Der Tumordetektiv

Prof. Michael Friebe

Tief im Gewebe verborgen, lassen sich Tumore nur schwer vollständig entfernen. Prof. Michael Friebe arbeitet gemeinsam mit Studierenden der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg an Geräten und Verfahren, die den Ärzten während einer Operation einen besseren Blick auf und in den Tumor ermöglichen sollen. Der Wissenschaftler und Unternehmer ist der erste medizintechnische Stiftungsprofessor an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik. Neben der Forschung hat sich Prof. Friebe zum Ziel gesetzt, den Weg für medizintechnische Ausgründungen zu ebnen.

Prof. Friebe, was fasziniert Sie dermaßen an Kathetern, dass Sie dafür von München nach Magdeburg kommen?
Friebe: Es sind nicht nur die Katheter, die es mir angetan haben, sondern vor allem die bildgebenden Therapien und minimalinvasiven Verfahren. Katheter sind ein Hilfsmittel, ein Zugangsweg, wodurch der Schnitt klein gehalten und die Heilung beschleunigt werden kann. Aber klar ist auch: Je kleiner der Zugang, umso besser muss die Bildgebung sein, sonst kann der Arzt nicht gezielt operieren. Und wir hier überlegen uns, wie er über – oder sagen wir, trotz – Katheter noch präziser arbeiten kann.

Bitte erklären Sie das genauer.
Nehmen wir die Behandlung von Tumoren. Schon bei der Biopsie ist es wichtig, auch wirklich den Tumor zu treffen, um das Gewebe zur Analyse entnehmen zu können. Ich muss also wissen, wo genau er liegt. Das gilt dann umso mehr für die Operation. Der Arzt sollte den Tumor nach Möglichkeit nicht nur komplett entfernen, sondern gleichzeitig auch möglichst wenig gesundes Gewebe. Es darf aber auch nichts zurückbleiben – eine Gratwanderung für den Operateur.

Und Sie überlegen nun, mit welchen Mitteln der Chirurg das Operationsfeld besser sehen kann?
Genau. Wir entwickeln Geräte und Verfahren, die den Tumor exakter als bisher sichtbar machen. So kann man ihn zwar genau im MRT erkennen und abgrenzen, aber im MRT kann niemand operieren – es ist viel zu eng. Fährt man den Patienten aber heraus, lässt ihn in derselben Position auf der Liege verharren und legt über die MRT-Bilder die Bilder eines Ultraschalls, kann komfortabel operiert werden.

Oder wir markieren den Tumor mit einer radioaktiven Flüssigkeit und kombinieren das Werkzeug, das über einen Katheter eingeführt wird, mit einer optischen und einer Gammakamera. Dann blickt der Chirurg nicht nur direkt auf das Gewebe, sondern dank des Gammadetektors auch in den Körper hinein. Er sieht so die korrekten Umrisse des Tumors.

Sie forschen auch an einer Methode, Tumoren direkt im Körper zu bestrahlen.
Eine wichtige Sache. Die gängige Strahlentherapie schädigt zumeist auch das Gewebe im Umfeld des Tumors. Führen wir aber ein winziges Röntgengerät in den Körper ein, bestrahlen wir sehr gezielt. Oder wir leiten Hitze direkt in den Tumor und verbrennen ihn. Dazu nutzen wir einen Katheter, aus dessen Spitze mehrere Drähte millimetergenau ausgefahren werden können. Sie führen Strom und erhitzen das – und nur das - Tumorgewebe.

Mit Ihrer Arbeit wollen Sie die Lücke zwischen Bildgebung in der Diagnostik und jener in der Therapie schließen. Was meinen Sie genau?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das wir konkret bearbeiten: Im MRT wird die weibliche Brust hängend untersucht – die Patientin liegt auf dem Bauch. Im OP liegt die Frau auf dem Rücken, die Brust bildet hier eine ganz andere Form, und trotzdem soll der Operateur möglichst minimalinvasiv arbeiten und den Tumor exakt finden und entfernen. Schwierig. Wir brauchen also auch und gerade während der Operation eine präzise Bildsteuerung.

Sie legen auf der Internetseite von INKA, dem BMBF-geförderten Projekt für Intelligente Kathetertechnologie, Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit den Medizinern. Wie sieht das konkret aus?
Ganz einfach: Reden und zuschauen! Wir schicken z.B. unsere Studenten in Teams in die Operationssäle. Dort analysieren sie die Situation. Wer macht was? Welche Schwierigkeiten ergeben sich dabei? Wo gibt es konkret Verbesserungsbedarf? Jedes Team bereitet dann diese Analyse auf, präsentiert sie uns und dreht ein kurzes Video, das die Idee erklärt. Mit diesem Film gehen die Studenten zu den Ärzten. Das ist natürlich eine mutige Herangehensweise, an der man auch scheitern kann. Aber die Ärzte des Universitätsklinikums sind sehr interessiert und wissen den Blick von außen zu schätzen. Nur so können die Studenten lernen, ob ihre Ideen der Realität tatsächlich standhalten. Aber natürlich bauen wir auch echte Prototypen in unserem Labor und probieren diese dann zusammen mit den Klinikern aus. 

Es kann also sein, dass im Rahmen des INKA-Projektes ein Verfahren oder ein Gerät entsteht, das im nächsten Jahr schon im OP der Uniklinik angewendet wird?
Nein, so einfach ist es nicht. Aber wir können ein Gerät bis zum Prototyp entwickeln. So gehen wir auch grundsätzlich an die Sache heran: Wir wollen hier keinen Nobelpreis, wir wollen Verfahren, die schnell dem Patienten zugute kommen. Dazu bräuchten wir aber Unternehmen, die unsere Entwicklungen übernehmen und zur Marktreife führen. Medizinische Produkte brauchen viele Zertifikate, die ihre Sicherheit für den Patienten und ihre Effizienz nachweisen. Das kann recht teuer und langwierig sein und ich sehe das nicht als Aufgabe einer Universität.

Sachsen-Anhalt will sich als Standort für Unternehmen der Medizintechnik etablieren. Sehen Sie darin ein Potenzial?
Wir haben hier schon sehr gute Firmen am Markt, die unter anderem ja auch Stifter meiner Professur sind. Aber es gibt nicht genug. Wir brauchen Studierende, die solche Ideen haben, für die es in der Medizin einen Bedarf gibt, die mutig eigene Unternehmen gründen und so zu Vorbildern werden für andere Studierende. Ich sehe es als meine Aufgabe an, ein solches Klima zu schaffen, eine Art Inkubator zu etablieren für medizintechnische Ausgründungen insbesondere natürlich mit dem Fokus auf bildgesteuerte Therapieverfahren.

Wie soll das gelingen?
Die Bedingungen dafür sind hier hervorragend. Wir haben mit „Stimulate“ einen tollen Forschungscampus, es gibt die Fakultät für Medizintechnik, es gibt diese Stiftungsprofessur, die Wissenschaft und Wirtschaft miteinander verknüpft, und es gibt das Universitätsklinikum, das innovationsfreundlich und zum Beispiel in seinen klinischen Studien zur intraoperativen Behandlung von Lebertumoren sicherlich eine der weltweit führenden Institutionen ist. Ich zeige meinen Studierenden in meinem Seminaren: Eine Innovation zu entwickeln, das kann jeder lernen, deshalb gehen wir in die OP-Säle. Und auch das Gründen eines eigenen Unternehmens ist kein Hexenwerk.

Sehen Sie sich auf dem richtigen Weg?
Ich denke schon. Ich bin seit einem halben Jahr hier, und wir haben bereits vier Patente angemeldet – in ganz Sachsen-Anhalt wurden 2014 nur 227 Patente angemeldet, womit wir bundesweit die Laterne tragen. Wir beschäftigen mehrere erfahrene Post-Docs und zwischenzeitlich auch einige Doktoranden und haben zudem bereits mehrere Masterarbeiten abgeschlossen, die medizintechnische Entwicklungen beschreiben – auf denen können wir aufbauen.

Noch eine Frage zu Ihrem Job hier: Funktioniert es, wenn private Firmen eine Professur finanzieren? Wie frei sind Sie?
Völlig autonom. Natürlich arbeite ich in der Medizintechnik – genauso, wie die fünf Unternehmen. Ich berichte über meine Arbeit, es gibt halbjährliche Treffen. Aber es gibt keine Vorgaben seitens der Unternehmen. Dennoch profitieren sie von diesem Konstrukt. Sie erfahren frühzeitig von für sie womöglich attraktiven Entwicklungen und rücken näher an die Studierenden heran. Sie können so Fachkräfte für sich gewinnen oder mit ihnen innerhalb von Masterarbeiten eigene Fragen durchleuchten. Außerdem sehe ich mich neben meiner Tätigkeit zumindest gedanklich auch als Unternehmer. Ich selbst habe vor meiner Tätigkeit hier schon 15 Firmen gegründet – jetzt sind die jungen Leute dran. Ich kann meine Kontakte und mein jahrelangen Erfahrungen in die Ausbildung einbringen und damit für noch mehr Praxis- und Realitätsnähre und Forschung und Lehre sorgen.

Sie klingen zufrieden. Fühlen Sie sich wohl in Magdeburg?
Mir macht das hier unheimlich Spaß. Die Wege in Kliniken, Unternehmen und auch in die Landespolitik sind kurz. Ich beschäftige mich mit Fragen, die mich fesseln. Meine Frau und meine beiden Kinder, die kurz vorm Abitur stehen, wohnen zwar noch in Recklinghausen. Aber ich habe mir gerade eine Wohnung in Magdeburg gekauft – die Möbel wurden gerade erst geliefert. Meine Frau ist sehr zufrieden mit mir (lacht) – weil ich zufrieden bin. Und wenn das so bleibt, dann möchte ich gern länger in Magdeburg leben. 

vorheriger Beitrag nächster Beitrag