Mein Freund, der Roboter - Magdeburger Wissenschaftler testen autonome Systeme!
Tor! Wissenschaftler und Studierende der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg messen alljährlich in der Fußballdisziplin des RoboCup ihr Können. Die Robotik als Wissenschaft hat nicht nur ihren Platz im Gefüge der Fakultäten gefunden. Sie bringt auch junge Absolventen hervor, die fit für ihren Weg in die Wirtschaft sind: stark im Team, geübt im interdisziplinären Denken, belastungsfähig und darauf programmiert, jeden Fehler im System zu finden. Im Interview erzählen Junior-Prof. Dr. Ing. Sebastian Zug und Dipl.-Informatiker Christoph Steup, warum die Automobilindustrie an die Türen der Uni klopft und Besuchern des Elbauenparks demnächst führerlose Fahrräder begegnen werden.
IMG: Wie passen Roboter, die – im besten Fall – Tore schießen, zum wissenschaftlichen Arbeiten?
Sebastian Zug: Ganz hervorragend! Die Fußball-Roboter eines Teams müssen miteinander auskommen und aufeinander reagieren. Und zwar ohne, dass sie jemand mit einer Fernbedienung von außen bevormundet. Dahinter steckt jahrelange Forschung. Allerdings sind die fußballspielenden Roboter nicht im Fokus unserer Arbeit. Während sich die Fußballer in einer exakt definierten Umgebung bewegen, finden wir Roboter spannender, die sich in jeder x-beliebigen, sich wandelnden Umgebung orientieren und dann auch agieren können.
Christoph Steup: Tatsächlich gibt es für bipedale Roboter, also solche auf zwei Beinen, wenig Anwendungen. Das Fußball-Szenario an sich passt aber dennoch in den universitären Betrieb, weil mit seiner Hilfe bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse und Lehrinhalte plastisch dargestellt, ausprobiert und angewendet werden können.
IMG: Ihre Roboter sind eher in der Robocup@work-Liga unterwegs. Worum geht es da?
Zug: Hier messen sich die Teams in Anwendungen, die näher an der Realität dran sind, also zum Beispiel Roboter, die etwas ergreifen, transportieren und abstellen. Das kann in einer Werkhalle genauso einsetzbar sein wie in einer Küche, wenn man an Serviceroboter denkt. Das Ganze soll dann auch noch robust sein, also vielfach wiederholbar, ohne dass der Roboter sich, andere Roboter oder seine Umgebung beschädigt.
Steup: Wir blicken auf die Industrie 4.0: Roboter führen nicht mehr nur vorgefertigten Aufgaben aus, sie entscheiden komplett autonom. Dabei sind die zu handhabenden Objekte bewusst sehr unterschiedlich gewählt und können an verschiedenen Positionen verstreut sein.
IMG: Klingt kompliziert und keineswegs nach Spielerei. Wie sind Studierende gestrickt, die in den Robotik-Teams mitarbeiten?
Zug: Generell lösen Roboter eine Faszination aus. Es gibt schon seit Jahrhunderten Automaten, die quasi-intelligent eine bestimmte Aufgabe verrichten. Faszination allein reicht aber nicht. Wir suchen Studierende, die ein breites Wissen mitbringen oder sich erarbeiten wollen und entsprechend bereit sind, ihre Freizeit dafür aufzuwenden, um das Team voran zu bringen. Das klingt erst mal nach sehr viel Aufwand, aber wir wissen auch: Wer einmal sieht, dass ein Roboter in seinen Bewegungen und seinem Verhalten genau das macht, was man selbst programmiert oder dessen mechanischen Aufbau man geplant hat, der bleibt dabei.
Steup: Ich finde, sogar, das hat einen Schöpfercharakter. Die Studierenden entwickeln eine starke Bindung zu den Systemen. Der Roboter wird damit Teil des Teams, ein gleichwertiger Partner, um den man sich auch sorgt.
Zug: Und insbesondere in der Wettbewerbssituation nimmt das Suchtcharakter an: Man möchte den Fehlerteufel besiegen, der im Hintergrund wütet. Das setzt viele Energien frei.
IMG: Schwierigkeiten als Herausforderung zu sehen, kann im Berufsleben ein entscheidender Vorteil sein.
Zug: Auf jeden Fall. Das gilt insbesondere für die Arbeit im Team. Die Studierenden müssen sich aufeinander einstellen, die Kompetenzen und Sichtweisen jedes Einzelnen berücksichtigen, wenn zum Beispiel spezifische Schnittstellen zwischen Programmteilen einzubauen sind. Der Vorteil liegt auf der Hand: Man lernt, im Team zu arbeiten, und es gibt einen hocheffizienten Wissenstransfer.
Steup: Das Team ist immer motivierter als einer allein. Das ist im Robotik-Komplex wichtig, weil die Arbeitsschritte aufeinander aufbauen. In unseren Meetings stellen sich die Studierenden gegenseitig die Frage: Was hast du in deiner Freizeit getan, um unser Projekt voranzubringen? Abducken gibt es da nicht.
IMG: Die Projekt-Teams arbeiten interdisziplinär. Fördern Sie diese Herangehensweise auch mit Blick auf die geänderten Anforderungen der Wirtschaft?
Zug. Viele Forschungsfragen lassen sich gar nicht mehr aus einer Fakultät heraus lösen: Mal wissen die Elektrotechniker besser bescheid als die Informatiker, mal brauchen wir Leute, die sich mit der Bewegungsthematik der Roboter auskennen. Der interdisziplinäre Gedanke ist heute wichtiger als vor zehn Jahren: Informationstechnik durchzieht unseren kompletten Alltag. Sie steckt als Etikett in der Kleidung oder als Chip im Kühlschrank. Die Informatiker haben sich längst vom reinen Bildschirm verabschiedet.
Steup: Das gilt wiederum auch für die Maschinenbauer: Maschinen arbeiten heutzutage computergesteuert. Vieles wird nicht mehr mechanisch, sondern mit einem Prozessor gelöst. Maschinenbauer werden also in ihrer praktischen Arbeit ständig mit Informatik konfrontiert. Die Robotik knüpft wird dieser Entwicklung gerecht – sie ist eine integrative Wissenschaft.
IMG: Wie geht die Universität damit um, dass Fakultätsgrenzen verwischen?
Zug: Die Robotik wird inzwischen von drei Fakultäten getragen: dem Maschinenbau, der Elektrotechnik und der Informatik. Die Universität bekennt sich damit ganz klar zu dieser Wissenschaft. Man kann sagen: Sie ist in der Breite im universitären Betrieb angekommen. Inzwischen gibt es größere Forschungsprojekte zu Robotik-Themen und eine Vielzahl von Abschlussarbeiten. Gleichzeitig kann die Robotik als „Publikumsmagnet“ ein Puzzleteil im Wettstreit um die pfiffigsten Studenten sein.
IMG: Gibt es inzwischen auch einen Transfer des Wissens in die Wirtschaft?
Zug: Das gehen wir an. Zur langen Nacht der Wissenschaft werden wir uns und unsere Projekte vorstellen. Wir wollen mit solchen Unternehmern ins Gespräch kommen, die selbst forschen, die Automatisierungen planen oder bereits autonome Roboter im Einsatz haben. Große Ingenieurbüros zum Beispiel, und Unternehmen aus den Bereichen Mobilität und Prüfung.
IMG: Wie nah ist Ihre Forschung derzeit überhaupt dran an dem, was die Wirtschaft bewegt?
Zug: Näher, als man auf den ersten Blick meint. Ich zum Beispiel beschäftige mich mit Sensordaten. Wie verlässlich sind sie? Wie kann ich sie bewerten? Wann verlasse ich mich auf welchen Sensor? Und da sind wir ganz nah am autonomen Fahren. Die Automobilindustrie geht in großen Schritten Richtung führerloses Fahrzeug. Noch gibt das autonome System die Kontrolle an den Fahrer zurück, wenn eine unklare Situation besteht. Besser wäre es doch, wenn das System die Qualität der Daten selbst bewerten kann und eine Lösung für das Fahrzeug findet, das zu dem jeweiligen Problem passt.
IMG: Also einfach stehenbleiben, wenn der Abstandssensor bei Regen schlechte Messergebnisse liefert?
Zug: Vielleicht nicht stehenbleiben, aber das Tempo verringern oder die Daten von anderen Fahrzeugen abfragen und sich so vergewissern. Wir gehen also einen Schritt weiter, weg vom Roboter, der mit Sensoren vollgepackt ist. Denn dank der technischen Entwicklung sind wir überall von Sensoren umgeben. In der intelligenten Haussteuerung, in unseren Telefonen, in den Fahrzeugen. Diese Daten können Roboter für sich nutzen. Und dazu wollen wir dann eben auch wissen: Wie verarbeite ich solche Daten sinnvoll, sodass sie mir bei der Bewältigung meiner Aufgabe helfen. Ein großer deutscher Automobilkonzern findet das durchaus spannend. Eine unserer Absolventinnen schreibt darüber ihre Doktorarbeit.
Steup: Um auf den RoboCup zurückzukommen: Er ist auch dafür ein prima Testfeld. Hier gibt es komplexe Zusammenhänge und ein komplexes Sensorverhalten und vor allem echte Sensoren mit echten Daten und auch echten Eigenheiten, an denen wir unsere Theorien, Berechnungen und Modelle überprüfen können.
IMG: In einem sehr spannenden Projekt spielt der Elbauenpark eine tragende Rolle.
Zug: Sehr richtig! Wir sind dabei, ein autonomes Fahrrad zu entwickeln. Korrekterweise muss man sagen: ein Dreirad. Es kann sich selbstständig im Elbauenpark bewegen. Wenn Sie den Park besuchen, bestellen Sie es sich über eine App zum Eingang. Dort wartet es auf Sie, und Sie radeln los. Am Ende stellen Sie das Rad einfach ab. Kein Anschließen mehr, kein Zurückbringen. Das Rad fährt allein zurück zum Depot.
IMG: Wie praktisch! Schade, dass es so was nur im Elbauenpark geben wird.
Zug: Wir sind ja erstmal in Finanzierungsplanung und machen erste grundlegende Experimente. Ende 2016 sollen die autonomen Räder dann für Besucher bereit stehen. Wenn das alles gut funktioniert, könnte man solche Räder auch am Bahnhof aufstellen, sodass niemand mehr sein Rad im Zug mitzunehmen braucht.
Autorin: Kathrin Wöhler