„Wie der Stahl genutzt wird, kann immer wieder neu erfunden werden“

„Das riecht hier wie in meiner Kindheit“, der ältere Herr aus Bremen erzählt von seinem Heimatdorf und der Schmiede, die es damals dort gab. Seine Augen leuchten ob der Werkzeuge, die er hier  vorfindet. Der ihm vertraute Geruch kommt von den offenen Feuerstellen, in denen die Flammen über der Steinkohle lodern. Wenn die Tür zur Werkstatt in der „Krellschen Schmiede“ mitten im Wernigeröder Stadtzentrum auf steht, lassen die Neugierigen nicht lange auf sich warten. Schnell wird ihnen klar: Das hierist kein Museum. Im Meisterbetrieb von Wolf-Dieter Wittig werden Artikel für Hof, Haus und Garten geschmiedet – von Kerzenständern und Leuchten angefangen über Garderobenhalter, Wetterhähne bis hin zu multifunktionalen Feuerkörben.

 „Und was ist das hier?“, der Bremer zeigt auf eine rechteckige Abdeckung auf dem Fußboden und erfährt, dass sich darunter ein Löschbecken befindet, in dem früher die frisch bezogenen Wagenräder abgekühlt wurden. Derweil trappeln draußen Pferdehufe über das Kopfsteinpflaster. Fahrten mit der Pferdekutsche sind beliebt in der „Bunten Stadt im Harz“ am Fuße des Brockens. Auch Wolf-Dieter Wittig ist mit seiner Schmiedewerkstatt mittlerweile zu einem Tourismusmagneten für die Harzstadt Wernigerode geworden.

Der Schmiedemeister gönnt sich eine Pause auf der Bank am Holunderstrauch im Hof. Er erzählt von seiner zweiten Werkstatt hier in Wernigerode. In der Atelierschmiede hat er die entsprechenden Bedingungen für das Anfertigen von Spezialaufträgen – wie von der Harzer Schmalspurbahnen GmbH (HSB) zum Beispiel oder von Kunden, die ein großes Tor oder ähnliches bestellen. Der Aufbau eines Lufthammers dort beansprucht gerade viel Zeit und Kraft. „Aber der Hammer selber ...“, Wittig kommt ins Schwärmen über die guten alten technischen Leistungen aus der Maschinenbauregion und schlägt eine gedankliche Brücke in die Montanregion Harz, in der das Hüttenwesen tief verwurzelt ist. Wo schon vor unserer Zeitrechnung Eisenerz abgebaut wurde und wo das Schmiedehandwerk seinen Aufschwung nahm. So gesehen fühle er sich in Sachsen-Anhalt, wo nach wie vor sehr viel metallverarbeitende Industrie angesiedelt ist, richtig angekommen mit seinem Handwerksbetrieb, meint Wittig.

Mit dem Umzug samt Schmiedewerkstatt vom mecklenburgischen Zarrentin nach Wernigerode begann für den jetzt 45-Jährigen  wieder  einmal eine neue Etappe auf seinem beruflichen Weg.

Der hatte für den gebürtigen Leipziger mit einer Lehre zum Zerspanungsfacharbeiter einhergehend mit dem Abitur begonnen. Es folgten das BWL-Studium und ein Paar Jahre als Berufssoldat. Und dann die Erkenntnis: Der Weg zum erfüllten Leben muss ihn in kreative Freiräume führen, in denen man sich auch körperlich betätigen, mit beiden Händen etwas schaffen kann. Ein Leben halt, in das das schöne alte Wort „Tagwerk“ gut hinein passt. Vielleicht, meint Wittig, müsse man seinen Lebensweg auch erst in unterschiedliche Richtungen gegangen sein. Erst dann könne man ja erkennen, welches der passende Weg ist. „Wohl auch darum“, sagt der Schmiedemeister, „hat unser Beruf hauptsächlich Seiteneinsteiger.“ Wie der gelernte Maler und Lackierer Patrick Ramin, der über sein Hobby zur Anstellung in Wittigs Schmiede kam und hier seine berufliche Erfüllung fand.

Das 1678 von Michael Krell errichtete Fachwerkhaus mit der historischen und denkmalgeschützten Schmiedewerkstatt darin hatte es Wolf-Dieter Wittig sofort angetan. Die sogenannte „Krellsche Schmiede“ in Wernigerode war bis 1975 in Betrieb und stand dann viele Jahre leer.

Seit fünf Jahren ist Wittig nun beim Restaurieren und Sanieren. Was kein Spaziergang ist. Aber er wolle nicht klagen, schließlich habe er genau solch ein historisches Ambiente gesucht. Nein, nicht der Nostalgie wegen. „Wegen meiner Glaubwürdigkeit!“ Der gertenschlanke Mann schaut schmunzelnd an sich hinunter. „Ich bin nicht der Typ, der zu den landläufigen Vorstellungen von einem Schmied passt. Aber mit dieser alten Werkstatt bin ich sichtbar.“

Wohl wahr. Die „Krellsche Schmiede“ gilt als die älteste noch arbeitende Schmiede Deutschlands. Und natürlich geht es dem Meister nicht nur um seine persönliche Sichtbarkeit, sondern in erster Linie darum, seine künstlerische Ader in diesem Handwerk auszuleben. „Es auch zum geschäftlichen Erfolg zu führen, gelingt in einer Handwerker-Gemeinschaft mit sich ergänzenden Ausrichtungen und Angeboten besser als im Alleingang“, betont er und dass sich Sachsen-Anhalts Kreativwirtschaft sogar mit mehreren Betrieben aus der Schmiede-Zunft schmücken kann, die doch in anderen Ländern schon gänzlich ausgestorben ist.

„Das Schmiedehandwerk erfordert eine Lehre, und wir bilden auch tatsächlich aus“, betont Wittig und spricht in diesem Falle zunächst für sich selbst.

„Aber auch das Interesse am Schmiedehandwerk als Freizeittätigkeit nimmt zu“, sagt Wittig und dass er aus dieser Beobachtung heraus auf die Idee gekommen ist, Schmiede-Kurse anzubieten. Die Teilnehmer kommen aus dem gesamten Bundesgebiet nach Wernigerode. Im Gegenzug wird Wittig immer häufiger zu internationalen Symposien eingeladen.

Wie er sich diese Entwicklung erklärt? „Im Schmiedehandwerk steckt viel Potenzial für Innovation. Wie der Stahl genutzt wird, kann immer wieder neu erfunden werden. Und wir in Sachsen-Anhalt machen das immer wieder vor.“

(Autorin: Kathrain Graubaum (Text/Foto))

BU: In Wernigerode fand Wolf-Dieter Wittig eine historische Schmiedewerkstatt ganz nach seinen Vorstellungen und setzte sie wieder in Betrieb.

Kontakt:

Krellsche Schmiede
Wolf-Dieter Wittig
Breite Straße 95
38855 Wernigerode
Tel. 03943/557373
www.krellsche-schmiede.de

vorheriger Beitrag nächster Beitrag