Wo Maschinen das Denken lernen

Sachsen-Anhalt bietet viel Potenzial zum Erforschen und Entwickeln künstlicher Intelligenzen

„Menschen und Maschinen können voneinander lernen und so gemeinsam viel mehr erreichen, als wir uns aktuell vorstellen können.“ So beschreibt Prof. Dr.-Ing. Sebastian Stober seine Vision der Zukunft. Als Informatiker wurde er zum Wintersemester 2018/2019 auf den Lehrstuhl Künstliche Intelligenz (KI) der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg berufen. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung und Entwicklung künstlicher neuronaler Netze, die mittelfristig unsere Gehirnsignale verstehen und übersetzen sollen. Ein wichtiger Bereich, der die Forschungskompetenz in Sachsen-Anhalt zur KI deutlich stärkt.

Pionierarbeit: Künstliche Intelligenz im Bereich der Neurowissenschaften

Während die KI im industriellen Bereich und der Mensch-Roboter-Kooperation bereits gute Fortschritte gemacht hat und erste Ergebnisse in der Praxis Anwendung finden, stecken die Entwicklungen im Bereich der Neurowissenschaften noch in den Kinderschuhen. Professor Stober und sein Team wollen hier Pionierarbeit leisten und die kognitiven Fähigkeiten von intelligenten Systemen verbessern. In Magdeburg wollen sie dazu unter anderem mit dem international anerkannten Leibniz-Institut für Neurobiologie kooperieren. Beispielsweise zur Entwicklung von Neuroprothesen, die über künstliche Neuronen gesteuert werden. Die Prothese wird dabei als eigenständiges, intelligentes System verstanden, die selbstlernend mit dem Menschen kommuniziert. Mensch und Prothese sollen gemeinsam und voneinander lernen, so dass im optimalen Fall eine nahezu natürliche Feinmotorik der künstlichen Gliedmaßen hergestellt wird.

Magdeburg lockt mit Zukunftsperspektiven

Der Hauptforschungsbereich von Professor Stober ist das Deep Learning, ein Teilgebiet des maschinellen Lernens, bei dem künstliche neuronale Netze mit Milliarden von Neuronen trainiert werden, um immer komplexere Aufgaben zu lösen. Stober setzt sie ein, um komplexe Systeme wie das Gehirn zu verstehen und dessen Funktionsweise in Form vereinfachter Modelle künstlich nachzubilden. Doch auch die Analyse selbstlernender Komponenten ist bedeutend, um zu verstehen, wie die Maschine tickt. „Es ist wichtig, dass wir wissen, was die Systeme gelernt haben“, so Stober. „Nur so können wir mögliche Verzerrungen oder Fehlfunktionen nachvollziehen und unschöne Überraschungen vermeiden.“

Nach seinem Studium in Magdeburg und Stationen in Melbourne (Praktikum während des Studiums an der University of Melbourne), Kanada (Brain and Mind Institute, University of Western Ontario) und Potsdam (Universität Potsdam, Forschungsschwerpunkt Kognitionswissenschaften) lockten ihn die neuen Perspektiven zurück nach Sachsen-Anhalt. Sein Lehrstuhl, der als Brücke zwischen der Informatik und den Neurowissenschaften dienen soll, ist genau der Aufgabenbereich, den er sich wünschte. „Ich stehe hier nicht auf einsamen Posten“, freut sich Professor Stober. Im Gegenteil. Bereits seit 2003 gehört der Masterstudiengang „Data and Knowledge Engineering“ zum Studienangebot der Magdeburger Universität und auch im Informatik-Bachelor gibt es seit einigen Jahren ein spezielles Profil „Lernende Systeme / Biocomputing“. Allein am Institut für Intelligente Kooperierende Systeme sind sechs Arbeitsgruppen angesiedelt, deren Forschungsschwerpunkte u.a. Schwarmintelligenz und Robotik sind. Im weiteren Kontext der Fakultät für Informatik gibt es Arbeitsgruppen zu Data and Knowledge Engineering oder Data-Mining. Auch in der Mathematik wird aktiv am maschinellen Lernen geforscht. Die Vernetzung untereinander und die Verbindung zu Ingenieur- und Geisteswissenschaften schaffen am Forschungsstandort Magdeburg sehr gute Bedingungen für eine interdisziplinäre Forschung rund um das Thema KI.

Für Professor Stober ist der Begriff „künstliche Intelligenz“ missverständlich. Aus seiner Sicht können Maschinen eine eigene Intelligenz entwickeln, die nicht vergleichbar ist mit der des Menschen.  Durch gegenseitiges Lernen und gemeinsames Wachstum sieht er weitaus größere Chancen, als wenn KI nur auf eine Kopie der menschlichen Intelligenz reduziert werden würde. Er ist motiviert, an der Entstehung höherer Intelligenzen mitzuwirken, sieht allerdings auch die Bedrohungen, die dank Science-Fiction Filmen in der Gesellschaft sehr präsent sind. „Um das Potenzial für das Gemeinwohl einzusetzen ist es zwingend erforderlich, die Geisteswissenschaften mit einzubinden und geeignete Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung zu schaffen, in der der einzelne Mensch nicht an Bedeutung verliert“, so Stober. „Denn der technische Fortschritt wartet nicht.“

Infrastruktur und Bildungsprogramme unterstützen den technischen Fortschritt in Sachsen-Anhalt

Der Fortschritt gerade in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) wird auch im Land Sachsen-Anhalt vorangetrieben. Die IKT ist ein bedeutender Wirtschafts- und Standortfaktor mit über 2,2 Milliarden Euro Umsatz jährlich. Seit 2017 gibt es ein zusätzliches Förderprogramm zur Modernisierung der IKT-Komponenten in den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen des Landes. Auch Professor Stober engagiert sich im eLeMeNTe e.V., dem Landesverein Sachsen-Anhalt zur Förderung mathematisch, naturwissenschaftlich und technisch interessierter und talentierter Schülerinnen und Schüler. So werden Möglichkeiten geschaffen, bereits frühzeitig junge Menschen für diese Themen zu begeistern und zu schulen. Die IT-spezifischen Hochschulen (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie die Hochschulen Anhalt, Harz und Merseburg) des Landes bilden zudem die Fachkräfte von morgen aus.

KI Anwendungen verarbeiten riesige Datenmengen in höchster Geschwindigkeit. Je umfassender die Datenbasis, umso vielseitiger werden die Anwendungsmöglichkeiten. So werden beispielsweise in der Medizin Erfahrungswerte zu Krankheitsbildern, Behandlungen oder Operationen gebündelt, über KI-Anwendungen auf zukünftige Fälle projiziert und über selbstlernende Systeme mit neuen Erkenntnissen angereichert. In Sachsen-Anhalt befassen sich Forscher und Entwickler branchenübergreifend mit der KI. Das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg erforscht beispielsweise sichere Mensch-Roboter-Kollaborationen mit Hilfe taktiler Sensorik.

Das hochsichere Rechenzentrum der T-Systems im kleinen Ort Biere südlich von Magdeburg sorgt für die notwendige Infrastruktur Hier hostet beispielsweise das Hamburger Unternehmen Fuse AI, Spezialist für KI im Bereich Gesundheit und Medizin, seine hochsensiblen Daten. Laut T-Systems ist der Standort ohne Flughäfen, Flugschneisen oder nahegelegenen Autobahnen in Kombination mit dem Bundesdatenschutzgesetz aus der Sicherheitsperspektive heraus weltweit unschlagbar.

„Sachsen-Anhalt bietet viel Potenzial, um den Maschinen das Denken zu lehren und neue Intelligenzen zu erschaffen“, so Professor Stober, der hier seine Visionen umsetzen möchte.

Autorin: Miriam Fuchs

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