Die Evolution der Dinge
Mit "fluider Logistik" will die Magdeburger benjamin GmbH starre Muster aufbrechen
Lars Bergmann denkt schnell und in alle Richtungen. Ebenso flexibel und dynamisch sollen in Zukunft auch Logistik- und Produktionsprozesse funktionieren: Mit der benjamin GmbH arbeitet er an einer technischen Lösung, mit der sich Objekte in Lagern selbst organisieren und Prozesse parallelisieren lassen: die "fluide Logistik".
Es klingt wie Science-Fiction: Beliebig viele Transportvorrichtungen bewegen sich frei durch den Raum. Alles geschieht punktgenau, gleichzeitig, in alle Richtungen sowie individuell und in Echtzeit an die jeweilige Anforderung angepasst. Am Flughafen erhält jeder umgehend seinen Koffer, bei einem großen Versandhändler werden alle Bestellungen gleichzeitig bearbeitet. Sich irgendwo geduldig hinten anzustellen, könnte bald aus der Mode sein.
"Das ist keine Zukunftsmusik", ist sich der Unternehmensgründer Lars Bergmann sicher. Ist es aber ein großes Chaos? "Genauso wenig wie im Ameisenhaufen. Im Gegenteil: Es ist hochgradig effizient." Der Betriebswirt und Wirtschaftsinformatiker lächelt selbstbewusst. Jahrelang hat er im Keller mit Spulen und Magneten experimentiert. Das fachfremde Wissen dafür las er sich an. Und alles nur, weil er sich als Student nicht mit den starren Lösungsrastern seines Professors zufrieden gab. Damals ging es in einem Seminar darum, Produktionsprozesse zu optimieren. Heute hat der Magdeburger eine schlagfertige Antwort: Fluide Logistik. Sie hat das Potenzial, automatische Prozesse weltweit zu revolutionieren – vom Logistikunternehmen über Lager, Produktionsstätten und Warenhäuser bis hin zu ganz neuen Serviceangeboten im Alltag.
Das Grundprinzip ist ähnlich einer Münze, die ein Magnet wie von Zauberhand auf einer Tischplatte bewegt. Die benjamin GmbH löst dies mit elektromagnetischen Antriebsmodulen, die als Kacheln im oder auf dem Boden verlegt werden. Sie erzeugen Magnetfelder, deren Größe, Geschwindigkeit und Intensität wiederum eine Software steuert. Eine Art zentrales Gottesauge ergänzt die Schwarmintelligenz der Objekte. Dafür hat Bergmanns 14-köpfiges Team jahrelang nach den richtigen Materialflussalgorithmen gesucht.
Das System transportiert Objekte jeglicher Größe präzise und ohne gegenseitige Berührung, reagiert in Echtzeit auf eine veränderte Umgebung. Es ist signifikant schneller, günstiger und zielgerichtet. Große Lasten stellen kein Problem dar. Dank der Parallelität der Prozesse können Fabrikkernbereiche wie Lager, Förderung und Produktion miteinander verschmelzen.
Bei der Entwicklung waren auch Wissenschaftler der ESA Darmstadt, der FH Frankfurt und der TU Braunschweig eingebunden. Ein breites Konsortium aus Förderern unterstützt das große Vorhaben finanziell. Die 2008 gegründete benjamin GmbH hat ihre Erfindung mittlerweile weltweit patentieren lassen. Gemeinsam mit großen Industriepartnern wie der Fraport AG, Betreibergesellschaft des Flughafens in Frankfurt am Main, arbeitet das Unternehmen nun daran, sein System marktreif zu machen. Darüber liegt allerdings noch immer der Mantel der Geheimhaltung. Doch das Interesse der Automobil-, der Chemie- und der Logistikbranche ist bereits geweckt. In den Bereichen Intralogistik und Produktion suchen die Magdeburger weiterhin nach strategischen Kooperationspartnern.