorgehen der Einsatzkräfte im Havariefall und an einem einheitlichen Schulungskonzept für Feuerwehrleute. Hier kommt die langjährige akademische Erfahrung in Magdeburg bei der Ausbildung von Brandschutzexperten und die enge Kooperation mit dem Landesinstitut für Brand- und Katastrophenschutz in Heyrothsberge ins Spiel: „Unsere Forschung soll chemische Probleme bei Lithium-Ionen-Akkus so früh vermeiden, dass die Feuerwehren gar nicht erst ausrücken müssen“, so Prof. Ulrich Krause. Gleichzeitig kämen Einsatzkräfte dabei zu ganz neuen Brandorten, die sich vor allem im Hinblick auf die Hitze von gewohnten Einsätzen unterscheiden.
Der Professor freut sich über das Engagement seines Forschungsteams. Neben seinen Forschenden und denen verbundener Institute, beteiligen sich Studierende mit ihren Master-Arbeiten an Teilthemen der Sicherheitsforschung. So groß die Freude darüber sei, dass alternative Antriebssysteme an Bedeutung gewinnen, sein Institut will dafür sorgen, dass die sicherheitsrelevanten Hausaufgaben gemacht werden.
Testzentrum für Elektrofahrzeuge in Sachsen-Anhalt
Die Uni investiere in ein Zentrum, in dem Testmethoden für Elektrofahrzeuge entwickelt werden. 2022 sei der Spatenstich dafür geplant. Es gehe sowohl darum, grundlegende chemische Prozesse in einzelnen Batterien zu erforschen, als auch um komplexe Systeme, die komplette Fahrzeuge und stationäre Anlagen einbeziehen.
„Fahrzeughersteller machen Ähnliches, doch wir befriedigen keine Unternehmensinteressen, sondern das Interesse der Öffentlichkeit, die ein Recht darauf hat, auch um die Gefahren an Speichereinrichtungen mit ihrem hohen Energieinhalt zu wissen“, so Krause. Der Professor gibt sich zuversichtlich, dass durch neue Forschungsschwerpunkte im Kernland der chemischen Industrie vermehrt Wasserstoff als Energiequelle die Mobilität klimafreundlicher gestalten wird. „Dazu braucht es weiter sichere Speichermedien. Die Energie muss ja irgendwo herkommen.“
Autor: Uwe Kraus/IMG Sachsen-Anhalt