Wie LkW das Bahnfahren lernen

Ein Signalhorn warnt kurz, dann surren versteckt Elektromotoren und plötzlich schwebt ein kompletter Eisenbahnwaggon samt Sattelzug obendrauf vom Gleis, auf dem nur die beiden Drehgestelle zurückbleiben. Auf dem CargoBeamer-Testgelände in einem Leipziger Industriegebiet hat das neue Zeitalter im Kombinierten Güterverkehr schon begonnen.

Und es ist kein Kunststück, sondern das Ergebnis jahrelanger und beharrlicher Forschungsarbeit von CargoBeamer. Ein internationales Team aus Ingenieuren hat seit 2000 daran gearbeitet. „Es gab etliche Versuche“ schmunzelt Dr. Imad Jenayeh, einer der Geschäftsführer der Firma.

„Wir haben gesehen, dass mehr als 90 Prozent des Güterverkehrs auf der Straße nicht kranbare Auflieger sind“ erzählt er weiter. Eben keine Container, sondern Sattelauflieger von LKW, die von Kränen nicht bewegt werden können. Sie rollen in endlosen Schlangen auf Straßen und Autobahnen. Und hier wollten wir ansetzen.“

Einsteigen, entspannen, ankommen

Das Prinzip ist bestechend simpel und überträgt eigentlich den Personenverkehr auf die Schiene. Kommt ein Zug aus den Spezial-Waggons von CargoBeamer am Terminal an, wird der LkW-Auflieger einfach verschoben.

„Offiziell 15 Minuten, aber es läuft alles viel schneller“ so Imad Jenayeh. Vier elektro-mechanische Hubvorrichtungen fahren unter den Waggon und heben die Schale heraus. Dann werden Sicherungen gelöst und die komplette Schale mit dem LKW-Anhänger darauf fährt auf einem Schlitten auf die Straße. Alles kann gefahrlos unter den stromführenden Oberleitungen passieren. Der LKW-Fahrer muss nur noch ankoppeln und kann los. Im Gegenzug wird der nächste Anhänger in die Wanne gefahren, aufgeladen und los geht’s. Leise, schnell und parallel.

In diesem vollautomatischen System und in der Spezialwanne von CargoBeamer steckt das Know- how. Die Seitenwände sind seitlich klappbar und sichern den Aufsatz samt Auflieger. Die Waggons kommen ohne Elektrik, Hydraulik und Sensorik aus und können an Standard-Züge gekoppelt werden.

Das System arbeitet vollautomatisch und wird via Tablet drahtlos gesteuert – eine Person reicht völlig aus. Vom 20 Meter langen Terminal für einen Waggon bis zu einer ganzen Zuglänge aus maximal 36 Waggons und einer Gesamtlänge von 700 Metern ist alles möglich. Mit parallel und voll automatisch arbeitenden Umschlagsmodulen erzielt das CargoBeamer-System Durchsatzraten, die sich sehen lassen können, die den Kombinierten Güterverkehr nichts weniger als revolutionieren.

Einmal „beamen“ verbraucht gerade mal 2,5 kWh.

Und dabei ist es völlig egal, ob MEGA-Trailer, Kühl-, Tank- oder Siloauflieger. Verladen werden, kann jeder Auflieger ohne Umrüstung und das in kürzester Zeit. So sieht Kombinierter Verkehr heute aus und wird so zukunftstauglich.
„Der Einspareffekt ist vielschichtig. Zuerst Zeit. Der Fahrer muss nicht warten. Er fährt zum Terminal platziert den Auflieger entweder direkt an der Verladestelle oder einem kleinen Parkplatz. Mit der Zugmaschine kann er den nächsten Auflieger mitnehmen und seine Fahrt fortsetzen“ so Dr. Imad Jenayeh. Der Straßentransport konzentriert sich auf den Nahverkehr, die Langstrecke übernimmt der CargoBeamer-Zug. Die Auslastung der Zugmaschinen wird verbessert und gesetzlich vorgeschriebene Lenk- und Ruhezeiten können problemlos eingehalten werden. Zudem entfallen Mautgelder.

Und was enorm wichtig ist: es ist umweltschonend. Es spart Treibstoff- und Energiekosten und verringert die CO2-Emission. Mit dem rollenden Güterzug kann der Ausstoß von Kohlendioxid um etwa 74%, also mehr als die Hälfte gegenüber dem Transport auf der Straße, reduziert werden. Auf einen Zug und ein Jahr gerechnet, entlastet so der CargoBeamer die Natur um 3.500 Tonnen CO2.

Und auch der Faktor Mensch spielt eine große Rolle. LkW-Fahrer sind heute großem Druck ausgesetzt. Sie fahren gegen die Zeit, erleben den täglichen Stress auf den Straßen in Deutschland und Europa. Und sie kommen auch in den Lenk- und Ruhezeiten nicht wirklich dazu, Kraft für den nächsten Abschnitt zu tanken. Traumjobs sehen anders aus.

Mit CargoBeamer sind die Fahrer nur noch zwischen dem Terminal und der Verladestelle unterwegs. Sie können die An- und Abfahrt für Transporte nutzen. Außerdem reduzieren sich die Kraftstoffkosten, die einer der größten Preistreiber im Logistikgeschäft sind.

CargoBeamer auf Erfolgskurs

Zugelassen und zertifiziert ist CargoBeamer in Deutschland durch das Eisenbahn-Bundesamt (EBA). Neben vielen europäischen Ländern hat auch die Schweiz die nationale Zulassung erteilt. Und nicht zuletzt hat CargoBeamer mit der TSI-Konformitätserklärung für Güterwagen alle Anforderungen erfüllt, um auch auf Europas Schienen ungehindert verkehren zu dürfen.

CargoBeamer fährt via Gotthardachse seit April 2015 erstmals vier Meter hohe Sattelauflieger im Alpentransit. Drei Umläufe in der Woche mit bis zu 28 Waggons pro Zug und jährlich rund dreihundert Zügen. Der Umschlag der Auflieger auf die Schiene wird im neuen Terminal Köln-Nord sowie im Terminal im italienischen Melzo abgewickelt.

Eine weitere Station steht in Wolfsburg. Weitere Planungen betreffen Anlagen in Hagen sowie in Frankreich, Litauen, Niederlande und Italien. „Wir haben bereits so zahlreiche Vorverträge mit Kunden dass wir dringend ausbauen müssen“ erklärt Dr. Imad Jenayeh, einer der Geschäftsführer der Firma. „Derzeit suchen wir dingend ein Grundstück für den Bau eines neuen CargoBeamer-Terminals u.a. auch in der Region Halle.“

Die Europäische Kommission hat mit Mitteln aus dem Programm „Marco Polo II“ einen Teil der Entwicklung unterstützt. Das Projekt „Efficient Semi-Trailer Transport on Rail Baltica” (ESTRaB), hat die CargoBeamer-Technologie auf der Route zwischen den Niederlanden und Litauen eingeführt. Denn der CargoBeamer löst auch das Problem des Spurwechsels: In allen osteuropäischen Ländern gibt es eine breitere Schienenspur als in Westeuropa, so dass an der Grenze ein zusätzlicher Umladevorgang nötig wird, der in der Regel 2 bis 3 Tage dauert – ein Nachteil gegenüber dem Straßengüterverkehr. Mit dem CargoBeamer lässt sich der Umschlag einfach und schnell in weniger als einer Stunde abwickeln.

Dr. Imad Jenayeh hat sein Tablet noch vor sich. Nach wenigen Klicks tönt das Signalhorn, die Motoren surren leise und der Auflieger schwebt im CargoBeamer-Adapter zurück aufs Gleis.

 

Autor: Alexander Greiner

vorheriger Beitrag nächster Beitrag