Rübenkrankheiten auf der Spur
Hyperspektrale Messmethode und selbstlernende Software sollen Züchtung widerstandsfähiger Sorten beschleunigen
Objektiv und effizient statt subjektiv und mühsam – ein innovatives Gemeinschaftsprojekt aus Sachsen-Anhalt könnte die Pflanzenzüchtung revolutionieren: Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und Fabrikautomatisierung in Magdeburg entwickeln mit ihren Partnern Strube Research GmbH & Co. KG in Schlanstedt sowie mit dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben die hyperspektrale Messmethode, um Blattkrankheiten an Zuckerrüben schneller zu erkennen, die Selektion der Pflanzen und die Züchtung zu beschleunigen. Für Landwirte und Zuckerfabriken sind neue widerstandsfähige und zugleich ertragsstarke Sorten ein stabilisierender Faktor auf einem turbulenten Zuckermarkt der Zukunft abseits von Quoten und Preisgarantien. Das Gemeinschaftsprojekt zur Entwicklung der neuen Technologie, einer Kombination aus automatisierter Bildaufnahme und automatisierter Auswertung, wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und von der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe geförderten Projektbetreuer Dr. Andreas Backhaus vom Fraunhofer-IFF legt Blätter von Zuckerrübenpflanzen auf Probenschalen und positioniert sie auf einem Verschiebetisch. Darauf werden die Untersuchungsobjekte linear bewegt und von den beiden darüber installierten Hyperspektralkameras zeilenweise gescannt. Während die eine Kamera Wellenlängen abbildet, die auch das menschliche Auge wahrnimmt, tastet die zweite Kamera den Infrarotbereich ab. Anschließend wird der Hintergrund vom Blatt separiert. Einmal berechnet, erkennt das System die folgenden Blätter selbst.
„Wir füttern ein künstliches neuronales Netz mit den Datensätzen der befallenen und der gesunden Pflanzen sowie mit unseren Zielvorgaben. Die Software gleicht die Ergebnisse mit den vorgegebenen Annahmen ab, berechnet die Fehler und optimiert sich mit jeder Rechenoperation“, so Backhaus. „Am Ende dieses Lernprozesses soll sie in der Lage sein, Aussagen über den Befall oder Nichtbefall sowie über den Grad des Befalls der untersuchten Pflanzenteile in Echtzeit zu treffen.“
Die Kameras erkennen Unterschiede zwischen Blättern gesunder und kranker Pflanzen bereits ab dem 3. Tag, nachdem Versuchspflanzen den Erregern ausgesetzt wurden. Für das Auge sind die ersten Krankheitsbilder wesentlich später sichtbar. „Mit dem hyperspektralen System hoffen wir, deutlich vor der Ausbildung sichtbarer Symptome, bereits während der Inkubationszeit, die Resistenzleistung messen zu können. Der Vorteil wäre hier nicht nur ein höherer Durchsatz, sondern auch eine objektive Messmethode, die personenunabhängig ist“, betont Dr. Jessica Knüfer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Strube Research GmbH. Jeder Tag zählt, denn nur etwa 14 Wochen stehen den Züchtern vom Saatguterhalt bis zur Selektion vor Weihnachten zur Verfügung. Alle Pflanzen, die bis dahin nicht bearbeitet sind, können für die Selektion und den Gebrauch im Folgejahr nicht verwendet werden. Ein objektiveres Verfahren könnte zudem die Selektionssicherheit erhöhen.
Im Zukunftsmarkt Bioökonomie geben die Wissenschaftler mit der Entwicklung der hyperspektralen Messmethode nicht nur der Pflanzenzucht, sondern auch der Landwirtschaft Impulse. Trockenheit, Nässe sowie extreme Witterungssprünge im Zuge des Klimawandels fördern auf den Zuckerrübenfeldern die Ausbreitung einiger Blattkrankheiten, die unbehandelt zu erheblichen Ernteausfällen führen können. Ertragreiche, widerstandsfähige Sorten sind ein Vorteil im härter werdenden Wettbewerb, erst recht nach dem Wegfall von Rübenquoten und Mindestpreisen im Jahr 2017. Sie erhöhen die Effizienz auf dem Acker und schonen Ressourcen und Umwelt, wenn auf das Spritzen gegen Blattkrankheiten verzichtet werden kann. Rübenanbauer und Zuckerfabriken setzen außerdem auf Kundennähe, Rohstoffkreisläufe und auf die maximale Nutzung der Gesamtpflanze für Teller, Tank und Trog. So werden Rübenpellets aus der Zuckerproduktion als Tierfutter eingesetzt, und Gärreste aus der Biogasproduktion als Dünger dem Ackerboden zugeführt. Außerdem ist Zucker nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch ein Industrierohstoff, der zum Beispiel in der Pharmaindustrie, Kosmetik- und Kunststoffproduktion verarbeitet wird.
Der Prototyp der für die Forschung genutzten hyperspektralen Messmethode ist allerdings teuer. Um eine für mittelständische Unternehmen bezahlbare und effiziente Lösung bereitzustellen, gilt es im nächsten Schritt herauszufinden, in welchen Wellenlängenbereichen die relevanten Informationen liegen, welche Spektren die Kameras also tatsächlich abdecken müssen und welche Kameraqualität erforderlich ist. Dann könnte die Technologie auch auf andere Ackerkulturen wie Mais oder Kartoffeln angewendet werden, „dazu müsste das System mit den entsprechenden Daten nur neu lernen“, sagt Andreas Backhaus.
BU: Projektbetreuer Dr. Andreas Backhaus vom Fraunhofer-IFF legt Blätter von Zuckerrübenpflanzen auf Probenschalen mit schwach reflektierender Unterlage. Die Untersuchungsobjekte werden auf einem Translationstisch relativ zu den Kameras verschoben und zeilenweise gescannt. (Foto: Fraunhofer-IFF)