Die Energiewende braucht ein stabiles Versorgungsnetz.
Komarnicki lässt es Abend werden, was dem Auge einen besseren Überblick verschafft über das „Energieversorgungssystem von morgen“. Das Strom führende Adergeflecht leuchtet hell auf und zeigt seine Wege bis zu den Steckdosen hin. Einem Herzen gleich versorgt das Umspannwerk die Adern mit Strom aus der Energie von einem Kraftwerk, von einem Wind- und einem Solarpark, auch von einer Biogasanlage. „Alle Steckdosen werden gut versorgt, solange der Strom in gleichmäßiger Frequenz durch die Adern läuft.“ Der Wissenschaftler mag den Vergleich mit dem verzweigten System der menschlichen Blutgefäße. Ob Blut oder Strom – es gäbe immer Zeiten, wo mal mehr, mal weniger davon durch das Netz fließt. „Gibt es im menschlichen Adernetz Probleme, hat die Medizin inzwischen moderne Möglichkeiten nachzuschauen, wie es im Netzbetrieb aussieht. Das Stromnetz betreffend gibt es diese Möglichkeiten bislang nicht überall“, sagt Komarnicki. Ein gutes Monitoring, sprich die genaue Überwachung des Stromnetzes, sei aber Voraussetzung für ein gesundheitlich stabiles Netz, mit dem die Energiewende gelingen kann.
Przemyslaw Komarnicki, der aus Polen stammende Spezialist für Energietechnik, hat an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg promoviert und ist jetzt im Magdeburger Fraunhofer IFF im Bereich der Prozess- und Anlagentechnik zu Hause. Er leitet das Forschungsprojekt SECVER, das hier seit Dezember 2013 angesiedelt ist. SECVER steht für „Sicherheit und Zuverlässigkeit von Verteilungsnetzen auf dem Weg zu einem Energieversorgungssystem von morgen“.
„Früher war es einfacher“, sagt Przemyslaw Komarnicki und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Modellandschaft. Vereinfacht gesagt: Auf der untersten Ebene befanden sich die Steckdosen und auf der obersten Ebene (innerhalb des Übertragungsnetzes ab 220 kV) die Kraftwerke. Der Strom floss von oben nach unten. Heute ist das breite Feld dazwischen (ab 110 kV abwärts) mit diversen Öko-Stromquellen bestellt. Komarnicki zeigt auf die Photovoltaik-Anlage, die Biogasanlage, auf den Windpark. Doch sind diese grünen Energiequellen nur bedingt steuerbar. Windräder drehen sich, und die Sonne scheint auch dann, wenn gerade nicht so viel Strom benötigt wird. Die schwankenden Einspeisungen können in logischer Folge zu Schwankungen im Verteilungsnetz führen.
Wieviel Schwankung hält ein Stromnetz aus? „Es kommt darauf an, wie es dem Netz gerade geht“, sagt Przemyslaw Komarnicki und dass die richtige Diagnose eine grundlegende Voraussetzung sei, um an richtiger Stelle erfolgreiche Maßnahmen zu seiner Stabilisierung einzuleiten.
An der Modellanlage im IFF können verschiedene Szenarien durchgespielt werden: Wind und Sonne sind zwar schwer zu prognostizieren, andererseits können Wind- und Photovoltaik-Anlagen auch ihren Beitrag für ein stabiles System leisten. „Vorausgesetzt natürlich, man kann das Netz genau beobachten und genaue Aussage darüber treffen, wann und in welcher Dosis reguliert werden muss“, sagt Komarnicki.
Ein Messprinzip, mit dem derartige Beobachtungen vorgenommen werden können, kommt aus den USA. Das Magdeburger Fraunhofer IFF, Dr. Przemyslaw Komarnicki in Persona, war an der Entwicklung von entsprechenden Messgeräten beteiligt. Diese Phasor Measurement Unit (PMU)-Geräte werden im Verteilungsnetz an bestimmten Knoten integriert und senden ihre Messungen, die durch GPS zeitlich hochgenau aufgelöst werden, in einem Abstand von 40 Millisekunden. – Wohin?
Dr. André Naumann kann diese Frage theoretisch schon beantworten. Der Wissenschaftler hat an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg zum Thema Datenübermittlung seine Doktorarbeit geschrieben und ist seit 2012 am IFF. Innerhalb des Forschungsprojektes SECVER hat er die Aufgabe, die Software für ein Datenverwaltungssystem zu entwickeln, das eine solch riesige Datenmasse empfangen, filtern und sammeln kann. Partner in diesem Zusammenhang sind die Siemens AG und die Magdeburger Uni.
Mit dem Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES in Kassel, mit dem Windparkbetreiber RegenerativKraftwerke Harz und dem Netzbetreiber Avacon AG geht das Forschungsprojekt SECVER in den wörtlich zu nehmenden „Feldversuch“. Der findet im Harz statt. Dort kann das Forscherbündnis auf den Ergebnissen des Vorgängerprojektes „Regenerative Modellregion Harz“ aufbauen. Dezentrale Erzeuger von regenerativen Energien und regionale steuerbare Verbraucher hatten sich zu einem virtuellen Kraftwerk zusammengefunden.
Im Harz also will SECVER den Prototyp eines zeitsynchronen hochgenauen Monitoring-Systems entwickeln. „Bis zu 30 Messgeräte sollen nach und nach in das Verteilungsnetz der Region installiert werden“, sagt Projektleiter Komarnicki.
In zwei Jahren, am Ende der Laufzeit des Forschungsprojektes, wolle man so weit sein, dass der Netzbetreiber dank moderner Messtechnik in Echtzeit darüber aussagefähig ist, ob sich sein Stromverteilungsnetz in einem stabilen Zustand befindet, erklärt Komarnicki. „Sollte das nicht der Fall sein, signalisiert das Monitoring-System, an welcher Stelle ein Problem aufgetreten ist.“ Wenn es dann noch gelänge, dass Wind- und Photovoltaik-Anlagen ihre Leistung automatisch regulieren, könnten sie selbst dafür sorgen, dass die Netzspannung im sprichwörtlich „grünen Bereich“ bleibt, ist eine Vision der Forscher.
(Autorin: Kathrain Graubaum im Auftrag der IMG Sachsen-Anhalt mbH)
Kontakt:
Fraunhofer IFF Magdeburg
Dr. Przemyslaw Komarnicki
Stell. Geschäftsfeldleiter Prozess- und Anlagentechnik
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