Zukunft aus dem Drucker

Hochschule Merseburg und mitteldeutsches Netzwerk erforschen Additive Fertigung

Dietmar Glatz sieht die Zukunft des 3D-Drucks genau vor sich. „In riesigen Printfarmen werden unzählige Drucker in Fabrikation arbeiten, an die Menschen aus der ganzen Welt ihre Aufträge schicken. Alle Verfahren, alle möglichen Materialen der Additiven Fertigung laufen parallel, online kann jeder darauf zugreifen. Und ist so sein eigener Disponent!“ Diese Zukunft, weiß Glatz, hat lange begonnen: Schon heute gibt es beispielsweise in den USA Firmen, in denen Tausende 3D-Anlagen stehen. „Eine Serienfertigung aus dem Drucker gibt es längst! Airbus baut bereits RP-Teile in Flugzeuge ein. Auch Hörgeräte-Gehäuse werden ganz individuell als Einzelexemplare gedruckt. Auch viele Brillen entstehen heute am Drucker, 1000, 2000, 3000 Stück“, nennt der Leiter des RP-Zentrums an der Hochschule Merseburg Beispiele.

RP steht für Rapid-Prototyping. „Generative Fertigung“ und „Additiv Manufacturingring“ sind andere Bezeichnungen für die Technologie, in der sich mit Hilfe von Druckern dreidimensionale Objekte erzeugen lassen. Schicht wird auf Schicht getragen, aus Kunststoff, aus Metall, aus Gips oder auch aus Sand. Dietmar Glatz ist so etwas wie ein Pionier dieser Technologie. Mit dem Thema Rapid Prototyping beschäftigt er sich bereits seit 1992. Damals faszinierte den Maschinenbauer und Kunststoffverfahrenstechniker die erste Maschine, die in Deutschland stand. Das erste Bauteil, das er selbst 1992 aus einem 3D-Drucker zog, war eine gedruckte Kunststoff-Staubsauger-Düse. So groß wie ein Zimmer war die Anlage, sagt Glatz. Und die Düse kostete stolze 12.500 Mark! Das Staubsaugerteil liegt heute in einer Vitrine im RP-Labor der Hochschule Merseburg, zusammen mit anderen RP-Anschauungsstücken. Viele davon haben Studenten angefertigt. Neben kleinen Geigen und Miniatur-Schachspielen sind hochfiligrane, komplizierte Bauteile darunter, die allesamt als ein einziges Teil gedruckt wurden. Darunter ist aber auch die weltberühmte Skulptur der Uta aus dem Naumburger Dom. Die lebensgroße Plastik wurde an der Wand gescannt und von Dietmar Glatz als kleine Figur samt der originalen Farben im Material ausgedruckt.

Die Additive Fertigung ist ein Wachstumsmarkt. Doch die Technologie steckt noch immer in den Kinderschuhen. Auch wenn die Verfahren vielerorts die Schwelle zum Serienprozess erreicht und überschrittenen haben, klaffen noch immer große Wissenslücken. Wissenschaftler aus Sachsen-Anhalt arbeiten daran, sie zu schließen. Dietmar Glatz etwa muss nicht überlegen, wo in der Additiven Fertigung die Probleme liegen: „Bei den Materialien beispielsweise.“ Industriekunden sind an tausende Kunststoff-Alternativen in allen Farben gewöhnt. Additive Verfahren aber bieten ihnen nur ein Dutzend teurer Materialien. Die Wissenschaftler suchen deshalb  Alternativen zu den Spezialmaterialien, um das Werkstoffdilemma zu lösen.

Aktuell etwa treibt Glatz an der Hochschule Merseburg ein Förderprojekt voran, in dem gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut in Halle langfaserverstärkte druckfähige Materialien entwickelt werden, die eine ungekannte Festigkeit bieten. Bisher können die kohlefaserverstärkten Kunststoffe in der additiven Fertigung nicht verwendet werden.

Kunststoffexperte Dietmar Glatz sieht Forschung und Entwicklung in Sachsen-Anhalt beim jungen Wachstumsmarkt Additive Fertigung im oberen Drittel Deutschlands. Der Hochschulstandort Merseburg sei hierzulande sogar Vorreiter. „Das liegt daran, dass wir uns einfach viel früher als andere Hochschulen mit dem Thema beschäftigt haben“, erklärt er. Noch immer sei ihm in Deutschland kein Lehrstuhl für Generative Fertigung bekannt, in Merseburg bietet Glatz immerhin eine eigene Vorlesungsreihe an, die sich ausschließlich mit der Additiven Fertigung beschäftigt. An den anderen deutschen Hochschulen wird das Gebiet in den Vorlesungen lediglich mitbehandelt.

Das Rapid Prototyping Labor der Merseburger Hochschule ist inzwischen Partner vieler Unternehmen der additiven Fertigung in der Region. Seit 2006 wurde hier zudem die Tagungsreihe „Merseburger Rapid Prototyping Forum“ etabliert. Das Mitteldeutsche 3D-Druck-Forum führt bis heute Fachleute aus ganz Deutschland in Merseburg zusammen. 2008 wurde durch das Merseburger Innovations- und Technologiezentrum (mitz) und die Hochschule Merseburg außerdem eine erfolgreiche Netzwerkinitiative für Unternehmen und Forschungseinrichtungen der jungen Branche gestartet. Nach dem Auslaufen der Förderung führen 13 Netzwerkpartner nunmehr ihre kontinuierliche Zusammenarbeit als „Interessenkreis“ Mitteldeutsches Netzwerk Rapid Prototyping enficos weiter, der vom mitz koordiniert wird. „Der unmittelbare Nutzen für die Netzwerkmitglieder besteht in der Festigung und dem Ausbau ihrer Marktpositionen. Auch gemeinsame Messeauftritte gibt es“, sagt Dietmar Glatz. Die Unternehmen und Partner im Netzwerk stammen aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen.

Unter Beteiligung der Netzwerk-Partner ist beispielsweise das FABIO-Projekt (Fabrikation of prototypes with BIOplastics) entstanden. In dieser  Forschungsarbeit stand die Entwicklung von Verfahren und Vorrichtungen, um unterschiedliche BioPlastics im 3D-Druck zu verarbeiten. Die FABIO-Technologie setzt erstmals thermoplastische Polymere - sowohl biobasierte als auch petrochemische - in Granulatform ein. Der Kunde kann aus einer Vielzahl von Kunststoffgranulaten wählen.

Als 3D-Druck-Experte Dietmar Glatz im Jahr 2006 nach Merseburg kam, sei er belächelt worden, sagt der 68-Jährige. Das habe sich geändert. Damals gab es nur eine kleine Anlage. Heute könne sich die technische RP-Ausrüstung in Mitteldeutschland und darüber hinaus sehen lassen. Man sei gut aufgestellt. Auch andere Hochschulen haben zwischenzeitlich aufgerüstet oder sind gerade dabei. Denn der Siegeszug der Drucker, mit denen sich dreidimensionale Objekte erzeugen lassen, hält an.

Autor und Bild: Michael Falgowski

Bildunterschrift: Dietmar Glatz

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