Fahren, wo andere umkehren

Polygon Shelter aus Sachsen-Anhalt baut einzigartige, leichte Expeditionsfahrzeuge für das individuelle Abenteuer

Eine aus Kork gebildete Karte der Kontinente schmückt die Kabine des Expeditionsfahrzeuges, das bei dem jungen Unternehmen Polygon Shelter in Magdeburg gebaut wird. Diese Weltkarte verrät, für wen die kleine Fahrzeugmanufaktur aus Sachsen-Anhalt ihr einzigartiges Fahrzeug baut: Menschen, die mit dem eigenen Gefährt in der Welt unterwegs sein wollen. Und dabei Wege befahren, die diese Bezeichnung gar nicht verdienen, und Steigungen schaffen, an denen andere Allrad-Fahrzeuge scheitern. „Unser Expeditionsfahrzeug ist leicht, kompakt, robust und hochgeländegängig. Und es bietet auf Reisen den Komfort eines Zuhauses“, sagt Sascha Reiche, einer der Gründer von Polygon Shelter Magdeburg.

Kompakte und funktionale Leichtbauweise

Der promovierte Wirtschaftsingenieur hat mit seinem Freund Mathias Herms und seiner Frau Catharina Reiche 2019 die Fahrzeugmanufaktur in Sachsen-Anhalt ins Leben gerufen. Polygon Shelter fertigt auf dem Trägerfahrzeug vom Typ Mercedes Benz Unimog seine leichten und funktionalen Expeditionsfahrzeuge, mit denen man überall dort hingelangt, wo andere umkehren müssen. Die Leichtbauweise der Kabine spielt dabei eine wichtige Rolle. „Statt klassisch quadratischer Box fertigen wir die Kabine in einer organischen, an die Struktur von Bienenwaben angelehnten, polygonalen Form. Unser Aufbau ist eine einteilige Glasfaserverbundwerkstoff-Sandwichkabine mit einer Spezialoberflächenbeschichtung. In Wohnmobilen werden üblicherweise Sandwichplatten mit Kunststoff- oder Aluminiumwinkelprofilen verbaut. Die kompakte und funktionale Leichtbauweise der Fahrzeug-Kabine aus einem Guss, im sogenannten Monocoque-Aufbau, ermöglicht eine maximale Stabilität bei gleichzeitigem Leichtgewicht“, erläutert Firmengründer Mathias Herms. Das optimierte Expeditionsfahrzeug aus Sachsen-Anhalt hat ein Leergewicht  5,5 Tonnen. Mit vollem 400-Liter-Kraftstofftank, 300 Liter Frischwasser und einer üblichen Beladung bringt es 6,5 Tonnen auf die Waage. Vergleichbare Fahrzeuge der Konkurrenz liegen meist deutlich oberhalb von 7,5 Tonnen.

Der Plan, das optimale Expeditionsfahrzeug zu bauen, basiert darauf, dass die drei Gründer von Polygon Shelter selbst gerne in unwegsamem Gelände unterwegs sind - und autark sein wollen. Die konkrete Geschäftsidee entstand 2015, als Catharina und Sascha Reiche mit dem eigenen zum Wohnmobil umgebauten Geländewagen in Island unterwegs waren. „Wir stießen mit unserem eigenen Fahrzeug an viele Grenzen und mussten oft umkehren. Damals trafen wir auf Reisende in ausgebauten Unimogs. Für uns ist es DAS Fahrzeug, wenn es um unwegsames Gelände und die dafür notwendige Fahrdynamik geht“, erzählt Catharina Reiche.

Andersdenken als Triebfeder

Bei der Entwicklung des Fahrzeugs wurde Andersdenken zur Triebfeder: Die weit verbreitete Kastenform der Aufbauten sowie der Leitsatz „So groß wie möglich“ war für das Team unvereinbar mit den einzigartigen Fahreigenschaften eines Unimog. Deshalb wurde die funktionale leichte polygone Kabine entwickelt. „Wir wollen die Fahrdynamik eines echten Geländefahrzeugs und den Komfort eines umfassend und hochwertig ausgestatteten Wohnmobils vereinen – der richtige Kompromiss für die Vollkommenheit des unabhängigen Reisens“, sagt Sascha Reiche, Kopf und Entwicklungsingenieur des Unternehmens.

2017 startete das Team mit Idee und Planungen – begleitet und gefördert von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und dem Land Sachsen-Anhalt; 2019 kam es zur Gründung des Unternehmens Polygon Shelter GmbH & Co. KG. Es beschäftigt mittlerweile neun Mitarbeiter aus den Bereichen Möbelbau, Konstruktion, Fahrzeugmechanik und Elektrik. Das Unternehmen setzt auf die eigenen Stärken: Der gesamte Fahrzeugumbau erfolgt aus einer Hand. Dies ermöglicht ineinandergreifend abgestimmte Manufakturprozesse. Das Ergebnis: Qualität und Innovation bleiben bezahlbar.

Um auf Reisen die Unabhängigkeit des individuellen Reisens zu gewährleisten, sind die aus Magdeburg stammenden Fahrzeuge mit maximalen Offroad-Reserven ausgestattet. Wichtig sind die hohen Qualitätsstandards beim Innenausbau mit raumeffizienten, durchdachten Lösungen –  Verzicht auf einen überdimensionierten Wohnbereich zum Beispiel, ganz nach der Devise „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“.

Ziel ist die Kleinserie

Dabei wird Produkt stetig verbessert. Seit 2019 ist man an einem Gemeinschaftsprojekt im Bereich Forschung und Entwicklung in Kooperation mit der Modell und Formenbau GmbH Sachsen-Anhalt, gefördert durch das Land Sachsen-Anhalt und die Europäische Union, beteiligt. „Wir wollen mittelfristig unsere Fahrzeuge in Kleinserie fertigen und uns langfristig als Technologieführer mit dem Fokus Leichtbau hier in Sachsen-Anhalt etablieren - es soll ein Mietmodell für unsere Fahrzeuge geben, da auch die Nachfrage nach besonderen Reisefahrzeugen in diesem Sektor zunehmend steigt. Unser Wunsch und unser Ziel ist es, den Spagat zwischen Robustheit, Leichtbau und Kosteneffizienz auf weitere Anwendungsfelder zu übertragen, so beispielsweise die Humanitäre Hilfe“, so Catharina Reiche.

Drei Polygon Shelter wurden in der Fahrzeugmanufaktur bisher gefertigt. Die Kunden bereisten jüngst Lappland, das Baltikum und die Karpaten. Einer von ihnen plant eine Reise in die Mongolei mit Gleichgesinnten und ihren Fahrzeugen. Auf der Weltkarte in der Kabine des Polygon Shelter stecken also schon die ersten Nadeln.

Autor: Michael Falgowski/IMG Sachsen-Anhalt


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