Forschern der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg gelingt Durchbruch in der Batterieforschung
Revolutionärer Kühlstoff macht Batterien schneller ladefähig und gleichzeitig langlebiger
Ein großer Schritt in der Weiterentwicklung der E-Mobilität wurde jetzt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gegangen: Felix Marske und der Arbeitskreis Prof. Hahn vom Institut für Chemie haben ein neues Material entwickelt, das sich über den Phasenwechsel von flüssigem zu festem Stoff gleichzeitig als Kühlmittel und als Wärmespeicher eignet. Erstere Funktion ist vor allem für die Automobilindustrie interessant, letztere bei in der Bauindustrie.
Geradezu revolutionär ist der Ansatz des von den halleschen Forschern entwickelten Produktes. Für das Gemisch namens „ss-PCM“ erhielten sie den Clusterpreis Automotive des 16. IQ Innovationspreises Mitteldeutschland. Felix Marske, Doktorand am Institut und „Urheber“ der Forschungsarbeit im Rahmen seiner Promotion, erklärt das große Interesse der Autoindustrie: „Ein Knackpunkt beim Ausbau der E-Mobilität sind die Ladesäulen. Die nächste Generation wird eine stark verkürzte Ladezeit ermöglichen, da zukünftig das große Problem der Akkus, die Kühlung, effizienter gelöst sein wird.“ Bislang nämlich kranken Lithiumionen-Batterien daran, dass sie beim schnellen Laden überhitzen, was wiederum sowohl ihre Langlebigkeit als auch die Leistungsfähigkeit vermindert.
Flüssigkeit eingekapselt
Im Mittelpunkt der Forschung standen Latentwärmespeicher, die auf der Grundlage von Phasenwechselmaterialien (eng. phase change material = PCM) arbeiten. Sie speichern Wärme, indem sie ihren Aggregatzustand ändern. Ein praktisches Beispiel dafür sind Handwärmekissen, die beim Wechsel vom festen zum flüssigen Zustand Wärme aufnehmen und speichern und in der umgekehrten Phase wieder abgeben können. Genau bei diesem Übergang – von fest zu flüssig – aber gab es bislang ein Problem: Das PCM verlor durch das Schmelzen seine Form und drohte auszulaufen. Und genau hier setzten die Forscher an. „Unsere Neuerung besteht darin, dass das Material in einem porösen Gitter eingesperrt wird, aus dem keine Flüssigkeit ausdringen kann“, so Felix Marske. Das nanoskopisch kleine Silikatgerüst kapselt die Moleküle des formstabilisierenden Latentwärmespeichers so ein, dass die Wärmeleitfähigkeit erhöht und damit ein gleichmäßiges Schmelzen des Wärmespeichermaterials ermöglicht wird. Durch die starken Kapillarkräfte des Gitters wird das PCM am Austreten gehindert. Gleichzeitig erhöht sich der Kühlungseffekt durch die Reduzierung der Hitzeentwicklung, so dass Batterien damit schneller ladefähig und gleichzeitig langlebiger sein werden.
Kühlender Beton
Vier verschiedene Varianten des Einsatzes in der Automobilindustrie seien denkbar, eine davon wäre laut Felix Marske die Umhüllung des kompletten Batterieblocks von E-Fahrzeugen mit „ss-PCM“. Unternehmen der Autoindustrie hätten bereits mit der Planung einer Weiterentwicklung begonnen, sagt Felix Marske, darüber hinaus gäbe es so viele Anfragen aus der Industrie, dass man sie derzeit gar nicht alle bewältigen könne. Dabei ist „ss-PCM“ bei weitem nicht nur für die Automobilindustrie interessant. Sein Einsatz wäre, so Felix Marske, auch denkbar bei Telefon-Akkus, in Nachtspeicheröfen, bei der Solarthermie und im Wohnungsbau. Dachschindeln könnten mit dem Material gefüllt werden, Betonwände ebenso. Immerhin kann „ss-PCM“ 14 mal mehr Wärme speichern als herkömmliche Baustoffe, der weltweite Energieverbrauch für das Heizen von Innenräumen könnte enorm sinken. So würde bei einem Strompreis von etwa 28 Cent pro kWh pro Jahr bei Einsatz einer ss-PCM Wand a 3,6m² mit einer Dicke von 2 Zentimetern etwa 154 Euro gespart werden. Bei einem Preis dieser Wand von 170 Euro läge die Amortisation dann bei 13 Monaten! Umgekehrt würde das Material auch dazu beitragen, dass sich Räume im Sommer nicht stark erhitzen.
Zwar werden auch heute schon Latentwärmespeicher in Form von mikroskopisch kleinen Kapseln in Gips- oder Betonwänden verbaut. Um die Stabilität des Baustoffes zu gewährleisten, können aber lediglich 15 Prozent des PCM darin eingearbeitet werden. „Mit unserem Material können bis zu 90 Prozent befüllt werden“, so Felix Marske, was die Energieeffizienz deutlich steigern würde. Für diese Entwicklung wurden die Wissenschaftler Ende vergangenen Jahres im Wettbewerb um den Hugo-Junkers-Preis, der höchstdotierte Preis des Landes Sachsen-Anhalt, mit Platz zwei in der Kategorie „Innovativste Vorhaben der Grundlagenforschung“ ausgezeichnet.
100 Prozent Öko
Das Interesse an „ss-PCM“ aus der Industrie ist momentan so riesig, dass Felix Marske kaum nachkommt. Das Material ist zum Patent angemeldet. Um mehr Gelder und humane Ressourcen zu gewinnen, sagt der Chemiker, würden sie sich derzeit um Aufnahme in das EIXIST-Forschungstransfer-Programm bemühen, um eine Ausgliederung realisieren zu können. „Derzeit bauen wir eine Lieferkette auf“, sagt er, „und führen Gespräche mit einem Unternehmen, das das Material produziert. Für einen geringen Aufpreis sind wir in der Lage, das Produkt zu Einhundert Prozent ökologisch herzustellen und unsere Produktpalette an verschiedenen ss-PCMs zu erweitern “
Die Entwicklung von „ss-PCM“ ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg Sachsen-Anhalts zur Vorreiterrolle rund um den Produktionsprozess der Fahrzeuge der Zukunft. Schon immer wurde hier an der Zukunft des Automobils gearbeitet. Und nicht nur das – am Chemie- und Kunststoffstandort mit über 100jähriger Tradition entstehen auch die dafür benötigten Materialien.
Autorin: Anja Falgowski/IMG Sachsen-Anhalt
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Traditionell bietet Sachsen-Anhalt die komplette Wertschöpfungskette von der Basischemie bis zur weiterverarbeitenden Industrie. In den Bereichen Polymersynthese, Agrochemie sowie Fein- und Spezialchemie hat das Land sich zu einem führenden Kompetenzzentrum entwickelt.
Ein ausgeprägter Rohstoffverbund, getragen von den insgesamt 5 Chemieparks des Landes, schafft profitable Synergiemöglichkeiten.