Faserverbundkunststoffe mit integrierten Sensoren halten mit Leichtigkeit viel aus
Forschungspartner in Mitteldeutschland bündeln Kompetenzen zur Entwicklung neuer intelligenter Werkstoffe
Sportgeräte, Orthesen zur Stabilisierung von Kniegelenken oder Strukturbauteile für Flugzeuge müssen leicht sein und dabei hohen Belastungen sicher standhalten. Filamentsensoren sollen eine wirtschaftliche Zustandsüberwachung in solchen Leichtbaustrukturen aus faserverstärkten Kunststoffen ermöglichen. Im mitteldeutschen Forschungsverbundprojekt EFFI-Sens werden Wege zur effizienten Sensorierung interdisziplinär erforscht. Zahlreiche Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft aus dem deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt tragen dabei zur Entwicklung bei.
Forschungsbündnis für den Material-Überwacher
Materialeffizienz heißt Kosteneffizienz, denn immerhin liegt der Materialkostenanteil im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland bei 35 bis 55 Prozent. Materialeffizienz spart Kraftstoff, reduziert Emissionen und schont die natürlichen Ressourcen. Enormes Potenzial bieten faserverstärkte Kunststoffe, sie ermöglichen die Fertigung maßgeschneiderter Bauteile zum Beispiel für Flugzeuge, Boote und Pkw, für medizintechnische Produkte oder auch für die Rotorblätter von Windkraftanlagen.
„All diese Teile sollen nicht nur material- und gewichtsoptimiert hergestellt werden, sie müssen zum Teil starken und wechselnden Belastungen über lange Zeiträume standhalten und dabei ihre Funktion jederzeit sicher erfüllen. Das erfordert eine zuverlässige Zustandsüberwachung der Werkstoffe an den hochbeanspruchten Stellen“, sagt Dr. Ralf Schlimper, Leiter der Arbeitsgruppe Bewertung von Faserverbundsystemen im Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle.
Das Forschungsprojekt EFFI-Sens der Forschungsvereinigung Fördergemeinschaft für das Süddeutsche Kunststoff-Zentrum e.V., gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, stellt sich dieser Herausforderung zur Entwicklung entsprechend intelligenter Materialien. Wissenschaftler des Fraunhofer IMWS in Halle in Sachsen-Anhalt, des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU mit Standorten in Dresden, Chemnitz und Zittau sowie SKZ – Das Kunststoffzentrum mit seinem Standort in Halle in Sachsen-Anhalt bündeln hierfür ihr Know-how.
Im projektbegleitenden Ausschuss wirken mitteldeutsche Unternehmen aus Thüringen, Sachsen sowie aus Sachsen-Anhalt mit, die faserverstärkte Kunststoffe weiterverarbeiten oder Bauteile und Baugruppen aus diesen Werkstoffen einsetzen. Dazu gehören in Sachsen-Anhalt der innovative Hersteller von Kunstflugzeugen XtremeAir in Cochstedt und die FVK Faserverstärkte Kunststoffe Dessau GmbH,
Den Sensor ans Bauteil legen
Bei EFFI-Sens liegt der Fokus auf Filamentsensoren auf der Basis von pseudoelastischen Formgedächtnislegierungen, bei denen über die Belastung hinaus im Material eine reversible Phasenumwandlung und damit eine Formänderung stattfindet. Die Sensoren ermöglichen eine lastgerechte Auslegung und zerstörungsfreie Prüfung der Bauteile. Spezialist auf diesem Gebiet ist das Fraunhofer IWU. „Durch die Phasenumwandlung wird eine starke elektrische Widerstandsänderung hervorgerufen. Diese machen wir uns als Sensoreffekt zur Messung von Dehnungen nutzbar“, sagt Dr. Thomas Mäder, Leiter des Teilprojekts am Fraunhofer IWU. Das Institut entwickelt Sensoren, erforscht und testet das Verhalten unterschiedlicher Legierungen, stellt Sensoren bereit und baut sie prototypisch ein. Im Projekt werden vom Fraunhofer IWU zudem Verfahren zur Sensorherstellung und -kontaktierung erarbeitet.
Der Standort Halle des SKZ – Das Kunststoff-Zentrum beschäftigt sich mit Technologien in der Herstellung von Faserverbundstoffen und untersucht, wie die vom Fraunhofer IWU bereitgestellten Sensoren am besten mit der Faserverbundstruktur verbunden werden können und was bei der Materialauswahl zu beachten ist. „Zwei Wege sind möglich und werden parallel erforscht: Die feinen Drähte können bei der Herstellung des Bauteils direkt in die Faserverbundstruktur eingebracht werden oder auf die ausgehärtete Struktur appliziert werden“, erklärt Dr. Jana Fiedler, Leiterin des Teilprojektes des SKZ.
Von der Projektgruppe des Fraunhofer IMWS werden die hergestellten Muster schließlich getestet und analysiert, um die Qualität des Messsignals bewerten zu können: „Das Verfahren muss verlässlich und reproduzierbar sein. Auf der Grundlage der Messergebnisse erfolgt die Interpretation, welche Last kurzeitig tolerierbar ist oder wann die Last kritisch wird und welches Signal an den Anwender gegeben werden soll“, sagt Dr. Marianne John, Leiterin des Teilprojekts am Fraunhofer IMWS.
Digitale Lösung für den Werkstoff 4.0
EFFI-Sens ist ein Aspekt eines großen Forschungskomplexes, der sich mit der Entwicklung maßgeschneiderter Faserverbundstrukturen entlang der gesamten Wertschöpfungskette befasst. Dazu gehören zum Beispiel das Forschungsprojekt DigiLab oder die Initiative Materials Data Space. Bei DigiLab erforschen und entwickeln Wissenschaftler des Fraunhofer-Pilotanlagenzentrums für Polymersynthese und -Verarbeitung PAZ in Schkopau eine virtuelle Entwicklungsplattform für die Rezeptierung und Verarbeitung von maßgeschneiderten Thermoplasten. Im Materials Data Space der Fraunhofer-Gesellschaft geht es um die Sensorierung von Materialien und Produktionsprozessen und die Verarbeitung und Auswertung der dabei anfallenden riesigen Datenmengen. Ziele sind zum Beispiel, das Strukturverhalten von Werkstoffen und Bauteilen im Einsatz vorherzusagen, ein umfassendes Bild des Materialzustandes über den kompletten Lebenszyklus zu erhalten oder die Identifikation von originalen Bauteilen zu sichern.
Auf der Grundlage dieser Innovationen können Bauteile lastgerecht ausgelegt und zerstörungsfrei geprüft sowie Entwicklungszeiten für neue Produkte erheblich verkürzt werden. Hohe Kosteneffizienz und Sicherheit sind so auch bei einer steigenden Kundennachfrage nach individuellen Komponenten und der damit verbundenen Variantenvielfalt beherrschbar.
Autor: Bettina Koch