Grüne Baguettes und schwarze Brote
In Meitzendorf „komponiert“ der Bäcker mit den Rasta-Haaren „Das-da Brote“
Im sachsen-anhaltischen Meitzendorf kehren in die „Bäckerei Möhring“ Einheimische genauso ein, wie Menschen, die neugierig auf die Produktinnovationen sind. In denen steckt neben traditionellem Handwerk, viel Kreativität, Liebe und Lust, Neues auszuprobieren. Der Sohn im sachsen-anhaltinischen Familienbetrieb ist ein „Vorwärtsdenker“ – einer, dem Netzwerken im Blut steckt, der soziale Medien genauso nutzt wie historischen Champagnerroggen, Algen oder Tintenfischblut und dabei weit über den Tellerrand denkt.
Die Auslage in der „Bäckerei Möhring“ lässt Besuchern das Wasser im Mund zusammenlaufen: Törtchen, Kuchen und Kekse locken. In den Brot- und Brötchen-Körben liegen die Klassiker – und Angebote, die man noch die gesehen, geschweige denn probiert hat. Wer Lust auf Neues hat, ist hier genau richtig. Denn: In dieser Backstube liegt Innovationsgeist in der Luft. Moderne Maschinen zeugen davon, dass dieses Familiengeschäft nicht im Gestern stehen geblieben ist. Spätestens, wenn man den Junior trifft, ist klar: Hier geht es anders zu als in vielen anderen Backstuben. Marcus Ostendorf steckt das Backen in den Genen. Kein Wunder, , er ist nach Mama Kerstin bereits die siebte Bäckergeneration . Als die Familie 1843 das Backhaus von der Gemeinde erwirbt, hat sie sich sicher nicht träumen lassen, was hier 175 Jahre später passieren würde – auch, wenn in der Familie immer schon Kreativität gesteckt hat. „Wir wollten stets mehr, als einfach nur backen“, sagt Kerstin Ostendorf, die früher Möhring hieß. „Heute sagen wir generationsübergreifendes Marketing. Damals haben wir gesagt: „Wollen wirklich jedem etwas bieten.“ Für ganz frischen Wind sorgt Sohn Marcus, der seit 2017 seinen Meisterbrief hat und zu dessen wichtigsten Arbeitsmitteln das Smartphone gehört.
Marcus Ostendorf tauscht Rezepte in Chatgruppen aus
Der Bäcker mit den Rasta-Haaren und den wilden Aufdrucken auf seiner Arbeitskluft ist in diversen Chatgruppen unterwegs, kommuniziert mit Bäckern aus Amerika und vielen anderen Ländern. In der Gruppe „Natürliches Backen“ tauscht er mit Kollegen „hard facts“ aus, wie er sagt. Da werde nicht lange „drum herum geschrieben, da werden Zutaten und Rezepte gepostet“. „Wir denken nicht in Konkurrenzgrenzen, da sind wir längst weiter“, sagt er. Fast ununterbrochen kann der Meitzendorfer von seinen Ideen sprechen, vom Backen, das „eine kreative Aufgabe“ sei und von Backwaren, deren Grundlage Recherche im Internet ist oder die durch Erlebnisse inspiriert worden sind.
„Das-da-Brote“ sind neue Gaumenfreuden
Im Alltag steht Marcus Ostendorf gegen 2 Uhr in der Backstube. Neben dem Tagesgeschäft widmet er sich den Rezepten für Brote, Brötchen und Baguettes, die sonst eher selten in Backstuben zu finden sind. Zwischendurch blickt er immer wieder aufs Handy. In einer Chatgruppe geht es um den Einsatz natürlicher Rohstoffe und chemiefreies Backen. Aus so einem Austausch ist eine Angebotsreihe entstanden: In Meitzendorf ist das „Das-Da-Brot“ der „Renner“ – für den es natürlich auch einen Extra-Chat gibt. Die Brot-Linie wird auch von Bäckereien angeboten, mit denen Marcus Ostendorf kommuniziert. Der Name spiegelt den häufigsten Kundenwunsch wider: „Ich möchte bitte das da…“. Unter diesem Titel bietet die „Bäckerei Möhring“ dienstags und freitags im zweiwöchentlichen Wechsel neue Brotsorten an – solche, die nicht als Standard durchgehen, wie Tomate-Buttermilch, Sauerkraut-Schinken oder Rotwein-Cheddar. Dabei leben Marcus Ostendorf und seine Familie ihre Lust am Backen aus. „Beethoven hat wie ein Verrückter Musik komponiert, wir machen das so ähnlich beim Backen“, sagt der Junior und lacht. Einheimische, Gastronomen, die er auf Messen oder bei Veranstaltungen überzeugt, oder auch Pendler, die extra hier einkehren, schätzen die Lust am „Komponieren“, warten auf neue „Das-da“-Kreationen, fragen: „Was habt Ihr dieses Mal?“ Sehen kann man die ungewöhnlichen Backwaren aus Sachsen-Anhalt auch auf Facebook oder Instagram. Meist erklärt der Meitzendorfer Bäcker dort gleich noch, dass der Gesundheitsgedanke hierbei nicht zu kurz kommt. Der steht neben der Vielfalt ganz oben auf der Tagesordnung. Gebacken wird bei den Ostendorfs möglichst ohne Zusatzstoffe. Stattdessen wird den Teigen oft viel Zeit zugesetzt. „Die Vorstufen arbeiten lassen“, nennt das Marcus Ostendorf. Wer eine lange Fermentierungszeit garantiere, würde die Stoffe arbeiten lassen, erklärt er. „Das wiederum unterstützt den Abbau jener ungewünschten Inhalte, die es Menschen mit Intoleranzen schwer macht, Brot zu genießen.“
Vegetarische Brot-Kreationen
Er selbst gönnt sich eher wenig Zeit. Das Smartphone brummt häufig, dann geht es um Termine, bei denen die innovativen Bäcker ihre speziellen Waren an experimentierfreudige Genießer bringen. Es hat sich herumgesprochen, dass Marcus Ostendorf, Bilder per WhatsApp schickt, vor Ort guckt, wie es um die Möglichkeiten bestellt ist, Baguettes vor Ort frisch zu Ende zu backen. Und auch, dass er alles probiert, „was Laune macht“. Für einen Magdeburger Burgerladen stellen sie in Meitzendorf schwarze Brötchen her, weil das zum Wasserbüffelfleisch passt. In den Teig fürs Fladenflachbrot kommt Tintenfischtinte. Für Vegetarier könnte er dafür später mit Aktivkohle arbeiten, meint Marcus Ostendorf. Vegetarische Varianten überlegt er sich häufig, schon, weil er einen „Unverpackt“-Laden in Magdeburg mit Backwaren versorgt, der sie gut verkauft. Ein weiteres Angebot ist der „Magic Stick“: Den hält man im Laden für alle die bereit, die kein Weizenbrot mögen. Eingebacken sind im Dinkelbaguette Kürbiskerne, Chia-Samen und Gojibeeren.
Grünes Baguette mit Algenextrakten
Ganz anders ist die neuste grüne Brot-Kreation, die aussieht, wie vom anderen Stern. Die farbgebende Zutat kommt von der Algenfarm „PureRaw“ aus dem altmärkischen Klötze. Deren Chefin Kirstin Knufmann hat Marcus Ostendorf beim Food-Workshop „Kreativwirtschaft trifft Ernährungsbranche“ des Wirtschaftsministeriums in Magdeburg kennengelernt. Die frischgebackene Kultur- und Kreativpilotin – gekürt im November 2018 im Namen der Bundesregierung – gibt dem Bäcker damals ein Probierfläschchen Algen, die er für die Kreation eines Burgerbrötchens einsetzt. Diese Zusammenarbeit solle weiter ausgebaut werden, so Ostendorf. Algenbaguettes könne er sich gut vorstellen. Die grüne Zutat hat er ohnehin schon seit langem im Blick. Für die Kooperation, die sich mit dem Klötzer Unternehmen anbahnt, schreibt er seine bisher erdachten Rezepte um, damit sie zur entsprechenden Algensorte passen. „Passen und lecker“ sind wichtige Vokabeln in der „Bäckerei Möhring“. Darum setzt das Team auch Lieferungen von der „Getreidemühle“ aus Thale ein. Familie Ostendorf schwört auf „Champagner Roggen“, den Landwirte im Harz anbauen. Die historische Getreidesorte finde man sonst nur noch selten, so Marcus Ostendorf. Dabei hätte dieser Roggen, der aus dem 19. Jahrhundert mit den Hugenotten aus Frankreich nach Deutschland kam, „unschlagbare Vorteile“. Beim Anbau kommt er ohne Mineraldünger und Pestizide aus, und für viele Menschen ist er in Backwaren verträglicher als manch gezüchtetes Getreide. In Meitzendorf entsteht aus dem Champagner-Roggen ein Vollkornbrot. Das könnte bald auch in besonderen Taschen nach Hause getragen werden. Für neue Brotbeutel hat sich Marcus Ostendorf mit einem Kooperationspartner zusammengetan, der nachhaltig arbeitet und unter anderem versucht, altes Leinen mit Laub einzufärben oder Materialen recycelt. Der junge Bäcker sagt: „Wenn kreative Handwerker und Gastronomen zusammenarbeiten, macht das einfach Laune.“
Autorin: Manuela Bock