Schatzsuche im Roggen
Wissenschaftler des Quedlinburger Julius Kühn-Instituts sichern die Zukunft des Roggenbrots. Hinter diesem einfachen Satz steckt hochkomplizierte Pflanzenforschung. Das Team um Züchtungsforscher Dr. Bernd Hackauf hat sich einer komplexen Aufgabe verschrieben: Sie arbeiten daran, das Roggen-Erbgut zu entschlüsseln. „Wir wollen jene Abschnitte des Erbguts aufspüren, die für bestimmte Qualitätseigenschaften verantwortlich sind“, beschreibt der Wissenschaftler. „Ähnlich den Kriminalisten, die am Tatort den genetischen Fingerabdruck des Täters ermitteln, sind wir auf der Suche nach dem genetischen Fingerabdruck von Roggenpflanzen.“
Ziel der Forscher ist es, Roggensorten zu finden, die ganz bestimmte Eigenschaften haben. „Im Roggen-Erbgut schlummern Schätze, zum Beispiel Resistenzgene gegen Krankheiten oder Stresstoleranz-Gene, die dafür sorgen, dass das Getreide auch auf trockenen, sandigen und nährstoffarmen Böden gut gedeihen kann“, erläutert Bernd Hackauf. Um diese Schätze für die Züchtung nutzen zu können, ist er mit seiner Arbeitsgruppe seit einigen Jahren dabei, im Rahmen verschiedener Projekte die genetischen Grundlagen des Roggens zu erforschen. „Es ist wie ein Puzzlespiel. Wir zerlegen die DNA einer Roggenpflanze in ihre Einzelteile und puzzeln sie dann wieder zusammen“, beschreibt er.
Dabei arbeiten die Wissenschaftler in Netzwerken – zum Beispiel mit dem Institut für Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, der Technischen Universität und dem Helmholtz-Zentrum in München. „Eine solche komplexe Aufgabe als Einzelner zu lösen, ist nicht machbar“, erklärt Hackauf. Ein wichtiger Meilenstein gelang den Züchtungsforschern bereits 2013: Sie haben Kenntnisse über die Position und Anordnung von über 22.000 Genen des Roggens erlangt und konnten auf dieser Basis ein Modell des Erbguts veröffentlichen.
Doch ihre Arbeit ist damit noch längst nicht beendet. Es gilt, diejenigen Bereiche im Roggen-Genom aufzuspüren, in denen die Anlagen für angestrebte Qualitätseigenschaften liegen. Mit Hilfe so genannter genetischer Marker kann dann schon im Keimstadium im Labor ermittelt werden, ob eine neue Sorte die erwünschten Eigenschaften aufweist – also zum Beispiel Krankheiten oder Umwelteinflüssen trotzen kann und auch bei widrigen Bedingungen passable Erträge liefert.
Die neuen, molekularbiologischen Technologien der Pflanzenzüchtung, die Bernd Hackauf und seine Mitstreiter anwenden, ergänzen die klassische Züchtungsmethoden. Ursprünglich war es für die Züchter aufwändiger, nach der Kreuzung aus tausenden Pflanzen jene aufzuspüren, die genau die gewünschten Eigenschaften geerbt hatten. Diese Aufgabe von der Kreuzung bis zur Sorte dauert mehr als ein Jahrzehnt und gleicht der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Heute kann man Zeit und Geld sparen, indem man auf moderne züchterische Verfahren setzt, die Wissenschaftler „SMART Breeding“ (clevere Züchtung) oder „Präzisionszüchtung“ nennen.
„Diese Methoden verkürzen den Prozess enorm“, erläutert Bernd Hackauf. „Wir müssen bei neu gekreuzten Sorten nicht mehr Hunderte Pflanzen kultivieren und sie den Pilzen, Läusen oder sonstigem Stress aussetzen, um zu sehen, ob die neue Sorte weniger anfällig ist als die bekannten.“ Vielmehr reiche es aus, das Erbgut von tausenden Pflanzen systematisch zu durchmustern und gezielt nach der Gensequenz zu suchen, die der Pflanze die gewünschte Eigenschaft mitgibt. Das beschleunigt die Züchtung, weil man sich bei der weiteren Prüfung im Feld unter landwirtschaftlichen Praxisbedingungen auf solche Pflanzen konzentrieren kann, die das gewünschte Merkmal zeigen.
In der Praxis funktioniert das so: Damit sich die Forscher rascher im Erbgut zurecht finden, versuchen sie eine Art Landkarte des Erbgutes zu erstellen. Sie wollen wissen, welcher Schnipsel der Pflanzen-DNA für welche Eigenschaft verantwortlich ist. Wenn sie das Puzzle gelöst haben, können sie jene Pflanze, die das gewünschte Merkmalsgen trägt, mit ertragsreichen Sorten kreuzen und genau bestimmen, welche Eigenschaften die neu gezüchtete Roggensorte hat. Die Sorten können auf diese Weise zum Beispiel im Hinblick auf Resistenzen, Pflanzengröße, Blühzeit, Standfestigkeit oder Körnergröße optimiert werden. „Das ist notwendig, weil die Landwirte und die Verbraucher bestimmte Erwartungen an den Roggen als Brot- und als Futtergetreide haben. Diesen Anforderungen wollen die Züchtungsunternehmen genügen, und wir helfen ihnen mit unseren Forschungen dabei“, sagt Bernd Hackauf.
Alle Getreidezüchtungen zielen auf einen stabilen Kornertrag in einer sich stetig wandelnden Umwelt. Die globale Erwärmung fördert zum Beispiel Pilzkrankheiten, die sich stark ausbreiten und zum Problem werden. Dasselbe gilt für Blattläuse, die Viruskrankheiten übertragen können. „Anhand der nun bekannten Gensequenzen können wir beipielsweise Resistenzen gegen die Schädlinge im Genom identifizieren“, fasst Bernd Hackauf den Erfolg der bisherigen „Schatzsuche“ im Roggen zusammen.
Die Forscher aus Sachsen-Anhalt, die zwischen dem Institutssitz in Quedlinburg und Versuchsfeldern im mecklenburgischen Groß Lüsewitz pendeln, sorgen dafür, dass das traditionelle Getreide eine Zukunft hat. Die Arbeit der Forscher ist auch von großer ökonomischer Bedeutung: Deutschland ist nach Russland und Polen der drittgrößte Roggenproduzent der Welt. Dank innovativer Züchtungsforschung sind hierzulande hochleistungsfähige, ertragsreiche Sorten verfügbar – die Landwirte können gegenwärtig unter 45 Sorten wählen. „Wir leisten die wissenschaftliche Vorarbeit dafür, dass der Roggen auch künftig stetig verbessert wird“, verspricht Bernd Hackauf. „Auch die nächsten Generationen sollen schließlich noch genussvoll in ein Roggen- oder Mischbrot beißen können.“
Autorin: Dana Toschner
Bildunterschrift: Dr. Bernd Hackauf im Gewächshaus. Pflanzen, die auf Grundlage ihres genetischen Fingerabdruckes als Träger wertvoller Genvarianten identifiziert worden sind, werden mit leistungsstarken Roggenpflanzen im Gewächshaus gekreuzt.