HIER investiert die Chemie - Investitionen in Milliardenhöhe
Sachsen-Anhalt ist das Kernland der Chemie- und Kunststoffindustrie in Ostdeutschland. Ansässige Unternehmen planen Großes für dieses Jahr, der Ausbau bestehender Strukturen und Anlagen sowie die Erforschung neuer Geschäftsfelder sollen die Umsätze weiter steigern.
Sachsen-Anhalt ist nicht nur das Ursprungsland der Reformation, sondern auch der ostdeutschen Chemiebranche. Ein Drittel des gesamten Umsatzes in den neuen Bundesländern wird in der Branche erzielt; sie erwirtschaftet fast 20 Prozent des Anteiles an der Gesamtindustrieproduktion. Die Voraussetzungen dafür? Milliardenschwere Investitionen, modernste Anlagen, hochqualifizierte Mitarbeiter und die Idee der Chemieparks, die hier entwickelt wurde und für kürzeste Wege und technologische Synergien sorgt. Zwischen 1991 und 2015 wurden insgesamt 9,8 Milliarden Euro in Sachanlagen investiert. In keinem anderen ostdeutschen Bundesland floss mehr Geld in den Chemiesektor. 2015 gaben die Chemiebetriebe knapp 270 Millionen Euro für Anlagen und Grundstücke aus.
Im Mitteldeutschen Chemiedreieck, dem industriellen Ballungsraum rund um die Städte Halle/Saale, Merseburg und Bitterfeld, sind die ältesten und prägendsten Unternehmen der Region angesiedelt, der Chemiepark Leuna zählt dazu. Er gehört zu den weltweiten Topstandorten für die chemische Industrie. Niedergelassen hat sich dort unter anderem die deutsche Tochter des US-Konzerns Dow Chemical Company. Das Unternehmen plant, in den kommenden zwei Jahren 300 Millionen Euro für die Wartung und Instandhaltung der vorhandenen Produktionsanlagen auszugeben.
DOMO Chemicals, ein Polyamid 6-Hersteller, und die TOTAL-Raffinerie Leuna planen, gemeinsam 60 Millionen Euro in eine Anlage zur Benzolextraktion zu investieren. Insgesamt haben die in Leuna ansässigen Unternehmen 250 Millionen Euro investiert. Eigentümer und Betreiber der Infrastruktureinrichtungen am Chemiestandort ist Infra-Leuna. Das Unternehmen gehört zu den Großinvestoren; in den vergangenen drei Jahren wurden 100 Millionen Euro eingesetzt zur Verbesserung der Infrastruktur. Für 2017 sind Projekte mit einem Umfang von 37 Millionen Euro vorgesehen, darunter die Inbetriebnahme eines neuen Übergabebahnhofes.
Große Pläne werden auch im Chemie- und Industriepark Zeitz geschmiedet. Betreiberin Infra-Zeitz Servicegesellschaft mbH nahm Anfang des Jahres den Spatenstich für die Erweiterung der Zentralen Abwasserbehandlungsanlage vor, die etwa sieben Millionen Euro kosten wird. Der Bau ist Teil des Erweiterungsabschnittes, der mit Gesamtkosten von etwa 18,1 Millionen Euro angesetzt ist, woran sich das Land Sachsen-Anhalt mit etwa 12 Millionen Euro beteiligt. Die Firma Puralube, angesiedelt bei Infra Zeitz, investiert in diesem und den kommenden Jahren einen zweistelligen Millionenbetrag in den Ausbau ihres Standortes. Im neuen Teil der Raffinerie sollen künftig Premium-Basisöle in besonders hoher Qualität hergestellt werden.
Der größte Ammoniakproduzent Deutschlands, die Stickstoffwerke Piesteritz bei Wittenberg, will ebenfalls wachsen. 75 Millionen Euro sollen in den Ausbau der Kapazitäten gesteckt werden – schließlich wächst die Nachfrage nach den Produkten, die Umsätze steigen. Um 250 Tonnen pro Tag soll die Produktion gesteigert werden. Gleichzeitig soll der Energieverbrauch um zirka acht Prozent gesenkt werden – bei der erforderlichen Verbrennung von 140000 Kubikmeter Erdgas pro Stunde eine lohnenswerte Investition.
Ganz neue Wege hingegen will ein Netzwerk aus Forschung und Industrie gehen: „Hydrogen Power Storage and Solutions East Germany“, kurz HYPOS. Das Konsortium aus 121 Mitgliedern, darunter Großunternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen, arbeitet daran, aus erneuerbaren Energien den speicherbaren Energieträger Wasserstoff herzustellen. Im Land der Windräder und Solaranlagen, das mit zirka 500 Kilometern über Deutschlands größtes Pipelinenetz verfügt, hat die Idee einer neuen Nutzungsmöglichkeit für den sogenannten „Grünen“ Wasserstoff in der Chemieindustrie durchaus Charme. Dabei ist die Verwendung des Wasserstoffes sowohl als Basischemikalie als auch in der Brennstoffzelltechnologie denkbar. Nachhaltig, umweltfreundlich und effektiv: HYPOS‘ Pläne sind so vielversprechend, dass das Projekt in das Förderprogramm „Zwanzig20“ des Bundes aufgenommen wurde. Mit 70 Millionen Euro wird der Gesamtaufwand beziffert, 45 Millionen stammen aus Fördermitteln.
Nach Angaben des Verbandes der Chemischen Industrie e.V., Landesverband Nordost, zählte die Branche 2015 18.100 Chemiebeschäftigte. Eine Besonderheit ist, dass die Produktivität der Unternehmen, gemessen am Umsatz je Beschäftigten, sehr hoch ist. Sie erhöhte sich von 390.000 Euro im Jahr 2006 auf rund 460.000 Euro im Jahr 2015. Dagegen erwirtschaftet ein Industriearbeitnehmer 2015 in Sachsen-Anhalt durchschnittlich nur rund 300.000 Euro.
Der Start ins Jahr 2017 verlief für das Stammland der Chemieindustrie erfreulich. Die Umsätze des ersten Quartals beliefen sich auf 2,1 Milliarden Euro - eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Die Herstellung chemischer Grundstoffe stellt nach wie vor das zentrale Standbein der Chemieindustrie in Sachsen-Anhalt dar. Rund fünf Milliarden Euro Umsatz erwirtschafteten die Betriebe in dieser Sparte im Jahr 2016.
Als besonders attraktiv haben sich die Chemiestandorte für ausländische Investoren erwiesen: Mehr als ein Viertel aller durch ausländische Investoren in Sachsen-Anhalt geschaffenen Arbeitsplätze sind in der Chemiebranche entstanden. Ein weiterer Pluspunkt für die Region ist kürzlich hinzugekommen: ein Flächentarifvertrag, der in seiner Flexibilität seinesgleichen sucht. Darin ist festgehalten, dass künftig die Tarifparteien vor Ort die regelmäßige Arbeitszeit in einer Vereinbarung festgelegt wird; abhängig vom jeweiligen Arbeitsvolumen kann dabei eine Zeit zwischen 32 und 40 Stunden gewählt werden. Damit wurde ein weiterer Standortvorteil für Sachsen-Anhalt festgeschrieben.
Autor: Anja Falgowski