Intelligenz der Natur bringt Materialforschung voran

Das Industrielabor der Hochschule Magdeburg-Stendal forscht an Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen

Bei der Erforschung und Entwicklung von leichten und intelligenten Materialien, gewinnen die Naturfasern mit ihrer guten Ökobilanz an immer größerer Bedeutung. Das Kompetenzzentrum Ingenieurwissenschaften/Nachwachsende Rohstoffe der Hochschule Magdeburg-Stendal nimmt die Faser-Polymer-Komposite in den Fokus – Materialien mit ganz neuen Eigenschaften.

„Die Marathonwelt fiebert dem Läufer entgegen, der die Strecke als erster unter zwei Stunden zurücklegt“, weiß Peter Gerth – nicht, weil er selbst ein Spitzenläufer ist, sondern Materialforscher. Leichtigkeit und Intelligenz der Schuhsohle, so Gerth, würden entscheidend zum Rekordbruch beitragen. Der Wissenschaftler weiß sehr genau, wovon er redet. Er ist Sprecher des Kompetenzzentrums Ingenieurwissenschaften/Nachwachsende Rohstoffe, ein Industrielabor der Hochschule Magdeburg-Stendal. Biomaterialien stehen hier ganz besonders im Fokus der Forschung. Im Zuge der steten Weiterentwicklung moderner Technologien lasse sich noch sehr viel Potenzial aus der Natur schöpfen, sagt Gerth und kommt wieder auf die „intelligente Schuhsohle“ zu sprechen. „DiaBSmart“ ist ein EU-Forschungsprojekt, in dem Partner aus Medizin, Industrie und Forschung in Indien, Spanien, Großbritannien und Deutschland ein neuartiges Diabetiker-Schuhwerk entwickeln. Die intelligente Sohle soll das geschädigte Temperatur- und Schmerzempfinden des Diabetikers ausgleichen. Innovative Materialien ermöglichen eine deutliche Druckentlastung an den kritischen Stellen des Fußes. Die Magdeburger Materialforscher brachten bei deren Entwicklung ihre Kompetenzen ein.

Groß im Rennen sind dagegen die Ergebnisse aus der Materialforschung rund um den Schuh. Auch Sportschuhe erfordern besondere mechanische Eigenschaften. Eine Sohlenplatte aus speziellem Naturfaserverbundwerkstoff könne bis zu zwei Prozent der Energie an den Läufer zurückgeben, verkündet Wissenschaftler Gerth eine neue Erkenntnis, für die sich ganz besonders die Schuhhersteller interessieren. „Nach der ersten Frage, welcher Marathonläufer den Weltrekord bricht, kommt gleich als nächste Frage, was für Schuhe er dabei trug“, meint Gerth und bestätigt Kontakte des Kompetenzzentrums zu Unternehmen dieser Branche.

Ökologisches Umdenken eröffnet neue Geschäftsfelder

Der Wissens- und Technologietransfer vor allem in die regionale Wirtschaft ist die ureigene Aufgabe des Kompetenzzentrums Ingenieurwissenschaften/Nachwachsende Rohstoffe. Mit dem praxisbezogenen Wissen der Professorinnen und Professoren und mit den hochmodern ausgestatteten Laboren habe die Hochschule Magdeburg-Stendal ein anwendungsbereites Know-how zu bieten, sagt der Transferbeauftragte Peter Rauschenbach. Seine Aufgabe ist es, die Bedürfnisse der Unternehmen mit den Forschungsangeboten der Hochschule zusammenzubringen. Die reichen von der Beratung über Laborleistungen bis hin zu gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprojekten. „Gerade haben wir mit einem Filterbauer aus Sachsen-Anhalt einen Kooperationsvertrag vereinbart. Darin geht es um das Ausfiltern von Mikrofasern aus dem Abwasser“, sagt Peter Rauschenbach und dass sich die Firma damit ein neues Geschäftsfeld eröffnet. Peter Gerth ergänzt: „Gerade was das Umweltverhalten betrifft, wächst der Forschungsbedarf. Die Wirtschaft braucht effiziente und ökologisch vertretbare Herstellungsprozesse für umweltfreundliche Produkte. Den Werkstoffen kommt da eine große Bedeutung zu. Mit Akteuren aus der Industrie, aus Fraunhofer- und Leibnizinstituten, aus Unis und Hochschulen entwickeln wir Materialien aus Naturfasern und faserverstärkten Polymeren, die aufgrund ihrer mechanischen Eigenschaften für viele Anwendungen im allgemeinen Leichtbau geeignet sind.“ Angesichts der alarmierenden Nachrichten über die Funde von Mikroplastik selbst im Schnee auf den Alpen und im Eis der Arktis betont er die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe. „Biopolymere haben eine verbesserte Treibhausbilanz und verringern zudem den Bedarf an Erdöl.“

Hochleistungsmaterial aus nachwachsenden Rohstoffen

Ein neues Kooperationsprojekt des Kompetenzzentrums Ingenieurwissenschaften/Nachwachsende Rohstoffe beschäftigt sich mit der Optimierung der Materialeigenschaften von Biopolymeren durch Faserverstärkung. In diesem Falle, so der Materialforscher, würden Bakterien eingesetzt, um Nanocellulose-Fasern in gewünschter Länge und Quantität zu gewinnen. An der Hochschule Magdeburg-Stendal wird die Verarbeitung solcher Nanocellulose-Fasern erstmals getestet und als Verstärkung von Verbundwerkstoffen verarbeitet, um ihre anwendungstechnischen Eigenschaften zu prüfen. Der zu 100 Prozent aus nachwachsenden Ressourcen bestehende Werkstoff könnte als Hochleistungsbeschichtung im Lebensmittelbereich eingesetzt werden; etwa auf Verpackungsmaterialien als Barriere, die keine Feuchtigkeit heraus- und keinen Sauerstoff hineinlässt, um eine längere Haltbarkeit zu gewährleisten, sagt Peter Gerth und verweist auf den erfolgreichen Abschluss der Machbarkeitsstudie. Die Anwendung der bakteriellen Nanocellulose unter industriellen Bedingungen sei der nächste Schritt.

„Auf diese Weise“, so der Sprecher des Kompetenzzentrums, „bauen wir die Forschungsinfrastruktur innerhalb von Sachsen-Anhalt stetig aus und erweitern unseren Aktions- und Bekanntheitsradius auch über die Landesgrenzen hinaus. Denn Verbundwerkstoffe mit Naturfasern sind für ganz viele Anwendungen geeignet.“ Auch dem Kompetenzzentrum eröffnen sich da immer wieder neue Einsatzfelder wie etwa der Pflegebereich. Dienstleister seien schon mit ihren Vorstellungen von speziellen Textilien an die Materialforscher herangetreten, sagt Peter Gerth.

Autorin: Kathrain Graubaum

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