Hocheffiziente Chemie und Ressourcenschonung
Italienische Investition bringt sie im Industriepark Zeitz in Sachsen-Anhalt zusammen
Mit modernem Heizkraftwerk für seine Adipinsäureproduktion hält Radici Chimica mit der Zukunft Schritt
Arbeiter fahren mit dem Fahrrad über das weitläufige Gelände. Ein Gewirr aus blitzenden Leitungen und Rohren, haushohe kompakte Anlagen, Reaktoren, Silos, Kessel. Alles, um am Ende aller chemischen Prozesse ein Pulver zu erhalten: Adipinsäure. Gekühlt, getrocknet und mehrfach gereinigt sieht sie beinahe wie Milchpulver aus. Die Kristalle sind weiß, geruchlos, nicht giftig. „Adipinsäure ist ein wichtiges Vorprodukt zur Herstellung vieler Kunststoffe“, sagt Jens Metzner. Er leitet das Werk der Radici Chimica Deutschland GmbH im Chemie- und Industriepark Zeitz im Süden des deutschen Bundeslandes Sachsen-Anhalt. Das weiße Pulver dient vor allem der Herstellung von Nylon. Vielen eher bekannt als ein Kleidungsstück der 1960er Jahre, ist diese Chemiefaser heute etwa in der Wetter- und Wettkampfkleidung enthalten. Auch in Schuhsohlen, Schaumstoff-Matratzen und sogar in Zahnbürsten. Auch bei der Erzeugung von sogenannten Polyurethanen, bestimmten Kunststoffen und Weichmachern wird die Zeitzer Adipinsäure verwendet. Sie ist in Airbags, aber auch in den weichen Kunststoff-Armaturenbrettern enthalten. „In weiter verarbeiteter Form findet sie sich praktisch in allen Bereichen des täglichen Lebens wieder“, sagt Metzner. Seit 1999 bereits ist der gebürtige Bremer im Zeitz Werk beschäftigt. Er hat es mit aufgebaut.
„Radici“ ist italienisch. In den 1940er Jahren hatte Pietro Radici in Oberitalien zunächst Textilfirmen gegründet. Später kamen auch Kunststoffunternehmen hinzu. Nach 1990 hat die Radici-Group – weltweit heute mit etwa 3500 Mitarbeitern und rund einer Milliarde Euro Umsatz – ihre Marktposition im Bereich Technische Kunststoffe weiter ausgebaut und um die Produktion von Chemikalien erweitert. Ein wichtiges Projekt dabei war die Ansiedlung der Adipinsäure-Produktion in Sachsen-Anhalt. Rund 230 Millionen Euro wurden hier bislang investiert.
2002, nach nur drei Jahren Bauzeit, lief die Produktion an. Heute hat der Komplex eine Kapazität von 107 000 Tonnen jährlich erreicht. „Wir sind ein reiner Hersteller. Übrigens auch das einzige Werk in Europa, das die Adipinsäure nur produziert und nicht vor Ort weiterverarbeitet“, sagt Werkleiter Jens Metzner. Das weiße Pulver aus dem Industriepark Zeitz in Sachsen-Anhalt wird an Kunden in Deutschland und Europa exportiert, aber auch in Taiwan oder Korea gibt es Abnehmer.
Radici Chimica Deutschland hat in Zeitz 200 Mitarbeiter. Damit ist das Unternehmen der größte Betrieb auf dem Gelände des ehemaligen Zeitzer Hydrierwerkes. 23 Millionen Euro von Bund und Land sind in Erschließung und Sanierung des neuen Industrieparks geflossen. „Der Standort bietet viele Vorteile. Hier gibt es die Rohstoffe, die wir brauchen. So wird Wasserstoff per Pipeline aus Leuna geliefert. Außerdem gab es hier in der Region die benötigten Fachkräfte. Und die Fördermittel in Sachsen-Anhalt haben natürlich auch eine Rolle gespielt“, sagt Pio Gazzini, Technischer Direktor der Radici Chimica. Er hat als Werkleiter bis 2005 die Fabrik des norditalienischen Konzerns in Zeitz mit aufgebaut. Mitte der 1990er Jahre wollte man zudem von Mitteldeutschland aus die Märkte im Osten besser erschließen. Ein weiterer Grund, sich für den Standort in Sachsen-Anhalt zu entscheiden.
Bei seinem Besuch des Unternehmens sprach Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Hartmut Möllring mit Pio Gazzini und Jens Metzner. „Wir sind sehr froh, das Unternehmen in Sachsen-Anhalt zu haben. Das Land wird auch weiterhin alles dafür tun, ein bestmögliches wirtschaftliches Umfeld zu schaffen“, betonte der Minister.
Gleichwohl investiert Radici weiter in seine moderne Produktionsstätte und stellt Weichen für die Zukunft des Unternehmens. Zuletzt mit einer besonders zukunftsfähigen Investition. Ein modernes Heizkraftwerk wurde gebaut, das den gesamten Dampfbedarf von Radici Chimica ganzjährig sichert und mittels Kraft-Wärme-Kopplung einen Teil des Stromverbrauchs des Unternehmens abdeckt. Neben der hocheffizienten und wirtschaftlichen Energieversorgung wird in der neuen Anlage das im Produktionsprozess anfallende klimaschädliche Lachgas fast vollständig abgebaut. Das nutze der Umwelt, spare Energie und Geld, so Metzner.
Im Industriepark Zeitz werden 310 Tonnen Adipinsäure am Tag produziert, rund um die Uhr laufen die Anlagen. Gearbeitet wird im Dreischichtbetrieb. In der „Auslieferung“ stehen in langen Reihen Big Bags bereit, große Säcke, 500 bis 1000 Kilogramm schwer. Per Lkw oder in Kesselwagen verlassen sie das Werk. Die Adipinsäure-Produktion basiert auf zwei Verfahren und nur vier Rohstoffen. Täglich werden im Werk aus Ammoniak und Sauerstoff 266 Tonnen Salpetersäure hergestellt. Jeden Tag entstehen zudem um etwa 250 Tonnen Superol – eine Reaktion zwischen Phenolen aus Leuna und Wasserstoff, den Radici über Pipelines ebenfalls aus Zeitz oder aus dem benachbarten Böhlen erhält. Angeheizt von Katalysatoren entsteht aus Salpetersäue und Superol unter großer Hitze die Adipinsäure. Die lässt sich übrigens auch in Zuckerrüben oder in Roter Bete nachweisen und wird sogar als Säuerungsmittel in Lebensmitteln verwendet.