Vielfalt und Forscherdrang bilden Nährboden für innovative, gesunde Lebensmittel
In der Ernährungsbranche hat sich Sachsen-Anhalt als Standort für jeden Trend zwischen Tradition und Moderne etabliert
Vitamin D aus dem Hühnerstall, Konfekt in Rohkostqualität, Cholesterinspiegel senkende Mikroalgen: auf dem Nährboden von Vielfalt und Forscherdrang gedeihen in Sachsen-Anhalt innovative Entwicklungen in der Ernährungswirtschaft. Im Bundesland im Herzen Deutschlands ist die Nahrungsgüterindustrie (Nahrungsgüter, Futtermittel, Getränke) mit einem Jahresumsatz von knapp 8 Milliarden Euro (2017) die stärkste Branche. Diesen Gesamtumsatz erwirtschaften 180 Unternehmen mit 22.000 Beschäftigten (2017). Neben diesen Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten prägen Klein- und Kleinstunternehmen sowie mehr als 500 landwirtschaftliche Direktvermarkter das Gesamtbild. Traditionshüter und Trendsetter haben darin gleichermaßen ihren Platz.
Zu den Unternehmen, die Traditionspflege zelebrieren, gehören zum Beispiel die Salzwedeler Baumkuchenhersteller. Sie backen in Handarbeit am offenen Feuer nach Rezepten, die von Generation zu Generation überliefert werden und vermarkten die regionale Spezialität mit dem Markenschutz g.g.A. Zu den Trendsettern zählt zum Beispiel die Vitavitee GmbH im Harzkreis, die sich auf Superfood-Produkte aus aller Welt unter anderem auf Goji, Aloe Vera, Maca und Schisandra spezialisiert hat. Oder die Vitasprosse GmbH in der Altmark, die Rohköstlern mit ihren Kreationen zu süßen und herzhaften Genüssen verhilft. Fruchtiges Konfekt, Torten, Kekse, Brote, Kräcker – alles gibt es in Rohkostqualität.
Den Trend für vitalstoffreiche Ernährungsalternativen bedienen in der Altmark – im Norden des Bundeslandes – auch die Roquette Klötze GmbH & Co. KG sowie die Pure Raw Knufmann GmbH. Mikroalgen, die in Glasröhrensystemen mit insgesamt 500 Kilometern Länge produziert werden, verarbeitet Pure Raw unter anderem zu Chlorella-Presslingen zur Nahrungsergänzung oder zu Spirulina-Pulver für magisch-blaue Getränke und Speisen. In einem Projekt mit dem Masterstudiengang der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und der Agrarmarketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH werden nun „zusätzliche Märkte und Vertriebskanäle für Algen- und Superfood-Produkte für die gesunde Ernährung und zur Nahrungsergänzung erkundet“, berichtet AMG-Geschäftsführer Dr. Jörg Bühnemann. Zielgebiete sind Deutschland, Österreich und die Schweiz. Über den Biofachhandel und den Lebensmitteleinzelhandel hinaus soll die Vermarktung auf bestimmte Hotels, Gesundheitshäuser und Ernährungsberater ausgeweitet werden.
Immer mehr Produkte sollen helfen, den Konsum von Zucker, tierischem Eiweiß und gesättigten Fettsäuren zu reduzieren und so Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen entgegenzuwirken. „Um Menschen zu erreichen, die auf Gewohntes nicht verzichten wollen, möchten wir Lebensmittel entwickeln, die den konventionellen ähnlich, aber von bestimmten negativen Stoffen befreit sind oder denen natürliche Rohstoffe mit wertgebenden Inhaltstoffen zugefügt werden“, erklärt Prof. Dr. Gabriele Stangl, Ernährungswissenschaftlerin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Gemeinsam mit Kollegen der Universitäten Jena und Leipzig forschen Stangl und ihr Team im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt nutriCARD. In Arbeitsteilung widmen sie sich der Entwicklung gesunder, innovativer Lebensmittel, untersuchen deren Wirkungsweise im menschlichen Körper und gewährleisten Produktsicherheit.
In Förderphase 1 experimentierte Gabriele Stangl unter anderem mit Tageslicht, speziell dem ultravioletten Licht im Hühnerstall. Durch die spezielle Beleuchtung ist es gelungen, die Vitamin D-Bildung in den Legehennen so anzuregen, dass der Vitamin D-Gehalt im Ei um das Fünffache stieg. Da etwa jeder Zweite in Deutschland im Winter unterversorgt ist, könnte das Frühstücksei somit einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass Knochen länger stabil bleiben und die Immunkraft gestärkt wird. Für die Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielt das Vitamin D aber vermutlich keine Rolle, so Stangl. Auch das ist eine wichtige Erkenntnis aus dem nutriCARD-Forschungsprojekt. Anders ist das beim Phosphat in der Nahrung. Hier sehen die Wissenschaftler äußerst interessante Wirkungen auf kardiovaskuläre Risikofaktoren.
Im Mai 2018 begann Förderphase 2. Unter anderem setzen die Wissenschaftler ihre Untersuchungen zu den Wirkungen von Phosphat fort: “Viele Menschen nehmen deutlich mehr Phosphat auf als sie eigentlich bräuchten. Sind die Nieren erst einmal erkrankt, wird das zum Problem“, erläutert die Ernährungswissenschaftlerin. „Wir wissen derzeit aber noch sehr wenig zu den Wirkungen des Phosphats bei gesunden Menschen.“
Im Verbundprojekt NovAL kooperieren die mitteldeutschen Universitäten Halle, Leipzig und Jena mit der Hochschule Anhalt in Köthen auf der Suche nach besonderen Algen. „Es gibt schätzungsweise 400.000 bis 500.000 Mikroalgen, doch nur sehr wenige werden bisher genutzt“, so Stangl. „Es gibt Algenarten, die für uns wertvolle Nährstoffe produzieren. Neben den Vitaminen D und B12 haben wir Phytosterole im Fokus, pflanzliches Cholesterin, das den Cholesterinspiegel senkt.“ An der Hochschule Anhalt in Köthen werden die vielversprechendsten Mikroalgenstämme kultiviert. Ziel ist es, diese Mikroalgen für die menschliche Ernährung nutzbar zu machen. Mehrere Partner aus der Wirtschaft haben bereits Interesse signalisiert, darunter eine Wurst- und Konservenfabrik, ein Backwarenunternehmen und eine Hofmolkerei.
„Wir haben nutriCARD als Marke für unsere im Ernährungscluster entwickelten neuen Produkte angemeldet“, betont Prof. Dr. Stangl, das soll signalisieren: Wo nutriCARD draufsteht, sind gute Inhaltstoffe drin.
Autorin: Bettina Koch