Stabile Stromnetzte trotz Energiemix aus unterschiedlichen Energiequellen möglich

Magdeburger Forschungsprojekt „REStabil“ beweist

Erneuerbare Energiequellen sollen in Deutschland Kernenergie und fossile Energieträger schrittweise ablösen. Doch Wind und Sonne sind keine gleichmäßigen Stromlieferanten. Die Netze zu stabilisieren wird immer schwieriger. Magdeburger Forscher des Fraunhofer IFF und der Otto-von-Guericke-Universität haben nach Lösungen gesucht, wie dezentrale Energieerzeugungsanlagen netzunterstützend gemanagt werden können. Gemeinsam mit ihren Partnern, dem Projektentwickler ABO Wind AG, dem Energiedienstleister GETEC heat & power, dem Zentrum für Regenerative Energien Sachsen-Anhalt (ZERE e.V.) und dem Verteilnetzbetreiber MITNETZ STROM haben sie untersucht, welche technischen Veränderungen nötig sind, wie Netze intelligent geführt werden können und welche Anforderungen sich an die Leitstellen ergeben. Diese vielversprechenden Zwischenergebnisse des Forschungsprojektes „REStabil“ wurden jetzt in Magdeburg in einem Live-Versuch vorgestellt, der verdeutlichte, dass die Systemansätze hohes Umsetzungspotenzial besitzen. „Mit diesen Ergebnissen haben die Forscher gezeigt, wie sich die Energiewende technisch umsetzen lässt“, ist Dr. Herrmann Onko Aeikens, Minister für Landwirtschaft und Umwelt in Sachsen-Anhalt, überzeugt.

Es sieht so simpel aus: Ein Tastendruck am Laptop, und das an eine Biogasanlage in Kemberg im Landkreis Wittenberg gekoppelte Blockheizkraftwerk (BHKW) fährt seine Stromproduktion herunter. Etwas später erfolgt ein nächster Tastendruck, die Anlage fährt wieder hoch. So wird das Mittelspannungsnetz reguliert, die Stromerzeugung an den Verbrauch angepasst. Das in der Biogasanlage erzeugte Gas wurde in der Zwischenzeit gespeichert. Was im Hintergrund abläuft, ist dann doch nicht so simpel. „Es sind ganz viele Faktoren zu betrachten, die das Stromnetz beeinflussen, und die werden ständig beobachtet und ausgewertet“, erklärt Projektleiter Przemyslaw Komarnicki vom Geschäftsfeld Prozess- und Anlagentechnik am Fraunhofer IFF in Magdeburg.

Er vergleicht das mit dem menschlichen Körper und dem Computertomographen, der die Ursachen dafür erkennbar macht, warum es dem Patienten nicht gut geht. Der Arzt kann daraus seine Diagnose ableiten, die Therapie wählen, die Medikamente und ihre Dosierung. Was Komarnicki beim Live-Versuch in Magdeburg zeigt, setzt der Netzbetreiber an seinem Leitstand um, wenn das Projekt in die Praxis überführt ist. Dabei wird dann nicht nur ein BHKW zur Regulierung genutzt, es werden mehrere und verschiedene dezentrale Anlagen sein, die zu einer stabilen und sicheren Stromversorgung einer Kleinstadt, eines Industriegebietes oder einer Region beitragen.

„Unsere Vision ist es, auch Windkraft- und Photovoltaikanlagen einzubinden und die Strom- und Wärmeversorgung sowie Mobilität auf der Basis erneuerbarer Energien miteinander zu verzahnen, so dass Strom lastganggerecht bereitgestellt und Energie nicht verschwendet wird“, sagt Jörg Wirtz, Projektleiter Zukunftsenergien bei ABO Wind. Dazu sei jedoch ein weiterer wissenschaftlich-technischer Fortschritt bei den Speichertechnologien erforderlich.

Allein 2012 wurden in Sachsen-Anhalt 27 Millionen Kilowattstunden Strom durch Abschaltung von Anlagen nicht in die Stromnetze eingespeist, informiert Dr. Hermann Onko Aeikens, Minister für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt. „Wir brauchen neue Konzepte“, betont er, damit überschüssiger Strom sinnvoll genutzt werden kann. Deshalb seien die Erkenntnisse aus „REStabil“  so wichtig. „Schon heute ist Sachsen-Anhalt ein Vorreiter in der Energiewende: Im gesamtdeutschen Vergleich können wir einen hohen Anteil an erneuerbaren Energien im Energiemix vorweisen. Was die Forschung zu diesem Thema betrifft, streben wir nun ebenfalls nach vorn“, erklärt Aeikens weiter.  Sachsen-Anhalt gilt als führendes Bundesland bei der Nutzung erneuerbarer Energien und punktet mit einem bestehenden Technologievorsprung bei  regenerativen Energieanlagen. Im Zusammenspiel mit intelligenten IKT-Anwendungen und innovativem Maschinenbau bietet Sachsen-Anhalt zukunftsweisende Systemlösungen. Das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt hat das Forschungsprojekt mit einer Million Euro, finanziert aus EFRE-Mitteln, gefördert.

Nicht nur wann der Wind weht und die Sonne scheint und mit welcher Intensität hat Einfluss auf die Stromnetze, sondern auch, wo sich die Erzeuger und die Verbraucher befinden.  Dr. Tamara Zieschang, Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt, verweist auf Windparks in Altmark und Börde und die energieintensive Chemieindustrie im Süden des Landes. „Um Stromangebot und -nachfrage überregional auszugleichen, benötigen wir einen weiteren Netzausbau.  ,REStabil‘ zeigt wichtige regionale Lösungen auf, um Biogasanlagen für die Stabilisierung der Stromnetze zu nutzen“, sagt Zieschang, „Biogasanlagen sind permanent verfügbar, ihnen ist es egal, ob es draußen neblig oder windstill ist.“ In weiteren Projekten mit großen Partnern wie Siemens werde daran geforscht, wie die Netzregulierung mit dezentralen Energieerzeugungsanlagen auch über große Distanzen funktionieren kann, gibt Professor Gerhard Müller, stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer IFF, einen Ausblick.

Für das Wechselspiel von Einspeisern und Verbrauchern, Anlagen- und Netzbetreibern müssen sich am Markt neue Geschäftsmodelle entwickeln, damit die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt wirtschaftlich umgesetzt werden können. Jörg Wirtz von ABO Wind sieht eine Notwendigkeit im Ausbau der Gasspeicherkapazitäten für einen noch flexibleren Betrieb der Biogasanlagen und eine Möglichkeit in der Direktvermarktung des erneuerbaren Stroms aus BHKW, Photovoltaik- und Windkraftanlagen an Endkunden (Haushalte, Gewerbe und Industrie). Allerdings sollten für die Biogasgewinnung künftig vorwiegend Reststoffe genutzt werden, darauf dringt Landwirtschaftsminister Aeikens. „Wir haben keinen doppelstöckigen Acker, die Produktion von Nahrungsmitteln hat in der Landwirtschaft Priorität.“

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Anna-Kristina Mahler
Presse und Öffentlichkeitsarbeit
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