Zukunftsperspektiven für die mitteldeutsche Chemieregion
Das nationale Leistungszentrum „Chemie- und Biosystemtechnik“ etabliert sich als Innovationsmotor
Im nationalen Leistungszentrum „Chemie- und Biosystemtechnik“ in Sachsen-Anhalt ist die Optimierung verfahrenstechnischer Prozessketten der Kunststoff verarbeitenden, chemischen, biotechnologischen und biomedizinischen Industrie thematischer Schwerpunkt hat.
Die Fraunhofer-Gesellschaft, die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, das Land Sachsen-Anhalt und Industrieunternehmen erforschen und entwickeln hier gemeinsam neue Materialien, Produkte und Prozesse. Inzwischen werden vier Projektverbünde mit 21 Einzelprojekten und zehn Gemeinschaftsvorhaben von Forschungs- und Industriepartnern gefördert.
Ein polymeres Verbundmaterial, das biozide Wirkung hat, also auf Keime wachstumshemmend wirkt, und das gleichzeitig brandhemmend ist, entwickeln Forscher der Fraunhofer-Gesellschaft derzeit in Sachsen-Anhalt, einem Bundesland, in dem die chemische Industrie und ihre ausgeprägte Forschungsorientierung traditionell eine große Rolle spielen. Die biozide Wirkung gegenüber Algen, Pilzen und Bakterien erzielen die Wissenschaftler durch die Zugabe verschiedener naturbasierter Additive. Das Material könnte etwa für Wandpaneele oder für Türklinken in Krankenhäusern verbaut werden. Ausgangsbasis für dieses Material ist ein umweltfreundliches biogenes Harzsystem, basierend auf Epoxiden, die aus Leinöl oder anderen Pflanzenölen gewonnen werden statt wie bisher aus erdölbasierten Rohstoffen. Solche Werkstoffsysteme sind eine Zwischenstufe bei der Herstellung von Kunststoffen, in ihnen werden Gewebe oder Gelege aus verschiedenen Fasern miteinander verbunden und härten dann aus.
Optimierung von Material-Wertschöpfungsketten – von chemisch bis biobasiert
Die Verbesserung biobasierter Harzsysteme ist eines der Forschungsprojekte, die im Leistungszentrum „Chemie- und Biosystemtechnik Halle-Leipzig“ gefördert werden. Seit 2016 existiert dieses Netzwerk, mit dem Forschung und Innovation in der Region Halle/Leipzig befördert werden. In dem Verbund haben sich verschiedene Fraunhofer-Institute, die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die ältesten Hochschule in Sachsen-Anhalt, sowie zahlreiche Industrieunternehmen zusammengeschlossen. Mit einem Beiratsmitglied unterstützt auch die Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt die Vernetzung innerhalb dieses Spitzenforschungsprojektes. Das Leistungszentrum wird gemeinsam durch die Bundesländer Sachsen-Anhalt und Sachsen, die Fraunhofer-Gesellschaft und durch die regionale Industrie getragen. Als Anschubfinanzierung wollen die Länder, Fraunhofer und die beteiligten Unternehmen in drei Jahren insgesamt rund 13 Millionen Euro bereitstellen.
„Wir möchten durch industrienahe Forschungs- und Entwicklungsprojekte das Alleinstellungsmerkmal der mitteldeutschen Chemieregion weiter profilieren, um moderne, nachhaltige Rohstoffe als Zukunftsperspektive für die Industrie der Region zu etablieren“, sagt Professor Andreas Heilmann, Sprecher des Leistungszentrums. Er leitet das Geschäftsfeld Biologische und Makromolekulare Materialen am Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle, der größten Stadt im Bundesland Sachsen-Anhalt. Insgesamt setzten fünf Fraunhofer-Einrichtungen der Region das Konzept um. Ziel der Zusammenarbeit ist es, auf regionaler Ebene an einer geschlossenen Wertschöpfungskette vom erneuerbaren oder fossilen Rohstoff bis zum Produkt zusammenzuarbeiten.
Synergien am Traditionsstandort für Chemie
16 solcher von der Fraunhofer-Gesellschaft initiierten Leistungszentren gibt es in Deutschland. Das Leistungszentrum „Chemie- und Biosystemtechnik“ ist das einzige, das die Erforschung und Optimierung verfahrenstechnischer Prozessketten der Kunststoff verarbeitenden, chemischen, biotechnologischen und biomedizinischen Industrie als thematischen Schwerpunkt hat. Mit der Region Halle-Leipzig ist eine in diesen Bereichen besonders industrie- und forschungsstarke Region für die Förderung ausgewählt worden. In der traditionsreichen Chemieregion Mitteldeutschland hat sich ein industrieller Cluster mit etwa 750 Unternehmen mit mehr als 20 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 70.000 Beschäftigten gebildet. Es bestehen geschlossene Stoffströme in den regional ansässigen Chemieparks sowie ausgebaute regionale Wertschöpfungsketten mit einer weltweiten Vermarktung der Produkte.
„Die industriellen Regionen in Deutschland können aber langfristig nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn die großen Potenziale in der Grundlagenforschung und in der angewandten Forschung enger zusammen geführt werden. Dabei müssen besonders regionale Forschungs- und Kooperationsnetzwerke zwischen orientierender Grundlagenforschung, anwendungsorientierte Forschung und industrielle Entwicklung etabliert werden“, so Professor Andreas Heilmann. Alle Forschungsprojekte unter dem Dachverband des Leistungszentrums werden als Verbundprojekte zwischen den Unternehmen und den Forschungseinrichtungen oder als interdisziplinäre Vorlaufprojekte von Forschungsgruppen aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen durchgeführt. Seit dem Ablauf des ersten erfolgreichen Projektjahres besteht das Leistungszentrum „Chemie- und Biosystemtechnik“ aus vier Projektverbünden mit 21 Einzelprojekten und zehn Gemeinschaftsvorhaben von Forschungs- und Industriepartnern.
Projekte für die Zukunft
„Die Anzahl wird sich noch erhöhen. Weitere Forschungs- und Entwicklungsprojekte befinden sich in der Ideen- und Antragsphase“, sagt Andreas Krombholz. Der Physiker leitet die Gruppe Naturstoffkomposite am Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle und ist Projektleiter im Rahmen des Leistungszentrum „Chemie- und Biosystemtechnik“. Wichtigstes Kriterium für die Aufnahme eines Projekts in die Leistungszentrum-Förderung ist das Potenzial für die Praxis. Etwa 30 Firmen aus Sachsen-Anhalt sind derzeit in einem der Forschungs- und Entwicklungsprojekte eingebunden. Gleich in mehreren Verbundprojekten erforschen die beteiligten Partner beispielsweise Materialien für thermoplastbasierte Leichtbau-Strukturen, an denenvor allem die Automobilindustrie interessiert ist. Dabei werden Materialien mit Naturfasern entwickelt, die besser und leichter als glasfaserverstärkte Werkstoffe sind und günstiger in hohen Stückzahlen produziert werden können.
Autor: Michael Falgowski