Alstom Stendal stellt die richtigen Weichen
Im altmärkischen Stendal, bei der Alstom Lokomotiven Service GmbH, werden Loks entwickelt und gebaut, die in die Zukunft fahren. Sogar Pensionäre. Das Werk gehört zum französischen Schienenfahrzeughersteller Alstom.
Pensionierte Lokomotiven werden in Stendal nicht aufs Abstellgleis geschoben. Sie bekommen ein zweites Leben und sind damit leistungsfähiger als je zuvor. Einige der V100-Loks aus dem brandenburgischen Hennigsdorf, die hier ankommen, erhalten ein neues Herz. Ein Doppelherz: Stendaler Hybridloks werden mit einer Kombination aus Elektro-Dieselgenerator und Akkumulator angetrieben.
Eingesetzt werden sie im Rangierbetrieb. Da stehen Loks überwiegend im Leerlauf oder fahren mit niedrigen Lasten. In dieser Zeit werden sie über den Batteriesatz betrieben, der die Elektromotoren speist, die dann die Lokomotive ziehen. Eine der ersten Hybridloks arbeitet im Umschlagbetrieb des Magdeburger Hafens, zwei weitere bei VW in Wolfsburg. Zuvor begann im Juni 2012 der Serieneinsatz von vier Triebfahrzeugen bei der Mitteldeutschen Eisenbahngesellschaft, die damit beim Chemieunternehmen Dow Chemical in Schkopau fährt. Bis 2018 läuft der Mietvertrag mit anschließender Kaufoption, in diesem Zeitraum werden Praxiserfahrungen mit der neuen Technik gesammelt. Norbert Kempe, Vertriebschef im Alstom-Werk Stendal, ist heute schon vom Erfolg überzeugt: „Unsere voraus berechneten Werte und Einsparpotentiale werden erreicht und teilweise übertroffen“. Das heißt: mindestens 40 Prozent weniger Kraftstoffverbrauch gegenüber modernen Dieselloks anderer Hersteller, etwa 70 Prozent weniger Abgase und ein wesentlich geräuschärmerer Betrieb. „Ich denke, damit sind wir noch nicht am Ende. Wir optimieren weiter.“
Wenn der letzte Veteran aus Hennigsdorf umgebaut ist, werden die Stendaler voraussichtlich ab 2014 in den Neubau einsteigen, kündigt Werkleiter Jörg Vogeley an. Dazu wird eine ganze Lokomotiven-Familie für den Rangier- und Streckenbetrieb entwickelt, eine neue, umweltfreundliche Generation mit intelligenter Antriebssteuerung. Je nach Einsatzfall sind die vier Lok-Typen unterschiedlich motorisiert. So kann ein rein akkubetriebenes Triebfahrzeug zum Beispiel in geschlossenen Tanklagern rangieren, wo absolut kein Funke fliegen darf.
Das Entwicklungsthema liegt bei den Altmärkern, unterstützt von Fachkompetenz aus dem ganzen Konzern. Bei Alstom spricht man von einer „sehr guten Kundenresonanz am Standort Stendal auf der Basis von langen Erfahrungen.“ Mit der Hybridtechnologie ist die Weichenstellung für die Zukunft des Werkes gelungen, die mit der Übernahme durch den führenden Schienenfahrzeugbauer ermöglicht wurde.
Er stieg im Jahr 2002 über ein Joint Venture mit der Deutschen Bahn beim ehemaligen RAW Reichsbahnausbesserungswerk Stendal ein, das in diesem Jahr 140 Jahre alt wird. Vertriebsleiter Kempe hat hier Elektriker gelernt und als Elektroingenieur gearbeitet, bevor er nach der Wende in die technische Dienstleistungsbranche wechselte. Zwei Jahre vor dem Neustart mit den Franzosen kam er zurück.
Alstom hat rund zehn Millionen Euro in die denkmalgeschützten Werkhallen im Architekturstil der Hansestadt Stendal investiert und etwa noch einmal soviel in die Entwicklungsarbeit. Seit dem vergangenen Mai ist das Unternehmen Alleingesellschafter. Als wichtige Vorteile des Standorts Stendal sieht Vogeley die große Fertigungstiefe, Flexibilität und Kundennähe. Die Loks werden vor der Modernisierung sowie für die achtjährliche Hauptuntersuchung weitgehend zerlegt. Ein solcher Großauftrag – Kunden sind vor allem private Bahnunternehmen - lasse sich mit im eigenen Haus konzentriertem Know-how besser steuern. Inzwischen werden auch Komponenten und Drehgestelle für Straßenbahnen und Regionalzüge aus dem Schwesterwerk Braunschweig aufgearbeitet.
Mit fast 200 Mitarbeitern und elf Azubis gehört Alstom in Stendal zu den größten produzierenden Arbeitgebern in der ländlichen Region. „In der Eisenbahnbrache wird sehr spezielles fachbezogenes Wissen benötigt, das man nur sehr schwer am Markt bekommt“, weiß der Werkleiter. Die Sicherung des Berufsnachwuchses wird zu einer Schlüsselaufgabe, zumal die Altmark besonders stark an Bevölkerung verliert.
Jörg Vogeley, der aus Beneckenstein im Harz stammt, wollte als kleiner Junge nicht (!) wie so viele Jungs Lokführer werden. Nach einigen Jahren in der Autobranche ist der 43-jährige Elektroingenieur seit Anfang Februar 2013 Werkleiter in Stendal und hat „Feuer gefangen“: „Eisenbahn ist eine kleine, besondere Industrie und mit der neuen Hybridlok ein Zug in die Zukunft.“
Autorin: Ute Semkat
Kontakt:
ALSTOM Lokomotiven Service GmbH Stendal
Tangermünder Straße 23a
39576 Stendal
Tel.: +49 3931 25410
Web: www.alstom.de