Vor dem Abitur: das erste Zertifikat „facultas oeconomiae“

Die Weißenfelser Gymnasiasten setzen ihre Rucksäcke ab. Für die Mädchen und Jungen ist der Seminarraum außerhalb der Schule Normalität wie auch das Wort Semester. Einmal alle 14 Tage treffen sie sich für ein ungewöhnliches Bildungsangebot und erfahren in der Wirtschaftsakademie für Schüler mehr über das Funktionieren von Banken, die Selbstständigkeit und die Mechanismen von Unternehmen. Jenny Scheiding sieht das Projekt mit Begeisterung. Es sei nicht nur das Zertifikat, das sie nach dem Abschluss aller vier Semester erhalten wird. Vielmehr will sie Erfahrungen sammeln, Einblicke in Wirtschaftsstrukturen erhalten. Sie nennt das knapp auch eine "Entscheidungshilfe für die Berufswahl".

"Wir haben uns schon in vielen Firmen umgesehen", berichtet Anton Pätzold. Diese Exkursionen, die Informationen von Unternehmern über ihren Betrieb, das gefalle ihm. Vielleicht studiere er ja später Wirtschaftsingenieurwesen, da könne eine gute und rechtzeitige Vorbereitung nur nützlich sein. Für ihn zähle der Wissensvorsprung.

Die Herzog August Stiftung mit Sitz in Weißenfels sieht die Wirtschaftsakademie für Mädchen und Jungen aus 10. und 11. Klassen als Herzstück ihrer Arbeit. Seit der Gründung 2004 sieht sich das gemeinnützige Stiftungswerk in der Pflicht, jungen Leuten Angebote zu machen, die sie für den Schritt ins Leben fit machen. "Wir wollen den Heranwachsenden Lust auf einen Beruf machen und ihnen bei der Wahl der richtigen Ausbildung zur Seite zu stehen", bringt es die Leiterin Dr. Christine Schubert auf den Punkt. Dass dies ein guter Weg ist, belegt die Aufnahme des Projektes in die Initiative "Deutschland  - Land der Ideen" in diesem Jahr.

In fünf Städten im Süden Sachsen-Anhalts haben Schüler die Chance, die für sie geschaffene Akademie zu besuchen. Direktoren an Gymnasien stehen dem positiv gegenüber, sagte Dr. Schubert. Bei den Vorbereitungen und der Werbung werde man mit offenen Armen empfangen. Nicht anders sehe es in den Unternehmen aus. Dort gehe es besonders aufgeschlossen zu, egal ob eine Werbeagentur, ein Zementwerk oder eine Spedition auf dem Programm stehe. Die Geschäftsführer wissen um die Bedeutung der Fachkräfte in der Zukunft und dass sie selbst etwas dafür tun müssen, Nachwuchs rechtzeitig zu interessieren. Zudem gelingt auf diese Weise der  vielbeschworene Kontakt zwischen Schule und Wirtschaft. Der Imageeffekt für die Firmen, die sich vorstellen, kann zudem nicht unterschätzt werden.

Daneben betreibt die Stiftung gegenwärtig zwei weitere Projekte. Die Berufswerkstatt für Schüler will geistige und soziale Kompetenzen zur Erreichung einer Ausbildungsreife von Jugendlichen fördern. In der Anhaltina wird zurzeit an der Entwicklung eines neurodidaktischen Lehr- und Lernsystems - dem elektronischen Klassenzimmer - gearbeitet. Ziel ist es, einen innovativen Ansatz zur Begabtenförderung praxistauglich zu machen. Dazu gibt es eine Versuchsgruppe von Schülern aus zwei vierten Klassen einer Grundschule.

Zahlreiche Partner hat die Herzog August Stiftung mit ins Boot geholt. Zu ihnen gehört der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW). Die Vorsitzende des Unternehmerrates der Region Süd, Elke Simon-Kuch, sieht in der Wirtschafsakademie ein "tolle Sache". Sie nennt das Projekt eine Chance, um Jugendlichen schon früh Erfahrungen zu vermitteln, ihnen die Berufswahl ein stückweit zu erleichtern. "Auf diese Weise könnte es uns auch gelingen, Spezialisten im Land zu halten und deren Abwanderung entgegenzuwirken", sagt die engagierte Unternehmerin. Der Mittelstand sei dringend auf solche Konzepte angewiesen.

BVMW-Regionalgeschäftsführer Ralf-Dieter Höfer hält die Kooperation mit der Stiftung für unverzichtbar. Über diesen Kontakt ermöglicht der Unternehmerverband seit inzwischen sieben Jahren Praktika für Schulabgänger in seinem Brüsseler Auslandsbüro. In jedem Jahr erhält ein Jugendlicher die Möglichkeit, Erfahrungen auf dem europäischen Parkett zu sammeln. Die dort erworbenen Fähigkeiten seien "nicht mit Gold aufzuwiegen".

Die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH (MIBRAG) unterstützt die Wirtschaftsakademie. Jürgen Walther, der Leiter Aus- und Weiterbildung, steht regelmäßig bei den Seminaren Rede und Antwort, informiert über aktuelle Probleme der Energiepolitik. "Mir gefällt, dass die Schüler nicht nur konsumieren wollen. Die Gespräche zeugen von Interesse und einem wachen Geist", sagt er.

Damit wirkt die Stiftung ganz im Sinne ihres Namensgebers. Herzog August (1614–1680) machte sich während seiner Regierungszeit als bedeutender Förderer von Wirtschaft und Kultur in Weißenfels einen Namen und verhalf der Region mit kulturellen und bildungspolitischen Impulsen zu neuem Aufschwung. Eine seiner wichtigsten kulturellen Leistungen war die Gründung einer akademischen Schulanstalt. Das Gymnasium Illustre Augusteum im St.-Claren-Kloster begann am 1. November 1664 mit der Lehre. In der höheren Privatschule lernten adlige Knaben. Wer in die Dienste des Herzogtums treten wollte, musste das Augusteum mindestens zwei Jahre lang besucht haben.


Autor/Fotograf: Klaus-Peter Voigt

Kontakt:
Herzog-August-Stiftung
Nikolaistraße 38
06667 Weißenfels
Tel.: +49 3443 39350

Ansprechpartner:
Leiterin der Stiftung
Dr. Christine Schubert
E-Mail: info.ignore@stiftung-was.de
Web: www.herzog-august-stiftung.de
vorheriger Beitrag nächster Beitrag