Magdeburger Forscher Seidel-Morgenstern rückt unter die Top 100 der Medicine Maker

Max-Planck-Forscher finden Weg vom Pflanzenextrakt direkt zum Medikament

Giang T. Vu ist Doktorand am Magdeburger Max-Planck-Institut (MPI) für die Dynamik komplexer technischer Systeme. Dass er sich dort wohl fühlt,sieht man. Mehrere gute Rahmenbedingungen fügen sich hier zu seinem vierblättrigen Glück.

Glücksblatt Nr.1: Prof. Andreas Seidel-Morgenstern ist sein Doktorvater. Giang T. Vu kennt den Leiter des Lehrstuhls für Chemische Verfahrenstechnik schon von seinem Masterstudium an der Otto-von Guericke-Universität.

Glücksblatt Nr.2: Seidel-Morgenstern, gleichsam Direktor des MPI, holte seinen ehemaligen Studenten aus Vietnam vor einem Jahr nach Magdeburg zurück und betreut nun dessen Promotion über das Thema „Extraktion von Wirkstoffen aus Pflanzen“. Denn – und das ist Glücksblatt Nr.3 – der Wissenschaftler Seidel-Morgenstern forscht mit seiner Gruppe an einem Verfahren, das es ermöglicht, vom Pflanzenextrakt direkt zu einem hochreinen fertigen Medikament zu kommen.

Glücksblatt Nr.4: Bei diesem Pflanzenwirkstoff handelt es sich um Artemisinin, das in den Blättern des einjährigen Beifußes (Artemisia annua) vorkommt. In Deutschland kennt man Beifuß eher als Unkraut. In Vietnam dagegen leben die Bauern in bestimmten Regionen vom Artemisia-Anbau. Artemisia enthält einen hochwirksamen Stoff gegen Malaria. In Vietnam ist diese Krankheit so gut wie ausgerottet. Der 35-jährige Giang T. Vu kennt die Zeiten nicht mehr, als Malaria in seinem Heimatland zu den gefährlichen Volkskrankheiten gehörte. In Afrika dagegen fordert die Malaria bis heute hunderte Todesopfer täglich.

Die meisten Erkrankten weltweit sind sehr arm. Darum ist der Bedarf an qualitativ guten, hochwirksamen und dennoch preiswerten Medikamenten groß. Groß ist auch der Medienrummel um Andreas Seidel-Morgenstern und seinen Kollegen Peter Seeberger, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid-und Grenzflächenforschung in Potsdam. Im März dieses Jahres wurden beide für ihre bahnbrechende Arbeit über die Entwicklung neuartiger Methoden zur Produktion von Malariamedikamenten ausgezeichnet. Dazu waren sie nach New Orleans gereist. „Humanity in Science“, der jährlich vergebene Preis für Menschlichkeit in der Wissenschaft, wird von der Fachzeitschrift „The Analytical Scientist“ und dem Trenntechnikhersteller Phenomenex gestiftet.

Der Wissenschaftler aus Magdeburg befasst sich eigentlich lieber mit seiner Forschung als mit Interviews. Andererseits liegt es ihm am Herzen, seine Forschungsinhalte auch der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Kürzlich war er zur Magdeburger Vortragsreihe „Wissenschaft im Rathaus“ eingeladen. Malaria ist auch hier zu Lande für reiselustige Menschen ein Thema. „Und könnte wohl auch für die Zuhause gebliebenen eins werden“, vermutet Seidel-Morgenstern angesichts der klimatischen Veränderungen – ohne eine Hysterie herauf beschwören zu wollen. Schließlich gäbe es ja die Forschung. „Deren Erfolg“, betont der Wissenschaftler, „ist das Ergebnis einer kollegialen Zusammenarbeit.“

Das MPI in Potsdam-Golm hatte einen Photoreaktor entwickelt und seinem Kollegen Peter Seeberger war es gelungen- mittels einer kontinuierlichen Durchfluss-Synthese aus einem Abfallprodukt des Extraktionsprozesses -  weiteres Artemisinin zu gewinnen. „Die Potsdamer haben mich gefragt, ob wir am MPI in Magdeburg eine kontinuierliche Aufreinigung dazu entwickeln können“, erzählt Seidel-Morgenstern. „Mit dem gemeinsam entwickelten neuen Verfahren kann die Ausbeute des Wirkstoffes aus der Pflanze verdoppelt werden, woraus sich eine Senkung der Produktionskosten ergibt.“

Um kollegiale Zusammenarbeit geht es auch in dem neuen Forschungsnetzwerk zur Synthetischen Biologie „MaxSynBio“. Es wird gemeinsam vom Bundesforschungsministerium und der Max-Planck-Gesellschaft finanziert und ging im Frühjahr 2015 an den Start. „Unter der koordinierenden Leitung meines Kollegen Kai Sundmacher ist das Magdeburger MPI ein wichtiger Knoten des Netzwerkes. Wir in Magdeburg blicken dabei aus der Ingenieurperspektive auf die Möglichkeit der Konstruktion synthetischer Zellen, die natürliche Funktionen nachahmen“, sagt der Leiter des MPI.

Überhaupt habe die Kooperation von synthetischer Biochemie und Verfahrenstechnik eine zunehmende Bedeutung für die Medizin, meint Seidel-Morgenstern. Gemeinsam mit seinem Kollegen Seeberger aus Potsdam wurde er kürzlich von der britischen Fachzeitschrift „Medicine Maker“ in die „Top 100“ der jährlichen Liste von weltweit wichtigen Forschern und Unternehmern im Bereich der Medikamentenentwicklung aufgenommen. „Als Grundlagenforscher sind wir noch Pioniere auf dieser Liste. Aber andere werden folgen“, blickt Seidel-Morgenstern in die Zukunft.

Giang T. Vu blickt in eine berufliche Zukunft in Vietnam. Die vietnamesische Regierung hat Interesse an der Artemisinin-Forschung und finanziert ihm seinen Promotionsaufenthalt in Sachsen-Anhalt. Wenn der Verfahrenstechniker in vier Jahren nach Hause zurückkehrt, wird er die Erkenntnisse aus seiner wissenschaftlichen Arbeit praktisch anwenden können. Denn mittlerweile wurde in Vietnam ein privater Investor gefunden, der eine Anlage zur Medikamentenherstellung aus Artemisinin errichten möchte.

Bis es soweit ist, fühlt sich Giang T. Vu noch aus einem anderen Grund beim Professor Seidel-Morgenstern gut aufgehoben. Bis 1964 verbrachte der (ansonsten in Berlin aufgewachsene) Wissenschaftler einige Jahre seiner Kindheit in Vietnam. Sein Vater war dort als Dolmetscher tätig. Zu Vietnam hat Seidel-Morgenstern bis heute eine emotionale Bindung.

Giang T. Vu weiß viel über den Beifuß aus seiner Heimat, wohl eher wenig um die Bedeutung des deutschen Glücks-Klees. Aber gerade diesen Mentor an der Seite zu haben, ist wohl ein so seltenes Glück wie ein fünftes Kleeblatt.

Autorin und Fotografin: Kathrain Graubaum

 

BU: Prof. Dr. Andreas Seidel-Morgenstern mit dem Doktoranden Giang T. Vu aus Vietnam (links) und Dr. Ju Weon Lee im Technikum des MPI Magdeburg. Dr. Lee aus Korea war an der Entwicklung des Verfahrens sowie als Mitautor an den Publikationen über die Artemisinin-Gewinnung beteiligt.

 

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