Der Rohstoff Idee geht nicht aus
Studierende der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität tüfteln an nachhaltigem Design
Unsere Ressourcen sind knapp: Die natürlichen wie Luft, Boden, Wasser, Tier- und Pflanzenarten genauso wie Rohstoffe und Energie. Immer mehr Unternehmen in Sachsen-Anhalt schreiben sich deshalb den sorgsamen Umgang damit auf die Fahne. In Hochschulen und Forschungseinrichtungen entstehen Ideen und werden Prozesse entwickelt, die diesen Trend befördern könnten. In der Otto-von-Guericke-Universität haben sich Studierende der Studiengänge Integrated Design Engineering (IDE) und Engineering Design während einer Lehrveranstaltung mit „Sustainable Design“ – mit nachhaltigem Design – beschäftigt. Herausgekommen sind neue Ansätze bei der Betrachtung der Lebenszyklen von Produkten und praktische Lösungen, wie man Dinge nachhaltig ändern kann.
Auf den ersten Blick sieht das Gefäß auf dem Tisch in der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (OvGU) aus wie eine kleine Vase. Auf den zweiten Blick fällt auf: Hier steckt mehr drin. In diesem Behälter sind Ideen gebündelt für Alternativen zur herkömmlichen Sprühdose. Der Prototyp gehört zu den greifbaren Ergebnissen der Lehrveranstaltung „Sustainable Design“, in der sich Master-Studenten mit Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung und -verbesserung auseinander setzen sollten. „Dabei war es uns wichtig, dass sie sich über die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeit Gedanken machen“, erklärt Martin Wiesner vom Institut der Maschinenkonstruktion, der die Lehrveranstaltung betreut hat. „Nachhaltigkeit ist zu einem viel benutzten Schlagwort geworden. Wir gehen mit unseren Forschungen in die Tiefe.“
Tiefer gehen, das bedeutete für die Studenten auch, sich Gedanken über Material, über die Nutzung und die Möglichkeit der Rückführung nach dem Gebrauch zu machen. „In unserem Rahmenwerk zur Produktentwicklung betrachten wir stets den gesamten Lebenszyklus eines Produktes“, sagt Lehrstuhlinhaber Prof. Dr.-Ing. Prof. h. c. Dr. h. c. Sándor Vajna. Für die Forscher der Magdeburger Uni gehört dazu auch, Produkte mit individuellen Mehrwerten zu versehen. „Wenn ein Produkt nur mit dem Etikett, ‚nachhaltig‘ versehen ist, bringt das die Wirtschaft nicht weiter, weil es sich nicht auf dem Markt behaupten kann“, weiß Martin Wiesner. „Kommt dazu aber etwas Besonderes, wird es für die Nutzer interessant.“ Beim Gefäß, das die Sprühdosen ablösen könnte, sind es das ästhetische Design und die verbesserte Handhabung.
Die Studentinnen und Studenten setzen darauf, dass die Behälter „hochwertig aussehen“, damit sie – anders als die herkömmlichen Aluminiumdosen – nachdem sie leer sind, nicht in den Müll wandern, sondern weiter genutzt werden. Darum wird auch auf Treibgas verzichtet. Das Deo wird stattdessen über einen Pumpmechanismus nach oben befördert. Dieser ist nicht nur praktisch, sondern auch gleich noch ergonomisch gestaltet. Die Vorzugsrichtung beim Sprühen wurde beachtet und die übliche Haltung der Hände. Den duftenden Inhalt würden die Nutzer im Laden kaufen und immer wieder nachfüllen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es wird kein Gas freigesetzt, es landen keine Dosen im Müll und es passt mehr Inhalt in diesen Behälter, weil in einer Dose viel Volumen vom Treibgas eingenommen wird. Und: Der Nutzer muss sich dank der Ergonomie der „Pumpe“ beim Einduften nicht „verrenken“.
Dass man sich „nicht verrenkt“, darum geht es auch bei der Idee der alternativen Babyschale, die im Rahmen dieser Lehrveranstaltung entstanden ist. „Babys verbringen oft sehr viel Zeit in der Babyschale, wenn sie im Auto sitzen, getragen werden, oder wenn die Schalen auf fahrbare Gestelle montiert werden“, sagt Martin Wiesner. Die Studenten wollen das ändern. Ihr Ansatz: „Für die Kinder ist es besser, wenn der Rücken nicht gekrümmt ist. Noch besser ist es, wenn sie Körperkontakt mit ihren Eltern bekommen. Und an die Träger der Schale wurde auch gedacht: Beim Tragen mit den gängigen Babyschalen werden die Arme automatisch quer herausgedreht, was auf lange Sicht unpraktisch und ungesund ist. Nach neun Wochen des Tüftelns und Ausprobierens hat das studentische Forscherteam eine Idee samt Prototyp vorgelegt: eine Schale, in der die Babytrage integriert ist. Martin Wiesner erläutert: „Man nimmt das Kind ganz leicht damit heraus und kann es sofort am Bauch befestigen.“ Die Textilien sind allesamt aus Naturfasern wie Flachs oder Hanf herzustellen, die in der Region angebaut werden können. „Bei der Schale selbst könnten sich Hersteller auf eine Sorte Bio-Kunststoff beschränken. So ist das Material nach dem Produktende leicht zurückzuführen. Bei einem Gemisch aus vielen Kunststoff-Arten ist das schwieriger“, erklärt Martin Wiesner. Die modulare Babyschale birgt dazu einen weiteren Vorteil. „Der Transport am Körper, der mit der modularen Babyschale erleichtert wird, setzt auf den sozialen Kontakt.“
Die Räume des OvGU-Institutes sind voll mit Zeichnungen, Plakaten und Prototypen weiterer Ideen. Nachhaltige Essstäbchen, die die massenhafte Abholzung für die Einweg-Stäbchen verhindern könnten, das „wood knife“ – ein neugestaltetes Küchenmesser aus regionalem Holz, das bereits namhafte Köche getestet und für gut befunden haben – es gibt viele hier erdachte Beispiele für die Verbesserung sozialer, ökologischer und ökonomischer Bilanzen.
„Wir wissen natürlich, dass sich nicht alle Ideen und Projekte umsetzen lassen“, sagt Prof. Vajna. „Uns geht es vor allem darum, den Studenten und Entwicklern von morgen zu vermitteln, dass wir die Verantwortung für neue oder zu optimierende Produkte im Sinne der Nachhaltigkeit nicht vernachlässigen dürfen.“ Dipl.-Ing. Bernd Neutschel ergänzt: „Wir möchten zum freien Denken anregen und die Studenten dazu befähigen, es später auch allein zu schaffen.“ Der Koordinator des IDE-Studienganges weiß, dass eine nachhaltige Idee noch keinen Erfolg macht. „Unser Ziel ist es, möglichst viele Studenten dabei zu unterstützen, positive Innovationen in unsere Region einzubringen.“ Dazu gehört auch, dass die Studenten mit sachsen-anhaltischen Unternehmen zusammenarbeiten. „Viele haben beim Forschen noch nicht die optimale Lösung gefunden. Aber sie könnten sie noch finden. Darum setzen wir verstärkt darauf, dass Inkubatoren wirken.“ Die unieigenen Werkstätten haben offene Türen, die Lehrenden offene Ohren und im Transfer- und Gründerzentrum der OvGU sorgt man dafür, dass die Studenten das richtige Rüstzeug erhalten. Denn: Der Rohstoff Idee geht nicht aus. „Wir müssen auch diesen eben nur nachhaltig nutzen“, so Martin Wiesner.
Bildunterschrift: Martin Wiesner (links) und Prof. Dr.-Ing. Prof. h. c. Dr. h. c. Sándor Vajna engagieren sich in der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg dafür, dass sich Studenten mit nachhaltigem Design auseinandersetzen.
Autorin: Manuela Bock (Text/Foto)