Innovationsvorsprung in der Wirbelschichttechnologie

BMBF unterstützt Internationalisierung von Spitzenforschung aus Sachsen-Anhalt

Die über 150-jährige Tradition im Maschinen- und Anlagenbau und die moderne Wissenschafts- und Forschungslandschaft in Sachsen-Anhalt bieten beste Wachstumsbedingungen für das regional vernetzte Spitzencluster „Wirbelschicht- und Granuliertechnik“. In einer Kooperation mit niederländischen Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft sollen nun internationale Märkte für neue Verfahren und Produkte erschlossen werden.

Wilfried-Pergande-Platz 1, Betriebsgelände der Pergande-Group in Weißandt-Gölzau. In haushohen Wirbelschichtanlagen werden staubförmige Ausgangsstoffe zu rieselfähigen Granulaten veredelt. Am Ende des Herstellungsprozesses hat jedes Granulat-Körnchen einer Sorte die gleiche Größe, die gleiche Konsistenz und die gleiche Menge an Wirkstoffen in sich. „Zu unseren Kunden gehören weltmarktführende Unternehmen, die Pflanzenschutzmittel und Waschmittel herstellen“, sagt Professor Mirko Peglow,  Technischer Geschäftsführer des Unternehmens. „Wenn man beispielsweise bedenkt“, so Peglow, „dass auf einem Hektar landwirtschaftlicher Fläche nur etwa fünf Milligramm Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, dann muss jeder einzelne Partikel die gleiche Wirkung erzielen.“

Nach Wilfried Pergande, Begründer des Kölner Familienunternehmens, das Apparate- und Anlagen für die Chemieindustrie baut, ist die Firmenadresse in Sachsen-Anhalt benannt. 1991 kam der weitsichtige Unternehmer nach Weißandt-Gölzau, um die Abteilung des verfahrenstechnischen Apparatebaus der ORWO-Filmfabrik zu übernehmen. Zwei Jahre später hatte er seinen Geschäftsbereich um die Herstellung schlüsselfertiger Wirbelschichtanlagen für Granulations- und Trocknungsprozesse erweitert. Bis 2015 investierte er an diesem Standort bei Halle/Saale 100 Millionen Euro in den Aufbau eigener Wirbelschichtanlagen. Dabei profitiert das Unternehmen von der Nähe zum Wissenschaftsstandort Magdeburg. Die Wirbelschichtforschung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (OVGU) hat eine lange Tradition. Hier leitete Mirko Peglow die Nachwuchsforschungsgruppe Wirbelschichttechnik NaWiTec. Die Pergande-Gruppe war ein hochinteressierter und engagierter Partner aus der Wirtschaft – und ist es bis heute. „Granulate lassen sich besser lagern als flüssige oder pulverförmige Stoffe. Zudem kann das Produkt in diesem Herstellungsverfahren neue Eigenschaften bekommen“, sagt  Peglow und dass immer mehr Branchen Produkte herstellen, die sich aus mehreren Wirkstoffen zusammensetzen. Er nennt allen voran die Pharmazie, die Hersteller von Pflanzenschutz- und Düngemitteln sowie die Lebensmittelindustrie.

Inzwischen ist der Standort Weißandt-Gölzau auch ein Entwicklungs- und Innovationsforum für Partikeltechnik. Etwa sieben Millionen Euro wurden in modernste Versuchsanlagen investiert – ermöglicht vor allem durch das Bundesforschungsministerium. Es ließ sich von dem wachsenden Forschungspotenzial im Bereich der Wirbelschichttechnologie überzeugen und fördert NaWiTec an der Magdeburger Uni wie auch den regionalen Wachstumskern „Wirbelschicht- und Granuliertechnik“ – WIGRATEC. Mirko Peglow koordiniert dieses Forschungsbündnis aus zwölf kleinen und mittelständischen Unternehmen der Region, sowie der Hochschule Anhalt und der OVGU. Alle nutzen das Technikum in Weißandt-Gölzau zur Entwicklung neuer Wirbelschicht-Verfahrenstechnologien im Apparate- und Anlagenbau, die dann national und international vermarktet werden.

„Auf diesem Gebiet haben wir weltweit führende Kompetenzen“, sagt Mirko Peglow. Grund genug für ihn und seine Bündnispartner, sich für eine weitere Förderung des Bundes innerhalb dessen Hightech-Strategie „Internationalisierung von Spitzenclustern, Zukunftsprojekten und vergleichbaren Netzwerken“ zu bewerben. Kürzlich kam frohe Botschaft aus Berlin: Das forschende Spitzencluster WIGRATEC ist mit seinem Projekt „Innovative Granulier- und Trocknungstechnologien für die Food- und Feed-Industrie“ einer von bundesweit elf Antragstellern, die eine Förderung erhalten: vier Million Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren.

„Die Wirbelschichttechnologie ist für die Herstellung von Granulaten mit speziellen Strukturen und mit den vom Kunden gewünschten Wirkstoffen und Eigenschaften besonders gut geeignet“, sagt Andreas Bück, jetziger Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe NaWiTec. Aus diesem Grunde habe die Otto-von-Guericke-Universität schon seit Längerem das niederländische Netzwerk „Nederlandse Werkgroep Drogen (Niederländische Arbeitsgruppe Trocknungstechnik), kurz NWGD mit im Forschungsboot. Denn besondere Herausforderungen bei der Herstellung funktioneller Lebens- und Futtermittel seien die zu verarbeitenden Inhaltsstoffe, sagt der Wissenschaftler und dass Wechselwirkungen innerhalb der komplexen Stoffsysteme von Agrarprodukten zu berücksichtigen sind. „Die dürfen sich bei der Granulation in Geschmack und Inhalt nicht verändern. Enzyme und Vitamine beispielsweise sind nicht sehr hitzebeständig, sollen aber bei der Wirbelschichttrocknung erhalten bleiben. Andere Inhaltsstoffe müssen verkapselt werden, um sie vor äußeren Einflüssen zu schützen.“

Das niederländische Netzwerk mit 90 Vertretern aus Industrie und Wissenschaft, so Andreas Bück, habe langjährige Erfahrungen bei der Entwicklung von neuen Rezepturen und Produkten im Lebens- und Futtermittelbereich. „Indem wir unsere Kompetenzen zusammenführen, werden wir neue Herstellungsprozesse und Anlagen für neue Produkte entwickeln“, ergänzt Mirko Peglow und blickt dabei auf den Markt mit dem größten Wachstumspotenzial: den Agrarsektor. Insbesondere in den Industrienationen wachse das Interesse an „funktionellen“ Lebensmitteln, die über ihren Nährwert hinaus Wohlbefinden und Gesundheit fördern. Auch die Bedingungen auf potenziellen neuen Märkten wie Asien, Afrika und Südamerika erfordern neue Verarbeitungsprozesse. „Für die Unternehmen im Forschungsbündnis“, so Peglow, „ergibt sich aus der internationalen Kooperation ein Innovationssprung, den sie aus ihren eigenen Möglichkeiten heraus nicht erzielen könnten. Zudem werden die Markteintrittshürden niedriger.“ Nach der Probierphase mit den Niederlanden als Pilotmarkt will das Bündnis gemeinsam auf dem Weltmarkt auftreten und sowohl die Wirbelschichtverfahren und -anlagen als auch die damit hergestellten Food- und Feedprodukte vermarkten.

Autor: Kathrain Graubaum (Text/Foto)

BU: Steffen Kronberg, Leiter des WIGRATEC-Technikums, und Projektingenieur Thomas Kathe (v.l.) bauen einen Filterkorb zur Reinigung der Prozessluft in einen Granulator ein.

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