Produkte neu denken

Burg Giebichenstein Halle engagiert sich im Innovationsnetzwerk „smart³“

Welche neuen Materialien sind für Industrie und Alltag von morgen sinnvoll? Was ist möglich mit diesen intelligenten Werkstoffen? In der Initiative „smart³“ arbeiten mehr als einhundert Unternehmen und Forschungseinrichtungen – Ingenieure, Designer, Werkstoff-, Geistes-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler zusammen. Die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle gehört dazu, denkt an die potenziellen Anwender und betrachtet die gestalterischen Chancen und Herausforderungen solcher Materialien.

Ein Draht „erinnert“ sich nach dem Verbiegen an seine ursprüngliche Form. Folien und Festkörper, erzeugen bei ihrer Verformung elektrischen Strom oder werden zu komplexen dreidimensionalen Gebilden. Flüssigkeiten verfestigen sich unter dem Einfluss von Magnetfeldern. All das sind Beispiele für „smart materials“. Diese intelligenten Werkstoffe faszinieren Enrico Wilde. Der Industriedesigner gehört zum Projektteam, das sich diesen „smart materials“ intensiv widmet. „Uns steht eine Welt der Werkstoffe offen, die die Integration von Funktionen in Anwendungen paradigmatisch verändert. Das bietet uns Designern Freiräume, Produkte auf ganz neue Weise zu denken.

In Verbindung mit dem richtigen Augenmaß für den Nutzer führen sie zu Produktinnovationen, die in Gestalt und Gebrauch heute noch Unerwartetes versprechen“, sagt er. Für den Mut, Neues zu wagen, über den Tellerrand zu schauen und Design für alle Arbeits- und Lebensbereiche zu kreieren, ist die Burg international bekannt. Diese Kompetenz ist es, die die Burg Giebichenstein in das Innovationsnetzwerk „smart³“ führte. Im Jahr 2013 schlossen sich mehr als 30 Initialpartner zu diesem Netzwerk zusammen. Sie vereint das Wissen, dass etwa 70 Prozent aller technischen Innovationen in Deutschland auf neuen Werkstoffen beruhen. „Dieses Potenzial muss genutzt werden“, meint auch Enrico Wilde. Unterstützung kommt von „Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation“, einem Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das wissenschaftliche, technologische und unternehmerische Kompetenzen, vor allem in den östlichen Bundesländern, zusammenführen möchte. Das Forschungs- und Entwicklungskonsortium „smart³“, das von der Burg Giebichenstein mit begründet wurde, erhielt einen Förder-Zuschlag und kann damit bis 2019 intensiv forschen und entwickeln. 

„Es ist nicht immer einfach, eine gemeinsame Sprache zu finden und es erfordert von allen Partnern eine Kraftanstrengung den interdisziplinären Austausch so zu kultivieren, dass schlussendlich alle vom Mehrwert profitieren“, sagt Wilde. Die Technologen, Forscher, Designer und Unternehmer im Konsortium und den darin integrierten Instituten, Institutionen und Unternehmen, beschäftigen sich zwar alle mit den intelligenten Werkstoffen, nähern sich jedoch von verschiedenen Standpunkten. Und doch, das Ziel ist definiert: „Wir möchten den Paradigmenwechsel im Produkt vorantreiben“, so der Burg-Projektmitarbeiter. „Mit wachsender Funktionalität und Bauteilkomplexität steigen Platzbedarf, Energieverbrauch und Störanfälligkeit von Produkten. Mit den ,smart materials‘ können fast beliebig neue  Funktionen direkt in die Bauteilstruktur, also in die Werkstoffebene, eingebracht werden.“ 

Der Industriedesigner ist sich sicher, dass so viele Produkte besser werden könnten. Dank Prozess-Optimierung, Mikrostrukturen und neuen Oberflächenbehandlungen können scheinbar bekannte Materialien zu aufregenden neuen werden. „Grundlage sind durchgängige Wertschöpfungsketten. Fehlt nur ein Glied, kommt kein Angebot am Markt an“, so Enrico Wilde. „Damit die Industrie insbesondere in Ostdeutschland alte Pfadabhängigkeiten aufbrechen und sich entsprechend aufstellen kann, ist die Arbeit des Forschungsverbundes unerlässlich.“ Einfach wäre das nicht, meint er. Häufig würden Verständnis und Erfahrungen zum Einsatz der intelligenten Werkstoffe fehlen. Darum ist das Ziel im Konsortium klar definiert: Die Materialien sollen in die Anwendung gebracht werden, um mehr Akzeptanz zu erzeugen. An der Burg arbeitet man deshalb beispielsweise daran, die Kommunikation über die intelligenten Materialien zu verbessern.

„Wenn keiner erfährt, was möglich ist, setzt sich keine Neuerung durch“, meint der Projektmitarbeiter. Partner, die bisher für sich allein gearbeitet haben, werden an die interdisziplinäre Zusammenarbeit herangeführt. Für die Werkstoffforscher offenbaren sich hinsichtlich der Materialien unzählige Möglichkeiten. Die Materialwissenschaftler testen aus, was technologisch möglich ist. Der Part der Designer fehlte aber häufig in der bisherigen Entwicklungsarbeit. „Da kommen wir ins Spiel“, sagt der Diplom-Designer. „Wir sind zwar keine Technik-Spezialisten, aber in vielen Bereichen unterwegs und können diese miteinander verknüpfen.“ Das Burg-Team stellt Fragen aus immer neuen Perspektiven und schafft damit Innovationen. Enrico Wilde sagt: „Wenn man immer die gleichen Fragen stellt, kommt man nicht weiter. Wir wollen Materialien sinnstiftend so in Anwendungen bringen, dass diese dem Nutzer nachhaltig einen Mehrwert bieten. Daher fragen wir uns vor allem: Was ist menschlich?“

Um sichtbarer zu machen, was möglich und menschlich ist, erstellt die Burg zudem eine Kommunikationsplattform. Dort sollen die Arbeit des Konsortiums dargestellt und Projekte veröffentlicht werden, mit denen Werkzeuge in den Arbeitsprozess überführt werden könnten. Die Vernetzung beginnt für die Burg direkt in der eigenen Hochschule. Das Projektteam organisiert Workshops, die sich mit den Erfahrungen zu „smart materials“ befassen und Chancen sowie Herausforderungen diskutieren. Greifbar werden Ergebnisse in Studienprojekten der Burg Giebichenstein, die im Rahmen der Verknüpfung von Forschung und Lehre an der Hochschule stattfanden.

Beim Studienprojekt „ smart³home“ ging es beispielsweise darum, die intelligenten Werkstoffe im Alltag zu Hause einzusetzen. Die Studenten richteten den Fokus ihrer Gestaltungsarbeit auf Anwendungen, die „smart materials“ in ihrer privaten Umgebung nutz- und erfahrbar machen – und damit eine gewisse Attraktivität erzeugen. Einige Studentenarbeiten an der Burg haben bereits den Weg in konkrete Forschungsprojekte innerhalb des „smart³“-Konsortiums gefunden – wie die Entwicklung eines Kissens, das den Kopf von Säuglingen langsam dreht, um unerwünschten Deformationen vorzubeugen. In einem aktuellen Projekt beschäftigt sich das Forscher- und Entwicklerteam der Burg und verschiedene Firmen mit einer smarten Anwendung für Fahrräder. „Das ist aber nur ein Szenario, das wir durchspielen“, so der Designer. Das Team sucht auch nach einer Bandbreite von Anwendungen, wo das System eingesetzt werden könnte.  Möglichkeiten gibt es viele. Die Ideen führen vom Schulranzen, der die Aufmerksamkeit im Straßenverkehr schärft, bis zum Rollator, der die Barrierefreiheit „im Blick behält“.

„Das Sichtbarmachen der Möglichkeiten dieser Werkstoffe ist bei allem, was wir tun, das Wichtigste“, sagt Enrico Wilde. „Wenn wir es darüber hinaus schaffen, den Bestand der interdisziplinären Zusammenarbeit auf dem Gebiet der ,smart materials‘ auch über den Förderzeitraum als gewinnbringenden Mehrwert für alle Beteiligte zu sichern, haben wir unser Ziel erreicht.“

wilde@burg-halle.de
www.burg-halle.de
www.smarthoch3.de

Autorin: Manuela Bock

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