Neuseeland im Harz

Seit November gehen im Harz die Touristen in die Luft: An Europas längster Doppelseilrutsche sausen die Besucher über das Rappbodetal. Maik und Stefan Berke, Brüder und Betreiber der "Megazipline", hatten vor zwei Jahren ihre Jobs als Handwerker an den Nagel gehängt, um in den Harz zurückkehren zu können. Mit ihrer Firma Harzdrenalin schreiben sie seither Erfolgsgeschichte.

Haben Sie als erster die Megazipline getestet?

Maik Berke: Genau genommen war es der technische Leiter unserer Baufirma, aber danach bin ich geflogen. Schließlich war es wichtig, dass ich am Leben bleibe (lacht).

Und, wie war Ihr Jungfernflug?

Wahnsinnig befreiend, nach vier Jahren Planungs- und Bauzeit, Ringen mit sich selbst und dem ganzen Papierkram.

Wie kamen Sie darauf, als Handwerker umzuschwenken auf Erlebnistourismus?

Dazu muss man wissen: Mein Bruder und ich waren bundesweit unterwegs, wir haben Balkons und Wintergärten für einen Hersteller von Fertighäusern geplant und gebaut. Aber wir wollten beide zurück. Wir kommen aus Elbingerode, hier leben unsere Familien. Abends mal einen Videochat oder die Kinder am Telefon - das zermürbt, obwohl wir gut verdient haben. Uns war klar: Als Handwerker wird das hier nicht funktionieren. In dieser dörflich geprägten Region könnten wir uns keinen solch zahlungskräftigen Kundenstamm aufbauen, wie man ihn in den Vororten von Großstädten findet. Die Idee kam uns nach einem Ostseeurlaub. Wie auf Rügen gibt es in Halberstadt eine Hauptachse, nur hier eben in den Harz. Da sieht man alle möglichen Nummernschilder. Deshalb kam für eine Selbständigkeit nur der Tourismus infrage, das Zugpferd der Region schlechthin. Sie haben sich dem Aktivurlauber gewidmet.

Weil Sie selbst Kicksucher sind?

Genau. Zum Urlaub gehören für mich Jetski, Bungee- oder Fallschirmspringen. Und ich schwärme für Neuseeland. Weil die es dort schaffen, Naturschutz, Abenteuer und Tourismus unter einen Hut zu bekommen. Also sind Stefan und ich losgefahren und haben uns mal das Rappbodetal angeschaut – das ist ja ein bisschen wie Neuseeland.

Warum hat Harzdrenalin mit Segwaytouren angefangen, statt mit der Megazipline?

Wir mussten uns überlegen, wie wir gut von der einen Branche in die andere wechseln können. Deshalb haben wir die drei Schritte geplant: Segwaytouren, Wallrunning und Seilrutsche. Die Segways waren für den Einstieg ideal: Geräte kaufen, Touren festlegen - und los. Wir konnten Erfahrungen sammeln; schließlich können wir unseren Angestellten nur etwas vermitteln, von dem wir selbst Ahnung haben. Die Kollegen hielten uns dann den Rücken frei zum Aufbau des nächsten Segments. Als das Wallrunnig, also das horizontale Abseilen an der Talsperre, fertig war, lief die Planung für die Megazipline schon auf Hochtouren. Das klingt alles nach glattem Ablauf.

Welche Hürden gab es denn zu meistern?

Die Reihenfolge hat gestimmt, aber der Zeitplan nicht. Wir waren zu optimistisch, was die behördlichen Genehmigungen angeht. Nach ein paar schlaflosen Nächten wurde dann auch mir klar, dass es so laufen musste. Da steht plötzlich einer vor der Tür, der bittet, Europas größte Seilrutsche zu bauen. Logisch, dass keine Behörde sagt: Kein Problem, hier ist Ihr Formular. Wir haben mit unserem Projekt an den Grundsätzen behördlicher Genehmigung gerüttelt.

Inwiefern?

Zum Beispiel: Was ist das für ein Bauwerk? Normalerweise berechnet man die Kosten eines Bauantrages nach den Ausmaßen des Bauwerkes. Unser "Gebäude" ist einen Kilometer lang, hat auf der einen Seite einen Turm und auf der anderen ein Fundament. Selbst als geklärt war, dass wir eine Genehmigung für Sport- und Freizeitanlagen brauchten, musste man bedenken: Wer darf so ein Ding, das es nur ein einziges Mal in Europa in dieser Art gibt, prüfen und zulassen? Welche DIN-Norm passt da? Und wie genehmigt man etwas, das über zwei Gemarkungen geht? Die Megazipline startet in der Stadt Oberharz am Brocken, das Ziel liegt in Thale.

Würden Sie trotz der Schwierigkeiten wieder in Sachsen-Anhalt bauen?

Natürlich. Es war ja nie kontraproduktiv. Die Touristiker waren sowieso begeistert, und die Behörden haben viel möglich gemacht. Es gab Sondertermine mit Telefonkonferenzen innerhalb weniger Tage, an denen mehrere Ämter beteiligt waren.

Haben regionale Firmen an der Seilrutsche mitgebaut?

Wir haben eine Firma aus dem Allgäu engagiert, weil wir einen Spezialisten brauchten. Das Unternehmen hat die technischen Leitung gestellt und Gewerke zusammengestellt. Aber dann haben wir gesagt: Einen Tiefbauer haben wir auch hier, einen Ingenieurgeologen und einen Vermesser müssen wir nicht aus dem Allgäu kommen lassen. Nur wenige Teile wie die Seile mussten aus dem Allgäu geliefert werden.

Was ist das Besondere den Seilen?

Es gibt diese Seile so ähnlich auch in Seilbahnen. Aber nicht mit einem Durchmesser von 12 Millimetern bei einer Länge von einem Kilometer. Normalerweise geht es bei solchen Spannweiten um Seile mit 36 oder 48 Millimetern Durchmesser. Wir brauchten aber die dünnen Seile, damit sie um die fliehkraftgebremsten Spezialrollen passen. Ansonsten wären Bremsen nötig gewesen, die wiederum Strom brauchen. Spezialfirma, Spezialseile - das klingt teuer. Zusammen haben wir in die drei Projekte 600.000 Euro investiert, wobei diese Summe eine Förderung der Investitionsbank Sachsen-Anhalt von 180.000 Euro enthält, die wir für die Seilrutsche bekommen haben. Seit November 2012 ist die Megazipline eröffnet.

Wie geht es jetzt weiter mit Harzdrenalin?

Ab April 2013 wächst das Team schrittweise auf zehn feste Mitarbeiter.

Wer sind Ihre Kunden?

Da lässt sich auch keine Tendenz feststellen. So wollten wir es auch – passend für den breiten Tourismus: Es geht uns nicht um den Adrenalinjunkie, dafür hätten wir die Anlage viel extremer ausbauen können: Statt mit 80 mit 160 km/h über das Tal fliegen, und statt der sanften Bremsung durch die Fliehkraft ein aktives Stoppen, wodurch enorme Kräfte auf den Körper wirken. Dafür gäbe es aber nicht genug Kunden.

Wie bringen Sie selbst Ihr Projekt unter die Leute, wenn das Medieninteresse abflaut?

Wir schalten Radiowerbung, versenden einen Newsletter und trommeln in den sozialen Netzen. Mit Erfolg: Die Zugriffe auf unsere Website steigen, das Weihnachtsgeschäft mit Gutscheinen läuft. Und: Wir wollen im Harz der Alternativanbieter für Erlebnisurlaub werden. Das heißt, wir bündeln die bereits vorhandenen Angebote abseits von Sightseeing, Wandern und Skifahren unter der Marke Harzdrenalin. Paragliding, Huskytouren, Panzerfahren, Paintball - so, wie ich als Harztourist am Schloss von Wernigerode nicht vorbei komme, sollen Erlebnisurlauber nicht mehr an Harzdrenalin vorbeikommen.

www.harzdrenalin.de

Autorin: Kathrin Wöhler

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