Spannende Forschungsthemen und beste Karrierechancen

Die mitteldeutsche Kunststoffindustrie setzt auf Forschungskompetenz

Sachsen-Anhalts Kunststoffbranche ist mit 22 Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Land eng vernetzt. Exzellente Forschung und Lehre stärken die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und sichern den Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften. Dabei erfordern Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Leichtbau und neue Werkstoffe zunehmend fach- und branchenübergreifendes Denken, Kooperieren und Forschen. Auf der K 2016 präsentieren sich Kunststoff-Unternehmen aus Mitteldeutschland an zahlreichen Einzelständen und in einer Gemeinschaftspräsentation unter dem Dach des Mitteldeutschen Kunststoffnetzwerkes MKN auf dem Stand der IHK Potsdam in Halle 8b, Stand E61.

Interdisziplinär und international ausgerichtet ist der englischsprachige Master-Studiengang Polymer Material Science an der Naturwissenschaftlichen Fakultät II – Chemie, Physik und Mathematik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Kooperation mit dem Fachbereich Ingenieur- und Naturwissenschaften der Hochschule Merseburg. Das Masterprogramm fokussiert auf molekulare Systeme in kleinen Volumina. „Auf diesem Gebiet wollen wir im Weltmaßstab eine Führungsrolle einnehmen“, sagt Fachstudienberater Dr. rer. nat. Karsten Busse.

Spannende Forschungsthemen und außerordentlich gute Karrierechancen nach dem Studienabschluss ziehen Studierende aus allen Teilen der Welt an. „90 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland“, sagt Busse, „vor allem aus Indien, Pakistan und Bangladesch, aber auch Studierende aus China, Nigeria, Aserbaidschan, Venezuela und den USA schreiben sich für den Masterstudiengang Polymer Material Science ein.“  Nach dem Abschluss kehren einige in ihre Heimatländer zurück, andere starten ihre berufliche Laufbahn in deutschen Unternehmen, zum Beispiel in der mitteldeutschen Chemie- und Kunststoffregion. „Mit einer intensiven wissenschaftlichen Betreuung sind die Bedingungen für die Studierenden in diesem Masterprogramm ideal“, betont Busse.

Polymere reparieren sich selbst

Grundlagenforschung – vom Wirkstoff für die Düngemittelherstellung bis zur Dynamik organischer Polymere – bietet den Studierenden ein breites Lern- und Forschungsfeld. Computersimulationen von Polymerbewegungen sind neu im Programm. Ein spannendes Thema sind auch die selbstheilenden Polymere. „Die kleinen Helfer sind zum Beispiel in einem Bauteil neben den Polymeren enthaltene Monomere, die so beschaffen sein müssen, dass sie aktiv bleiben und im Falle eines Bruches oder Risses mit Molekülen der Umgebungsluft reagieren und die Stabilität des Bauteils wiederherstellen“, erklärt Dr. Karsten Busse. Mit Hilfe dieser stabilisierenden Bausteine können zum Beispiel Fahrzeug-Karosserieteile einen entstandenen kleinen Riss einmal selbst reparieren.

In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle ist es Chemikern der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zudem gelungen, Polymere herzustellen, die sich mehrfach selbst heilen können: Wissenschaftler um Prof. Dr. Wolfgang Binder vom Institut für Chemie der MLU haben Polymere mit gebogener Struktur und klebrigen Bindungsstellen entwickelt. Der Selbstheilungsprozess eines Bruches oder Risses erfordert eine Temperatur von 30 Grad Celsius und wenige Stunden Zeit, in der sich die Moleküle neu miteinander verknüpfen. Versuche haben gezeigt, dass die ursprünglichen mechanischen Eigenschaften dabei vollständig wiederhergestellt werden können. Diese Forschungen tragen dazu bei, Sicherheit und Langlebigkeit von Bauteilen zu erhöhen.

Auf Effizienz beim Material- und Energieeinsatz zielen die Forschungen im thermoplastbasierten Leichtbau, die beispielsweise in der Automobilbranche immer mehr gefragt sind. So entwickeln Wissenschaftler am Fraunhofer IMWS Lösungen, um metallische Werkstoffe in Fahrzeugkomponenten auch in mechanisch hochbelasteten, tragenden Bauteilstrukturen durch thermoplastische Faserverbundwerkstoffe ersetzen zu können. Sie erforschen, entwickeln und testen Verfahren zur Herstellung endlosfaserverstärkter Thermoplaste mit hervorragenden mechanischen Eigenschaften wie hohen spezifischen Steifigkeiten und Festigkeiten und ausgezeichnetem Energieaufnahmevermögen. Sie arbeiten an biobasierten Verbundwerkstoffen mit unidirektional ausgerichteten Fasern und kombinieren kurz- oder langfaserverstärkte Thermoplaste in einem neuartigen Hybrid-Spritzgussprozess, um auch geometrisch komplexe Bauteile und kurze Fertigungszeiten zu realisieren. Im Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum PAZ im Dow Value Park in Schkopau wurde dafür eine vollautomatisierte Fertigungszelle im Technikumsmaßstab aufgebaut.  

Neben der Technologieentwicklung widmen sich die Wissenschaftler der Diagnostik für solche Werkstoffe, Bauteile und Systeme, identifizieren Schwachstellen auf der Mikro- und Nanoebene, klären Ursachen auf und bieten innovative Problemlösungen an. So werden beispielsweise mit einem Röntgen-Computertomographen mit zerstörungsfreien Prüfmethoden Bauteile dreidimensional abgebildet und Störungen im Faserverlauf und fertigungsbedingte Fehlstellen in Bauteilen sichtbar gemacht oder die weitgehende Porenfreiheit von Spritzgussteilen überprüft.

Ihre Leichtbau-Kompetenzen verbinden Fraunhofer IMWS und die ThermHex Waben GmbH aus Halle, Hersteller von Leichtbau-Sandwichelementen mit Wabenkernen aus Polypropylen (PP), in dem gemeinsamen Projekt „Organosandwich“. Im Verbund erforschen sie die technologischen Grundlagen der Großserien-Herstellung komplexer thermoplastischer, faserverstärkter Bauteile mit integrierten Wabenkernen. ThermHex Waben liefert unter anderem Paneele für Lkw-Aufbauten, Bootsbau und Pkw-Karosserien.

Kunststoff-Know-how gebündelt

Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist der Wissens- und Technologietransfer essentiell. Sie setzen auf Vernetzung, Verbundprojekte und auf Einrichtungen wie die Polymer Service GmbH Merseburg, das Institut für Polymerwerkstoffe Merseburg und das Zentrum für Faserverbunde und Leichtbau Haldensleben, die Unternehmen mit umfangreichen ingenieurtechnischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen unterstützen. Darüber hinaus bündelt das Kunststoff-Kompetenzzentrum Halle-Merseburg kunststoffspezifisches Know-how der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Hochschulen des Landes. Im Fraunhofer PAZ, der europaweit größten Anlage für Polymersynthese außerhalb der Industrie, haben Unternehmen zudem die Möglichkeit, neue Verfahren von der Labor- in die Pilotphase zu überführen und die industrielle Fertigung effektiv vorzubereiten.

2015 zählte Sachsen-Anhalts Kunststoffbranche rund 100 Betriebe.  Mit ihren insgesamt 10.000 Beschäftigten erwirtschaftete sie einen Umsatz von rund 3,2 Milliarden Euro. Die Exportquote lag bei rund 33 Prozent.

Bildunterschrift: FraunhoferPAZ

Autorin: Bettina Koch

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