NÆXUS ermöglicht virtuelle Begehung von Architektur

"Jeder Architekt kann sich seinen NÆXUS in den Kofferraum packen, dann bei seinem Bauherrn aufstellen und mit ihm zusammen virtuell durch sein künftiges Wohnhaus spazieren." Nicht mehr und nicht weniger will Michael Walter vom Dessauer Institut für Baugestaltung der Hochschule Anhalt  mit seinem futuristisch anmutenden Projektionssystem erreichen: Architektur virtuell begehbar machen, bevor auch nur ein Stein auf den anderen gesetzt wurde - und das bezahlbar und technisch leicht beherrschbar.

Das Prinzip des "NÆXUS-Virtual Space Scope", wie der Prototyp richtig heißt, ist einfach. Auf eine zylindrische Leinwand von 240 Grad projizieren vier Beamer Bilder, die nahtlos ineinander übergehen. Durch eine Entzerrungssoftware werden die Bilder trotz der halbrunden Leinwand exakt dargestellt. Die Projektion ist breit genug, um bis in den Bereich hineinzuragen, der außerhalb des menschlichen Blickfeldes liegt. Der Betrachter steht also inmitten des Bildes, erläutert der 34-Jährige. "Das lässt sich gut an einem Säulengang erklären, durch den man sich virtuell bewegt: Die Säulen stehen nicht nur vor und neben mir, sie wandern auch rechts und links aus meinem Blickfeld heraus." Dadurch entstehe der Eindruck, sich tatsächlich im Säulengang zu befinden – ein 3D-Eindruck ohne Brille oder andere Hilfsmittel.  

Walter, der Diplom-Ingenieur für Architektur, hat damit keinesfalls eine technische Revolution angezettelt. Dreidimensionale Lösungen gibt es viele, man denke an Multiplexkinos oder 3D-Helme für Videospiele. Dem NÆXUS ähnlich ist beispielsweise der sogenannte CAVE: ein Würfel, in dem an drei Wänden und dem Boden mit Hilfe von Projektoren und Kameras die Bewegung in einem virtuellen Raum erlaubt wird. Das weiß Michael Walter. "Für mich ging es eher darum, ein Gerät zu entwickeln, das mobil, für alle möglichen Formate verwendbar und vor allem bezahlbar ist, also  keine 200.000 Euro oder mehr kostet." Und dabei natürlich eine funktionelle Ästhetik aufweist, die seinem Beruf Rechnung trägt.

Den ersten Prototypen des NÆXUS, damals noch mit einer Sperrholzleinwand, schlichten Wänden, ausufernder Technik und ohne Dach realisierte der gebürtige Köthener im Rahmen seiner Masterarbeit. Das Budget war mit 13.000 Euro extrem eng. Deshalb holte sich Walter Unterstützung: Die Spielsoftware und ein Programm zur Entzerrung der dargestellten Inhalte konnte er im Rahmen des wissenschaftlichen Arbeitens kostenlos nutzen. Die Leinwand schwatze er einem Dessauer Kino ab, in dem er gelegentlich jobbte.
 
Sämtliche technischen Lösungen hat er selbst: Wie schiebe ich vier Bilder so ineinander, dass keine Ränder entstehen? Wie kann ich verhindern, dass jeder Projektor einen eigenen Rechner braucht? Wie bringe ich das Gerät dazu, nicht nur ein Spiel, sondern auch Filme, Flash-Animationen oder Bilder zu zeigen? "Das war für mich wichtig. Die meisten Animationssysteme wurden für eine spezielle Anwendung gebaut", erklärt Walter. "Ich wollte unabhängig sein."
Und beweglich: Der Prototyp kann innerhalb von nur sechs Stunden aufgebaut werden, sämtliche Holzteile, gefräst von einem Dessauer Schreiner, passen in einen Sprinter. "Als nächstes wollen wir eine Hülle für den NÆXUS entwickeln und einen Raumklang erzeugen, der die Bewerbung des Betrachters im virtuellen Raum unterstützt. Und klar ist auch: Dies hier ist eine M-Version.
Eine L-Variante soll folgen, und natürlich der aufblasbare NÆXUS für den Kofferraum."

Walter, der derzeit seine Doktorarbeit vorbereitet, wünscht sich, dass Architekten mehr als bisher die Möglichkeiten der virtuellen Realität für ihre Präsentationen nutzen. "Wir können unsere Projekte natürlich schon jetzt dreidimensional entwerfen und am PC animieren. Die Berechnungen dafür dauern aber auch mal mehrere Tage." Das Ergebnis ist ein animiertes 3D-Modell quasi mit festen Kamerafahrten. Im NÆXUS kann der Betrachter jeden Winkel selbst erkunden.

Der NÆXUS braucht hingegen nur das digitale Modell eines Hauses, das Michael Walter dann in die virtuelle Welt eines Videospiels einbaut. Je detaillierter geplant wird, umso realistischere Eindrücke sind möglich. Ob Fliesen, Tapeten oder die Textur des Sofastoffes – alles könnte virtuell erzeugt und genau betrachtet werden. Auf diese Weise hat Walter die Abtei eines zerstörten Klosters wiederauferstehen lassen. Mithilfe einer handelsüblichen Steuerung, die jeder Spielekonsole beiliegt, läuft er durch die Bankreihen der Kirche, folgt einem Weg entlang der Nebengebäude und taucht in einen See. Befremdlich ist dabei nur der Rasen, der Bambus ähnelt. "Stimmt", sagt Walter schmunzelnd. "Weil das Computerspiel, von dem ich Bauteile wie Wege, Bäume oder den See nutze, ursprünglich in Asien spielt."

Einsatzmöglichkeiten sieht der Wissenschaftler nicht nur für Architekten, sondern auch für Museen, die ihre Besucher in Siedlungen und Städte schicken könnten, wie sie vor hunderten oder tausenden Jahren ausgesehen haben. "Und ich würde gern Visionen der Stadt von morgen entwickeln und dann mit dem NÆXUS hindurch gleiten."

Durch die Präsentation des NÆXUS auf der diesjährigen Cebit in Hannover gibt es nun Interessenten, die mit dem Gerät arbeiten wollen. Noch fehlt ihm aber die Marktreife. "Wir müssen die Leinwand nach unten verlängern, damit die Höhe von Räumen besser erlebbar wird – und die Technik muss wirklich einwandfrei im Dauerbetrieb funktionieren", erklärt Walter. Zudem sucht der wissenschaftliche Mitarbeiter momentan Forschungs- und Kooperationspartner, mit deren Hilfe der nächste Forschungsstand realisiert werden kann. Manchmal, sagt Walter, wünscht er sich, nicht immer aufs Budget schauen zu müssen. "Dann könnte ich viel effektiver forschen." Aufgeben will Walter aber um keinen Preis: "Ich kann einfach nicht die Finger davon lassen – der NÆXUS  fasziniert mich."


Autorin/Fotografin: Kathrin Wöhler

Kontakt:
Hochschule Anhalt
Dessauer Institut für Baugestaltung
Fachbereich Architektur, Facility Management und Geoinformation
M.A. Dipl.Ing. (FH) Michael Walter
Gropiusallee 38
06846 Dessau-Rosslau

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