Die Paket-Rakete – ein Schwung-Rad für die Verkehrswende

In Magdeburg wird ein europaweit einzigartiges Konzept zur nachhaltigen Güterverteilung realisiert

In Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt Magdeburg wird ein Hub-&-Spoke-System für die letzte Meile der Paketzustellung aufgebaut. Die „Paket-Rakete“ ist Teil einer Kombination aus Urban Hub, Mikro-Depot, stationären und mobilen Paketstationen und der Zustellung mit dem E-Lastenrad. Dieses innovative Projekt der nachhaltigen Güterverteilung über mehrere Distributionsstufen ist ein bislang europaweit einzigartiges Forschungsvorhaben mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft.

Es geht tatsächlich ab wie eine Rakete, das Elektro-Lastenrad mit der Aufschrift „Paket-Rakete“, am Lenker Hartmut Zadek, Professor für Logistik an der Otto-von-Guericke-Universität (OVGU) Magdeburg. Sein Gefühl liegt zwischen Fahrrad- und Motorradfahren. Gern probiert der Wissenschaftler auch „praktisch“ selbst aus, was das Institut für Logistik und Materialflusstechnik (ILM) an innovativen Anwendungslösungen entwickelt. Er legt den Rückwärtsgang ein und betont, dass dies vom Start-up ONO entwickelte E-Lastenrad das erste sei, das damit ausgestattet ist. Mehr noch: Die „Paket-Rakete“ gilt aufgrund der Ausstattungsmerkmale als erstes E-Lastenrad, das den Anforderungen für gewerbliche Zwecke gerecht wird. Auf dessen Wechselbehälter prangt neben anderen das Logo der Mediengruppe Magdeburg. Deren „biber post“ will ihre Pakete zunächst in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt mit dem E-Lastenrad zustellen

Die klassische Auslieferung von Paketen auf der sogenannten letzten Meile innerhalb von Ortschaften erfolgt aktuell noch überwiegend mittels Diesel-Transporter. Das erzeugt Verkehrsbehinderungen, Lärmbelästigungen, Ärger wegen zugeparkter Straßen und Fußwege – und vor allem gesundheitsschädliche Abgase. „Dessen ungeachtet werde sich das Aufkommen der Kurier-, Express- und Paketdienste in den nächsten 15 Jahren verdoppeln“, prophezeit der Logistikprofessor und ist skeptisch, ob sich die Menschheit zur Konsumeinschränkung bewegen lassen werde. „Da sind wir Logistiker gefragt; wir eröffnen Wege zu mehr Nachhaltigkeit, indem wir die Prozesse neugestalten“, sagt Professor Zadek.

Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit im Einklang

Nicht von ungefähr parkt er das E-Lastenrad neben einer alten Dampfmaschine, einem technischen Denkmal auf dem Uni-Campus. „Die industrielle Revolution“, sagt er, „war die Initialzündung für das Spezialisierungsdenken. In der Logistik wird Fachwissen wieder zusammengeführt. Der Wissenschaftler verweist auf die Wirksamkeit  interdisziplinärer Lösungen. Sie seien für Unternehmen Best-Practice-Beispiele dafür, dass sich Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht ausschließen.

Die „Paket-Rakete“ findet  europaweite Beachtung. Sie ist Teilprojekt des Verbundvorhabens „Nachhaltiger Paketdienst durch kombinierten Verkehr auf der letzten Meile mit Mikro-Depots in Magdeburg“, kurz „Paket-KV-MD2“. Das Bündnis setzt sich aus dem Institut für Logistik und Materialflusstechnik der OVGU, der Mediengruppe Magdeburg und dem Magdeburger Engineering-Unternehmen FIApro zusammen. „Paket-KV-MD2“ wird aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert. Denn auch auf europäischer Ebene werde erkannt, welch hohes Potenzial im Lastenrad stecke, sagt Zadek.

Einsatz von E-Lastenrädern ist zukunftsweisend und nachhaltig

Die Nachhaltigkeit, so der Professor, trage der Lehrstuhl für Logistik schon seit mehr als drei Jahrzehnten in den Genen. „Anfangs waren es die Abfall- und Kreislaufthemen. Jetzt fokussieren sich Forschung und Lehre auf innovative Lösungen zur Gestaltung von logistischen Prozessen, Systemen und globalen Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken hinsichtlich ihrer Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit – was längst keine abstrakten Zielstellungen mehr sind angesichts der drastisch spürbaren Auswirkungen der klimatischen Veränderungen“, sagt der Professor. Sein Ansporn in Forschung und Lehre ist, dass seine Absolventinnen und Absolventen als Entscheidungsträger und Führungskräfte von morgen in den unterschiedlichsten Bereichen den Einsatz neuer Technologien im Sinne der Nachhaltigkeit forcieren. „Mit ihren wissenschaftlichen und zugleich anwendungsnahen Erkenntnissen und Kompetenzen trägt die Logistik zum nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel bei“, sagt Zadek und benennt die Verkehrswende als eine der großen Herausforderungen unserer Zeit.

„Wir sind die Generation, die diese Probleme lösen kann“ – Gianna Kurtz (25) war mit dieser Motivation vor einem Jahr nach Magdeburg gekommen, nachdem sie in Salzgitter Transport-, Verkehr- und Logistikmanagement studiert hatte. Sie leitet das „Paket-KV-MD2“-Projekt. Auch Kai Hempel (26) ist hier wissenschaftlicher Mitarbeiter. Der gebürtige Göttinger hatte an der Uni Magdeburg Wirtschaftsingenieur Logistik studiert. Explizit mit diesem Studiengang hat die Otto-von-Guericke-Universität sogar einen „unique selling point“, ein Alleinstellungsmerkmal im deutschsprachigen Raum.

Software „packt“ Wechselcontainer

Das Team von Gianna Kurtz und Kai Hempel begleitet das „Paket-KV-MD2“-Projekt und wird es unter ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten evaluieren. Dabei werden nicht nur die verschiedenen Nachhaltigkeits-Faktoren im Vergleich zu herkömmlichen Zustellungsmethoden mit Diesel- oder Benzinfahrzeugen berechnet. Auch die Akzeptanz unter den Zustellern und Zustellerinnen spielt eine Rolle. Immerhin bewegen sie an die 400 Kilogramm, denn die Paket-Rakete-Lastenräder sind mit eigens entwickelten rollbaren Aufbauten unterwegs. Bei deren Konfektionierung in den Stationen hilft eine ganzheitliche Softwarearchitektur.

Gerade koordinieren Gianna Kurtz und Kai Hempel den Aufbau von insgesamt drei Paketstationen. Die Mediengruppe Magdeburg ist innerhalb von „Paket-KV-MD2“ der federführende Akteur aus der Wirtschaft. Sie will den Klimaschutz als Geschäftsmodell etablieren: Die Kombination von Urban-Hub, Mikro-Depot, stationären und mobilen Paketstationen sowie E-Lastenrädern ist bislang europaweit  einzigartig.

Im Spätsommer startet das Pilotprojekt in seine erste Testphase. Das heißt: Im Stadtzentrum von Magdeburg wird deutschlandweit erstmals ein „Hub-&-Spoke-System“ aufgebaut. Professor Zadek erklärt den Begriff aus der Logistik am Bild vom Rad mit seiner Nabe und seinen Speichen: „Die Nabe ist das Hub, und über die Speichen wird nach außen in die Mikro-Depots in den Stadtbezirken verteilt.“ Die E-Lastenräder sind zwischen den stationären Paketstationen, den Mikro-Depots im Quartier und den Empfängern unterwegs.

Die biber post-Zusteller bekommen eine für diesen Prozess entwickelte mobile App.

Gianna Kurtz und Kai Hempel sind ganz gespannt, wie sich das „Paket-Rakete“-Konzept in der Praxis bewährt. Sie glauben fest an eine große Zukunft für das E-Lastenrad. Für ihren Professor ist das keine Frage, denn „... Logistiker bewegen Großes, wenn sie mit Leidenschaft bei der Sache sind.“

Autorin: Kathrain Graubaum/IMG Sachsen-Anhalt

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