Die EEG-Messtechnik macht den Sprung in die Telemedizin
Seit etwa 80 Jahren ist die Elektroenzephalografie unter der Abkürzung EEG wohl jedem geläufig. Für diese Untersuchungsmethode zum Messen der Gehirnströme war die Messtechnik anfangs so groß und kompakt wie ein Schreibtisch. Kontinuierlich wurde sie weiter entwickelt. Jetzt aber macht sie einen Sprung in die Telemedizin. Das „Home Monitoring of Brain and Body Functions“, kurz HOME2B+, wird gemeinsam von der Magdeburger Universitätsklinik für Neurologie und dem global agierenden Informations- und Konsumforschungsunternehmen Nielsen entwickelt.
„Seit 36 Jahren leite ich EEGs ab ...“, sagt Anne-Katrin Baum. Sie ist leitende medizinisch-technische Assistentin für Funktionsdiagnostik und hat all die Jahre hindurch ihren Arbeitsplatz am Universitätsklinikum Magdeburg -.
Prof. Dr. Hans-Jochen Heinze, Leiter der Magdeburger Universitätsklinik für Neurologie und Neurophysiologie, ist froh über den insgesamt großen Schatz an Berufserfahrung in seinem Team – nicht nur, was das Analysieren von Elektro-Enzephalogrammen angeht. Auch das Wissen um die Vorgänger-Geräte ist von Vorteil bei der Entwicklung einer neuen Generation des EEG.
Die grafischen Darstellungen der Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche sagen viel aus über Aktivität und mögliche Erkrankungen im Netzwerk der Hirnzellen. „Früher kam aus den Geräten eine Menge Papier, auf dem diese Wellen aufgezeichnet waren“, erinnert sich Anne-Katrin Baum und deutet im Gegensatz dazu auf ihren Monitor mit den typischen Wellen-Mustern. Das Computerzeitalter brachte ganz offensichtlich Zeit- und Materialeinsparung. Was bislang blieb, ist das relativ aufwändige Aufsetzen von etwa 20 Elektroden auf den Kopf, die vorher in eine Natrium-Chlorid-Lösung gelegt werden müssen. Die Kopfhaut wird mit Elektroden-Paste ähnlich einer Peeling-Creme vorbereitet, damit der Kontakt mit dem Elektroden-Gel hergestellt und die Gehirnströme geleitet und gemessen werden können. „Eine Erleichterung brachte die Entwicklung einer Haube, in die die Elektroden schon eingearbeitet sind, damit sie nicht auf dem Kopf verrutschen“, sagt Frau Baum und holt ein solches Modell aus der Verpackung: modern – aber nicht der „letzte Schrei“.
Für die allerneueste Elektronenhaube braucht man zwei Handgriffe, und schon sitzt sie perfekt. Der Patient kann sich die Kappe eigenhändig aufsetzen. Und die Trocken-Elektroden liefern auch ohne Gel und Paste Daten von hoher Qualität – dies sind Grundvoraussetzungen für das, was die Wissenschaftler und Mediziner am Universitätsklinikum Magdeburg mit ihr vorhaben: „Home Monitoring of Brain and Body Functions“, kurz HOME2B+ heißt das Projekt auf dem Gebiet der Telemedizin.
Im Herbst dieses Jahres geht es in den zweijährigen Feldversuch. „Etwa 50 Neurologen und Nervenärzte in Magdeburg und Halle konnten dafür gewonnen werden“, sagt Prof. Hans-Jochen Heinze. Er rechnet mit bis zu 2.000 Patienten, die die Kollegen in den Versuch einbringen: „Patienten mit kurzzeitigen Veränderungen der Bewusstseinszustände. Die Ursachen dafür sind meistens Herzrhythmusstörungen, ein Schlaganfall oder ein epileptischer Anfall. Die Symptome sind ähnlich, ihre Therapie aber höchst unterschiedlich“, betont Heinze und ergänzt, dass die Kapazitäten in den Krankenhäusern längst nicht ausreichen, die steigende Zahl der Risikopatienten so lange unter Beobachtung zu halten, bis ein solcher Anfall auftritt und vom EEG aufgezeichnet werden kann. Das Home Monitoring mittels der neuen Trocken-Elektrodenhaube mache es möglich, dass sich die Patienten in ihrem häuslichen Umfeld aufhalten können und ihre EEG-Daten vom eigenen Handy oder Computer an den Computer in der Arzt-Praxis senden. „Die Daten werden teilweise automatisch ausgewertet. Auf ihrer Grundlage kann über den Einsatz eines Herzschrittmachers oder eines Antiepileptikums sicher entschieden werden“, sagt der Neurologe.
Sachsen-Anhalt nutzt die gravierenden demografischen Veränderungen im Land u.a. dazu, eine Vorreiterrolle einzunehmen was innovative Entwicklungen im Bereich der Medizintechnik betrifft. „Eine alternde, zunehmend therapiebedürftige Gesellschaft kostet Geld“, sagt Prof. Heinze, darum sei das Land als Kooperationspartner in das Telemedizin-Projekt HOME2B+ eingestiegen. „2012 hat das Wirtschaftsministerium mit dem amerikanischen Unternehmen Nielsen einen Vertrag geschlossen. Darin geht es um einen Test, ob die vom Unternehmen entwickelte Haube zu medizinischen Zwecken genutzt werden könne“, erzählt er. Er selber war von einem Kollegen aus den USA auf diese Erfindung aufmerksam gemacht worden. Das Informations- und Konsumforschungsunternehmen Nielsen erforscht u.a., wie die Neurowissenschaften und ihre Techniken im Marketing eingesetzt werden können. Es hatte die Kappe ursprünglich entwickelt, um zu testen, wie Konsumenten auf unterschiedliche Werbeformen reagieren. Die medizinisch-technische Assistentin Anne-Katrin Baum berichtet von einer engen und konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Nielsen-Produktentwickler Yakob Badower. Gemeinsam mit dem in Berlin arbeitenden Chef-Techniker hat das Magdeburger Team die Kappe entwickelt, die jetzt im Feldversuch getestet wird.
„HOME2B+ kann allerdings nicht nur zur Überwachung, sondern auch zur Therapie durch Neurofeedback eingesetzt werden“, betont Baum und erklärt vereinfacht: „Ein Schlaganfall in einem bestimmten Hirnareal führt zum Beispiel zur Lähmung eines Armes, weil dort durch den Kurzschluss kein Strom mehr ankommt. Der Computer kann aber mit Hilfe der Elektrodenkappe die Hirnaktivität des Patienten analysieren. Wenn der sich stark auf den gelähmten Arm konzentriert, bewirkt ein elektrischer Impuls, dass sich seine Hand hebt. Als Belohnung sozusagen bekommt das Gehirn ein positives Signal zurück. So kann durch kontinuierliches FeedbackTraining mit dem Gerät zu Hause die gestörte Nerveninteraktion zwischen Arm und Gehirn wesentlich verbessert werden.“ „Aufmerksamkeitsstörungen vor allem bei Kindern gehören ebenfalls zum Therapiebereich“, ergänzt ihr Chef.
Was die einfache Handhabung betrifft, hat diese Kappe bislang ein Alleinstellungsmerkmal unter vergleichbaren Produkten. Und wenn sie in einer entsprechend hohen Stückzahl produziert wird, sei sie auch finanziell wettbewerbsfähig, prognostiziert Professor Heinze. Gemeinsam mit den Unterstützern des HOME2B+ Projektes – allen voran das Land
Sachsen-Anhalt, Nielsen und die IKK – treibt er die Gründung eines Produktions-Unternehmens für die Trocken-Elektrodenkappen voran. „Solch ein Unternehmen ist im Neuromedizin-Zentrum Magdeburg sehr gut angesiedelt“, betont der Mediziner.
Autorin: Kathrain Graubaum (Text / Foto)
BU: Prof. Dr. Hans-Jochen Heinze, Leiter der Magdeburger Universitätsklinik für Neurologie und Neurophysiologie und Anne-Katrin Baum, leitende Medizinisch-technische Assistentin für Funktionsdiagnostik, gehen mit der Trocken-Elektrodenhaube auch auf Vortrags-Reisen.