Forschungs-Anstifter par excellence

Ein Interview mit Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Niclas - einen Agrochemiker, der akademische Lehre und die industrielle Forschung in Sachsen- Anhalt vereint

Für seine außergewöhnlichen Leistungen zeichnete Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff  unlängst den 75jährigen Chemiker Prof. Dr. Dr. h. c. Hans-Joachim Niclas mit der Ehrennadel des Landes Sachsen-Anhalt aus. Über den beruflichen Werdegang von Professor Niclas sowie seinen Beitrag zum innovativen Produktportfolio der SKW Stickstoffwerke Piesteritz gab der Preisträger nachfolgendes Interview. 

Herr Prof. Niclas, was war für Sie der Auslöser, nur wenige Jahre nach Kriegsende in Berlin Chemie zu studieren?

Ich interessierte mich schon als Schüler für die Naturwissenschaften, insbesondere für die Biologie. Als ich 1959 schließlich vor der Studienwahl stand, mahnte mich mein Lehrer, es mir doch genau zu überlegen. Denn wenn ich mich für die Biologie entscheide, könne ich, so meinte er ironisch, bestenfalls Zoodirektor werden, und die Zahl der Zoodirektoren sei bekanntlich begrenzt! Zu dieser Zeit hörte ich, dass Chemiker gebraucht werden. „Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit“ hieß das damals in den schwierigen Nachkriegsjahren, in denen es für die meisten Menschen wenig zu essen gab.

Waren Sie nicht auch familiär, landwirtschaftlich vorgeprägt?

Antwort:  Ja, durchaus. Ich bin mit der Landwirtschaft aufgewachsen. Mein Vater war Landwirt und Bierbrauer. Damals spielten aber die moderne Bio- und Umweltchemie, wie wir sie heute kennen, in der Landwirtschaft noch keine Rolle. Die Landwirtschaft war nicht der Grund, weshalb ich mich entschloss, Chemie zu studieren. Es war vielmehr mein generelles Interesse an den Naturwissenschaften.

Sie waren ein sehr guter Student und wurden ein noch erfolgreicherer Naturwissenschaftler, der bis heute 123 Patente erarbeitet hat. Erinnern Sie sich noch an ihr erstes Patent?

Natürlich. Als junger Diplomand und Mitarbeiter des Zentralinstituts für organische Chemie der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin-Adlershof wollte ich möglichst schnell promovieren. In meiner Doktorarbeit, von der dann ein Teil zum Patent führte, ging es im Rahmen einer Industrie-Aspirantur bei Fahlberg-List auch um das Thema Pflanzenschutz. Sie sehen, schon dieser „Start“ bewegte sich auf „landwirtschaftlichem Boden“.

Nach vieljährigen Tätigkeiten an der Akademie der Wissenschaften begann im Jahr 1997 wieder ein neuer beruflicher Lebensabschnitt. Im Alter von 56 Jahren wurden Sie Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der SKW Piesteritz. Wie bewerten Sie heute diesen Neuanfang?

1993 wurde die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH gegründet. Mein Beginn als Leiter Forschung und Entwicklung im Unternehmen nur vier Jahre später fiel in eine Zeit, in der es weltweit ein Überangebot an Harnstoff gab. Um weiterhin noch wettbewerbsfähig zu bleiben, mussten wir Harnstoff-Düngemittel produzieren, die sowohl unter wirtschaftlichen, als auch unter ökologischen Aspekten Vorteile haben – also genau das zur Verfügung stellen, was die Landwirte benötigt.  Das gelang uns in verstärktem Maße nach 2005, als unser neues Mutterunternehmen Agrofert und die Geschäftsführung der SKW Piesteritz dem Bereich Forschung und Entwicklung einen bedeutend höheren Stellenwert im Unternehmen einräumten. Wir kamen dann schrittweise mit innovativen Düngemittel-Produkten auf den Markt, die unter anderem durch Nitrifikations- und Ureaseinhibitoren dafür sorgen, dass Stickstoff in seinen unterschiedlichen Verbindungen besser für die Pflanze wirkt und die Umweltbelastungen deutlich reduziert. Seit 2005 hat sich Piesteritz zu einem bedeutenden Standort der Industrieforschung in Sachsen-Anhalt entwickelt.

Ende der 1990er Jahre gab es in vielen Unternehmen Bestrebungen, Forschung und Entwicklung aus den Stammunternehmen auszugründen. Sie haben sich dem nicht nur widersetzt, sondern sind auch dafür eingetreten, dass zusätzlich zum FuE-Bereich der SKW Piesteritz ein Agrochemisches An-Institut e.V. (AIP) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gegründet wird. Was brachte das?

Mit dem damaligen Staatssekretär Dr. Reiner Haseloff diskutierten wir über die Möglichkeiten, die Forschung im Sinne unseres Landes möglichst effektiv zu fördern.  Ein Ergebnis war die Gründung des An-Instituts, das mittlerweile schon 20 Doktorarbeiten gefördert hat – 12 davon haben es bereits zur Promotion gebracht.

Die Überführung von Grundlagenforschung, die an den Universitäten und Instituten im Land praktiziert wird, in die anwendungsbezogene Forschung von Unternehmen, ist entscheidend dafür, Arbeitsplätze im Land zu sichern. Piesteritz ist da durchaus ein Schrittmacher. Mit dem An-Institut erfuhren unsere Beziehungen und die weiterer Unternehmen zu Universitäten und Hochschulen eine neue Qualität.

Heute wünschen immer mehr Menschen in Deutschland sich landwirtschaftliche Bioprodukte, die ohne den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln produziert werden. Welche Zukunft sehen Sie für innovative Düngemittel?

Die Wünsche sind verständlich, doch angesichts der weiter wachsenden Weltbevölkerung kann der Biolandbau die moderne Landwirtschaft nicht ersetzen. Der Ökolandbau erfordert beispielsweise in viel größerem Ausmaß ackerbauliche Flächen. Zugleich wächst die Nachfrage an Flächen für landschaftliche Produkte wie Rapsöl, die für die Herstellung von Biokraftstoffen und weiteren Rohstoffen benötigt werden. Daher bleibt die Düngemittel-Produktion unersetzlich, um die Menschheit weiterhin zu versorgen. 

Noch immer sind Sie zwei Tage pro Woche im Unternehmen, in dem Sie einen Sonderforschungsbereich leiten.  Woran arbeiten Sie?

Ich versuche, mein Erfahrungswissen einzubringen und zwar sowohl bei der Optimierung chemischer Prozesse als auch bei der Entwicklung von Wirkstoffen für die Pflanzenernährung. Hinzu kommt die Koordinierung des Zusammenspiels von industrieller und akademischer Forschung.

Interview: Uwe Seidenfaden

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