Die Wiege des Chemieparks
Energie ist ein wesentlicher Faktor der Chemieproduktion. Energiekosten sind deshalb ein entscheidendes Standortkriterium. Der Chemiepark Leuna, im Süden des deutschen Bundeslandes Sachsen-Anhalt gelegen, ist heute einer der größten und traditionsreichsten Chemiestandorte Deutschlands. Die mehr als 100 Unternehmen, die hier angesiedelt sind, können jetzt aus einem neuartigen Mitteldruckdampf-Versorgungssystem auf günstige und zuverlässige Weise Energie beziehen. Vereinfacht gesagt wird die Abwärme eines nahegelegenen abfallgefeuerten Kraftwerkes der MVV Umwelt GmbH geliefert. Eine drei Kilometer lange Leitung wurde gebaut, um die zusätzliche, kosteneffiziente Dampfquelle für die Unternehmen in Leuna zu erschließen. „Durch die Inbetriebnahme wird die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität des Chemiestandortes Leuna substanziell verbessert“, sagt Christof Günther, der Geschäftsführer der InfraLeuna. Seit 2004 ist er bei der InfraLeuna GmbH tätig, der Standortbetreibergesellschaft des mit 1300 Quadratmetern größten Chemiestandortes Deutschlands.
„Die Inbetriebnahme des neuen Dampfversorgungssystems ist auch eine Bestätigung des in Sachsen-Anhalt entwickelten Chemiepark-Modells“, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff bei der Inbetriebnahme der Mitteldruckdampf-Systems. Denn mit Leuna steht die Wiege des inzwischen weit verbreiteten „Chemiepark-Konzeptes“ in Sachsen-Anhalt. Damit waren die traditionsreichen Chemiestandorte in Sachsen-Anhalt Vorreiter im globalen Umstrukturierungsprozess der chemischen Industrie.
Die Leuna-Werke waren das größte Unternehmen der Chemieindustrie in der ehemaligen DDR. Mit der Privatisierung der einzelnen Bereiche der Leuna-Werke Anfang der 1990er Jahre wurde das Chemiepark-Modell entwickelt: Die InfraLeuna GmbH ist Eigentümerin und Betreiberin sämtlicher Infrastruktureinrichtungen auf dem Gelände. Sie arbeitet nach dem so genannten Low-Profit-Prinzip. Zu möglichst günstigen und international wettbewerbsfähigen Preisen werden den Chemiepark-Unternehmen sämtliche Infrastrukturdienstleistungen und -lieferungen aus einer Hand angeboten. Die Gesellschafteranteile verteilen sich auf ansässige Unternehmen. Die InfraLeuna ist auch Standortentwickler. Seit 1997 wurden auf 85 Hektar neue Anlagen und Produktionsstätten errichtet. Ein modernes Straßennetz von 40 Kilometer Länge, 90 Kilometer Gleisanlagen sowie 600 Kilometer verlegte Rohrleitungen zwischen den ansässigen Firmen garantieren schnelle Wege innerhalb des Chemiegeländes. Moderne Büros, gut ausgestattete Werkhallen und Lager sowie Serviceleistungen wie Abwasser, Entsorgung, ein werksärztlicher Dienst ergänzen das Servicespektrum, das InfraLeuna betreut. Im Jahr 2016 wird der Standort sein 100. Jubiläum feiern.
Vor 25 Jahren, mit dem Ende der DDR, war überhaupt nicht klar, ob die an vielen Stellen maroden Leuna-Werke überleben würden. Es hat sich gezeigt, dass die Entwicklung als Chemiepark eine Erfolgsgeschichte ist. Seit 1990 haben sich international tätige Konzerne wie ARKEMA, BASF, DOMO, Innospec, Linde, TAMINCO und TOTAL ebenso wie zahlreiche mittelständische Unternehmen im Chemiepark Leuna angesiedelt. 9000 Beschäftigte arbeiten in den mehr als 100 Unternehmen aus zehn Nationen.
Die Arbeitsbedingungen, das Werksgelände, Infrastruktur, die saubere Luft bilden den offensichtlichen Unterschied zu dem, was die Leuna-Werke am Ende der DDR waren. InfraLeuna-Manager Christof Günther kennt das Werk von damals aus der Perspektive des Zugreisenden. „Man sah nur Fackeln, Dunst und Lichter. Es stank. Die Mitreisenden haben immer schon vorher alle Fenster zugemacht“, erinnert sich der Thüringer.
Näher dran, an Leuna, war damals Werner Popp. Nachdem der heutige Prokurist der InfraLeuna in Halle /Saale Wirtschaftsrecht studiert hatte, kam er 1978 als Unternehmensjurist in die Leuna Werke. 28.000 Arbeiter hatte der größte Chemiebetrieb in der DDR, als die Wende kam. 1990 bereits begannen bereits die Verhandlungen mit der Linde AG zur Privatisierung erster Produktionsbereiche. „Das waren spannende Monate, in denen man kaum zum Luftholen gekommen ist“, erinnert sich Popp. Zumal die Geschäftsleitung seinerzeit erkennen musste, dass der Standort nicht als ein einheitlicher Konzern privatisiert werden konnten. Stattdessen wurden Geschäftsfelder ausgegliedert. 1996 war die Privatisierung im Wesentlichen abgeschlossen, die InfraLeuna GmbH geschaffen und damit auch das Chemiepark-Modell. Seit der Wende wurden hunderte Millionen Euro in Umweltprojekte investiert.
Auch das neue Mitteldruckdampfsystem gehört dazu. Es ist Teil der Energieprojektes „ProEnergie2014+“ der Betreibergesellschaft InfraLeuna. „Energie so effizient wie möglich zu nutzen, ist nicht nur klimaschutzpolitisch richtig, sondern spart auch Kosten. Das Projekt der InfraLeuna ist ein schönes Beispiel dafür, wie man eine klima- und ressourcenschonende, sichere und kostengünstige Energieversorgung vor Ort planen und konsequent umsetzen kann. Wir brauchen in Deutschland noch mehr derartige Initiativen. Leuna zeigt, wie es funktioniert!“, sagte Franzjosef Schafhausen, Leiter der Abteilung Klimaschutzpolitik im Bundesumweltministerium bei der Inbetriebnahme des Systems. Und es geht weiter: Im nächsten Jahr wird ein neues Hochdruckdampf-Versorgungssystem gebaut.
Autor: Michael Falgowski
Bild: InfaLeuna GmbH