Wo man dem Baumkuchen beim Wachsen zusehen kann
Roswita Bosse lacht: „Das Rezept für den Baumkuchenteig – nein, das wird nicht preisgegeben. Auch, wenn wir jetzt eine gläserne Schaubäckerei haben.“ Nach überliefertem Originalrezept werden Eier, Butter und Zucker schaumig gerührt, hin zu kommen Mehl und Maisstärke – und ein gut gehütetes Geheimnis, das diefeuchte Konsistenz und den traditionellen Geschmack des Salzwedeler Baumkuchens ausmacht. Ehrlich gesagt: Mehr will man auch gar nicht wissen über diese ganz besondere Spezialität, die seit 200 Jahren in der altmärkischen Hansestadt gebacken wird. Viel genüsslicher ist es, den Bäckern bei der Arbeit zuzuschauen. Jedes frische Ei wird einzeln per Hand aufgeschlagen und das Eigelbe mit der Butter schaumig gerührt. Das Eiklar wird zu Schnee geschlagen und behutsam unter die Masse gehoben. Nach dem Abbacken und Abkühlen kann der Baumkuchen portioniert und mit dunkler oder weißer Schokolade oder Fondant überzogen werden. „Der Zuckerguss gehört zum Originalrezept aus Zeiten, in denen Schokolade noch eine unerschwingliche Kostbarkeit war“, erklärt Roswita Bosse, Geschäftsführerin der Salzwedeler Baumkuchenbetriebe Bosse GmbH und der Baumkuchen Manufaktur Kruse GmbH.
Ihre Schokolade übrigens bekommt sie aus der Marzipan-Stadt Lübeck. In der Baumkuchen-Schaubäckerei fließt sie - dank modernster Technik - wie aus einer ewigen paradiesischen Quelle.Nachdem die Baumkuchen ihren Schokomantel erhalten haben, fahren sie auf einem Fließband ganz langsam durch die Trockenschleuse. Eine Luftdüse pustet alle „Nasen“ weg, damit die Ummantelung schön glatt ist. Jetzt noch in knisternde Folie eingepackt und mit einer Schleife zugebunden – fertig.
Zum Glück muss man sich nicht auf den Augenschmaus beschränken. An dieser Stelle der Schaustrecke steht man schon nahe der Tür zu einer großen Auswahl von Gaumenfreuden. Sie führt in das Café Kruse; benannt nach Fritz Kruse, der 1928 aus mehreren kleinen Bäckereien die Vereinigten Salzwedeler Baumkuchenfabriken gründete.
Im Café sitzen Gäste, die sich in der gläsernen Schaubäckerei Appetit geholt haben auf das Feingebäck, das schon dem preußischen König schmeckte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Baumkuchen aus Salzwedel regelmäßig an den Hof geliefert.
Heute ist das Gebäck eine sogenannte „regionale Marke“. Mit wachsender Mobilität der Menschen gelangt die Köstlichkeit zu immer mehr Berühmtheit über Grenzen hinweg. Der Name „Salzwedeler Baumkuchen“ ist buchstäblich in aller Munde – in Regensburg, Hamburg, Wien, Paris ... . Im online-Shop gehen Bestellungen aus Tschechien, Belgien, Österreich und aus der Schweiz ein, auch aus Japan, Italien, Spanien, Großbritannien oderden USA.
Aber warum so weit in die Ferne schweifen? Ein Besuch in der Heimat des „original Salzwedeler Baumkuchens“ ist allemal ein Erlebnis. Von den etwa 85 Tonnen Jahresproduktion werden allein in der Weihnachtszeit fast 30 Tonnen Baumkuchen hergestellt. „Und zwingend innerhalb der Stadtgrenze von Salzwedel, so verlangt es die eingetragene Marke als regionale Spezialität nach originalem Rezept“, betont Roswita Bosse. Auch aus anderen Gegenden wie Wernigerode im Harz oder Dresden kennt man ihn. „Aber Baumkuchen ist nicht gleich Baumkuchen. Darum hatten wir schon lange die Vision, eine Schaubäckerei einzurichten, damit unsere Kunden erleben können, wie der handgemachte Baumkuchen im wahren Wortsinne wächst“, sagt Roswita Bosse. In diesem Jahr war es soweit. Zusätzlich zur „Salzwedeler Baumkuchenbetriebe Bosse“ GmbH in der Tuchmacherstraße wird jetzt in der gläsernen Baumkuchen-Manufaktur Schaubäckerei Kruse GmbH in der Holzmarktstraße gebacken.
Hier allerdings hinter einer großen Fensterfront. Anderthalb Millionen Euro haben Roswita Bosse und ihr Mitgeschäftsführer Gerwald Wullschläger investiert und auch Fördergelder von Land und Kommune erhalten, um diese Besucher-Attraktion im denkmalgeschützten Haus einzurichten.
Bäcker Hans-Georg Beuschold steht in seiner 30. Weihnachtssaison am Ofenfeuer. Der Baumkuchen-Experte hat kein Problem mit neugierigen Zuschauern draußen am Fenster. Er müsse sich sowieso ganz und gar auf den Teig konzentrieren, sagt er. „Gar“ ist das Stichwort. Er schöpft eine Kelle aus der Teigwanne und gießt sie über die Walze. Die dreht sich langsam vor dem Feuer, bis die Schicht goldgelb abgebacken ist. In der Weihnachtszeit dreht Beuschold zirka 55 Walzen am Tag. Immer die Regel beachtend: „So oft und so lange wie möglich weg vom Ofen!“ Er lacht. „70 Grad heiß ist es in der Nähe der Gasflammen.“
Für eine angenehme Raumtemperatur um die 22 Grad sorgt ein Zusammenspiel von neuem Ofen und moderner Belüftungsanlage. Eine eigens für den Baumkuchen entwickelte Brennerlanze optimiert die Flamme und gewährleistet ein gleichmäßiges und intensives Ausbacken der Teigschichten. Innerhalb eines Forschungsprojektes mit Studenten der Verfahrenstechnik von der Magdeburger Uni und die Anhaltische Verfahrens- und Anlagentechnik GmbH in Magdeburg wurde gemessen und analysiert, wie sich die warme Luft im Raum bewegt. Entsprechend ist ein neues Lüftungskonzept nebst Anlage entwickelt worden. „Nicht nur die Luftzirkulation, auch die mikrobiologischen Bedingungen bei der Herstellung unseres Feingebäcks werden dadurch verbessert“, sagt Roswita Bosse.
Der Baumkuchen besteht aus acht bis zehn Teigschichten. Wer dann im Café Kruse eine Portion auf seinem Teller hat, erkennt die Schichten ähnlich den Jahresringen eines Baumes, die dem Kuchen seinen Namen gaben. Wer mehr wissen möchte als an den Informationstafeln über das Baumkuchen-Backen geschrieben steht, kann auch eine kleine Führung bei Gerwald Wullschläger vereinbaren, per Telefon 03901/422107 oder mail.ignore@kruse-baumkuchen.de.
Das traditionelle Handwerk ist an Wochentagen von 10 bis 15 Uhrhttp://www.investieren-in-sachsen-anhalt.de/typo3/#_msocom_1 live zu erleben. Den Baumkuchen kann man sich auch direkt ins Haus liefern lassen und unter kontakt.ignore@salzwedelerbaumkuchen.de oder http://shop.salzwedelerbaumkuchen.de bestellen.
Autorin Kathrain Graubaum (Text/Foto)