„Wir wollen die Zeitbomben entdecken“ Magdeburger Wissenschaftler entwickeln Sensoren zur Analyse von Gefäßablagerungen

„Die Plaque reißt ein, und es kommt zum plötzlichen Verschluss des Gefäßes“, Prof. Dr. Rüdiger Braun-Dullaeus beschreibt anschaulich, wie es zu einem Schlaganfall oder einem akuten Herzinfarkt kommen kann. Atherosklerose, eine multifaktorielle Erkrankung des Schlagadersystems, kennt der Kardiologe am Universitätsklinikum Magdeburg als Erkrankung überwiegend älterer Patienten und als häufigste Ursache für Herz-Kreislauferkrankungen.

Seit sechs Jahren leitet Braun-Dullaeus die Universitätsklinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie – und hat sich einen Namen gemacht innerhalb seines wissenschaftlichen Wirkungsbereiches, der im engen Zusammenhang mit systemischen Gefäßerkrankungen steht, „Sachsen-Anhalt nimmt eine Vorreiterrolle ein, was die demografische Entwicklung betrifft. Mit zunehmendem Alter der Bevölkerung werden auch die Gefäßerkrankungen zunehmen“, sagt Braun-Dullaeus. Jedoch, so der Mediziner, könne die Erforschung der Plaque den Krankheitsverlauf und die Therapieformen positiv beeinflussen.

Denn: Die Ablagerungen unterscheiden sich in ihren stofflichen Zusammensetzungen voneinander. Braun-Dullaeus: „Es gibt Arten von Plaques, die stabil bleiben. Sogar ein bis zu 90 Prozent mit Gefäßablagerungen verengtes Gefäß kann ungefährlich sein. Es gibt aber noch kein verlässliches Verfahren, die Zusammensetzung der Plaque im Vorfeld der Behandlung zu analysieren.“

Der Arzt hat sich mit dem Medizintechniker Prof. Dr. Georg Rose verabredet – beide wollen den gemeinsamen Forschungsantrag formulieren. Wie immer drängt die Zeit. Rose leitet an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg das Institut für Medizintechnik. Er ist gleichsam ein Experte auf seinem wissenschaftlichen Feld der modernen medizinischen Bildgebung.

Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Life Sciences funktioniert interdisziplinär – schon einige Projekte haben Braun-Dullaeus und Rose gemeinsam zum Erfolg geführt. Ihre neueste innovative Idee hat kürzlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) grünes Licht für die Antragstellung bekommen. Innerhalb des nationalen Forschungsprogramms Elektromagnetische Sensoren für Life Sciences – ESSENCE werden in den nächsten sechs Jahren Mediziner, Biologen, Elektro- und Medizintechniker der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Sensoren zur Analyse von Gefäßablagerungen entwickeln. Zum großen Forschungsverbund gehören ebenso die Universitäten Darmstadt, Frankfurt/Main und Würzburg. Die beiden Magdeburger Wissenschaftler, deren Forschung zumeist auf zeitnahe Anwendung orientiert ist, sehen in diesem längeren Zeitraum die Chance, Grundlagenforschung zu betreiben und am Ende große Effekte mit weitreichender Wirkung zu erzielen.

Nach der Zielvorgabe von ESSENCE sollen die neuen Sensoren im Frequenzbereich von Gigahertz- bis Terahertz-Wellen auf dem Gebiet der Molekularbiologie Protein- und Nukleinsäure-Interaktionen bestimmen und in der Biochemie die räumliche Anordnung von Molekülen analysieren. In der Medizin sollen die Sensoren bei der Lokalisierung und Behandlung von Tumoren eingesetzt werden. Und sie sollen – wie im Magdeburger Forschungsschwerpunkt – Gefäßwände auf Ablagerungen untersuchen und deren Eigenschaften charakterisieren.Die DFG hat für das Schwerpunktprogramm ESSENCE insgesamt sechs Millionen Euro bewilligt.

Georg Rose, mit medizinischen Themen eng vertraut, versteht sich in diesem Forschungsprojekt auch als „Übersetzer“. „Wir haben im Forschungsverbund ESSENCE Partner wie zum Beispiel Physiker und Elektrotechniker“, sagt Rose, „die bislang noch nicht auf medizinischem Gebiet geforscht haben.“

Der praktizierende Kardiologe Braun-Dullaeus dagegen muss tagtäglich seinen Patienten verständlich erklären, wie sich ihre Gefäßwände krankhaft verändern, weil sich dort Fette einlagert haben: „Die weißen Blutkörperchen definieren das Fett als Fremdkörper und wollen diese Stellen reparieren, indem sie versuchen, das Fett aufzufressen. Es entwickeln sich Entzündungen mit Kalkablagerungen als Folge.“

Die Dicke und Form der Ablagerungen, so der Medizintechniker Rose, sei mit Hilfe der modernen Ultraschall-Diagnostik gut zu erkennen. „Die elektromagnetischen Sensoren aber sollen die Zusammensetzung analysieren, um damit die gefährlichen Plaques, die Zeitbomben, entdecken.“

Zunächst werden die Wissenschaftler Sensoren entwickeln, die noch zu groß sind, um in das menschliche Gefäßsystem eingeführt zu werden. „Ihre Funktionsweise wird an medizinischen Modellen getestet und immer weiter perfektioniert. In den letzten Forschungsphasen geht es dann um die Miniaturisierung der Chips“, erklärt der Medizintechniker und dass im Ergebnis die sogenannten „Nasen“, auf einen Draht an der Spitze des Katheters gesteckt werden, um sie dann durch die Gefäße zu führen. Ihre Informationen liefern die Sensoren in Form von Zahlen, Kurven oder Bildern.

Braun-Dullaeus definiert das medizinische Ziel des Magdeburger Forschungsschwerpunktes: „Wenn wir bei einer systematischen Gefäßerkrankung, deren lokale Ausprägung und deren Gefährlichkeit treffend analysieren, werden wir die Therapieformen zielgerichtet und besser einsetzen, sogar neue Therapien entwickeln können.“

Autorin: Kathrain Graubaum

Kontakte:

Prof. Dr. Rüdiger C. Braun-Dullaeus
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie
Tel. 0391/6713203
r.braun-dullaeus.ignore@med.ovgu.de

Prof. Dr. Georg Rose
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Institut für Medizintechnik
Tel. 0391/6718862
georg.rose.ignore@ovgu.de

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