Aus digital wird smart: Hand in Hand mit dem digitalen Zwilling

IT-Experten aus Sachsen-Anhalt und ihre Ideen von der Echtzeit-Kommunikation

Haushoch und hochkomplex sind die Produktionsanlagen der IPT Pergande GmbH in Weißandt-Gölzau bei Halle (Saale). IPT steht für „Innovative Partikel Technologie“. Mittels modernster Wirbelschichtverfahren werden hier Granulate für die Chemie hergestellt. Ein störungsfreier Anlagenbetrieb ist entscheidend für die effiziente Produktion und hohe Qualität der Granulate. Die IPT gehört zur Pergande Gruppe, einem weltweit führenden Unternehmen auf dem Gebiet der Partikel- und Granuliertechnik. Neben dem Betrieb eigener Produktionsanlagen baut und verkauft die Firmengruppe schlüsselfertige Wirbelschicht-Granulationsanlagen.

 „Unsere Kunden kommen aus der ganzen Welt“, sagt IPT Pergande-Geschäftsführer Mirko Peglow und nennt als Beispiel ein Bauprojekt für Südamerika. Die Wirbelschichtanlage soll jährlich etwa 6.000 Tonnen Pflanzenschutzmittel herstellen. Sie besteht aus zirka 400 Aggregaten und Maschinen und hat etwa 800 Messstellen. „Mit dem Industriezeitalter 4.0 bekommen wir digitale Werkzeuge in die Hand, mit denen wir Lösungen für eine vereinfachte Instandhaltung solcher Anlagen entwickeln“, sagt Peglow.

Die virtuelle Anlage

Das Wort „Innovativ“ im Firmennamen ist Programm. Projektingenieur Steffen Kronberg leitet das Technikum, in dem schon etliche zukunftsweisende Projekte auf den Weg gebracht wurden – zumeist mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft. So ist es auch bei dem elektronischen Assistenzsystem, dessen Prototyp Nr.1 auf der Hannover Messe 2017 präsentiert wurde. Den weiter entwickelten Prototyp Nr.2 will das Unternehmen auf der internationalen Leitmesse für Prozessindustrie, der ACHEMA 2018 in Frankfurt am Main präsentieren. „Basis für das Assistenzsystem ist ein virtuelles 3D-Abbild der realen Anlage; der digitale Zwilling“, erklärt Steffen Kronberg.

Ein Anlagenfahrer sammelt Berufserfahrung – das digitale Assistenzsystem auch, indem ihm die Ingenieure ihr Wissen einspeichern und stets auch  ihren Erkenntniszuwachs. In der Praxis werden beide Hand in Hand arbeiten. Im Wortsinne. Kronberg hat das Tablet an einer Handschlaufe fest im Griff. – Jetzt signalisiert die reale Produktionsanlage eine simulierte Störung durch rotes Blinken und ein akustisches Warnsignal. Für den Monteur würde nun das Suchen nach Quelle und Ursache des Problems beginnen. „Das Handbuch für eine so große Anlage ist etwa 30.000 Seiten dick“, schmunzelt Steffen Kronberg und zeigt auf das Tablet. In der virtuellen Anlage blinkt es an der Stelle blau, an der sich ein Filter befindet. Kronberg liest über das Tablet den QR-Code des Filters ein und erhält alle Informationen, die er braucht – bis zu interaktiven Handlungsempfehlungen, um den Fehler zu beheben. Digitale Anleitungen führen ihn Schritt für Schritt durch die Reparatur.

Die digitale Baustelle

Die Werkzeuge für diese „Digitale Erfolgsgeschichte in Sachsen-Anhalt“ (das Assistenzsystem erhielt im Landeswettbewerb 2017 den zweiten Preis) entwickelt das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg. „Aus digital wird smart“ ist hier die Devise, um Produktionsunternehmen dabei zu helfen, ihre wirtschaftlichen Potenziale besser auszuschöpfen und sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. „Industrie 4.0 – Digitaler Stahlbaufertiger“ ist solch ein Vorhaben mit Partnern aus der Baubranche. „Ziel ist die Digitalisierung von Projekt-, Fertigungs- und Montageabläufen sowie der Fertigungs- und Baustellenlogistik. Außerdem beinhaltet es die Digitalisierung des Produktionsstandortes mit digitalem Lageplan, virtuellem 3D-Werksplan und digitalem Inventory“, sagt Andrea Urbansky, wissenschaftliche Mitarbeiterin des IFF. „Das digitale Inventory in Verbindung mit digitalen Bauteilen ermöglicht eine Simulation aller Bewegungen und Abläufe im Produktionsprozess. In der Baubranche sind solche zeitnahen Informationen von großem Vorteil und bringen enorme Kosteneinsparungen.“

Die intelligente Fabrik

In die IT-spezifischen Studiengänge an den Hochschulen Sachsen-Anhalts haben sich aktuell über 3.500 Frauen und Männer eingeschrieben. Sie erforschen und entwickeln die Werkzeuge der Zukunft: die digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien. Von den 2075 IKT-Unternehmen in Sachsen-Anhalt sind mehr als die Hälfte auf Softwareentwicklung und IT-Services spezialisiert Die IKT-Branche Sachsen-Anhalts mit derzeit fast 16.000 Beschäftigten ist längst aus der Nische heraus gewachsen. Ihre Kunden sind Automobilzulieferer, Energieversorger, Maschinenbauer, die öffentliche Verwaltung – deutschland- und europaweit.

„Industrie 4.0 bietet den Unternehmen ganz neue Möglichkeiten, ihr Image aufzuwerten“, ist Frank Ortmeier, Geschäftsführer der XITASO Engineering GmbH, überzeugt. XITASO aus Magdeburg ist ein dynamisch wachsendes Unternehmen, das sich als Digitalisierungsbegleiter entlang der gesamten Wertschöpfungskette bezeichnet. „Wir planen und realisieren die Umrüstung in überschaubaren Schritten bei kontinuierlich laufendem Produktionsprozess“, sagt Ortmeier und betont: „Wir hören genau zu, sehen genau hin und fragen gezielt nach, um genau die IT-Lösung zu finden, die unserem Kunden den gewünschten Nutzen bringt.“ Mit der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet Industrie 4.0 werde sich auch der XITASO-Werkzeugkasten kontinuierlich optimieren, sagt Frank Ortmeier und fügt hinzu: „Wir haben noch einen weiteren Aspekt im Blick: Der Mensch muss es als angenehm empfinden, in einer,Smart Factory‘ zu arbeiten.“ Soll heißen: „Die Nutzerfreundlichkeit ist der Schlüssel zum digitalen Erfolg; nur so lässt sich Akzeptanz bei den Belegschaften sichern.“

Das digitale Unternehmen

„Potenziale der Digitalisierung liegen aus unserer Sicht vor allem auch in der Bewahrung und Nutzung des in der Firma erzeugten Wissens als  wertvolles Kapital“, sagt Lars Bendler, Geschäftsführer der Lintra Solutions GmbH in Magdeburg. 2002 hatten er und zwei Mitstreiter diese Firma gegründet, deren Name für Leistung, Innovation und Transparenz steht. Die IT-Dienstleister entwickeln gemeinsam mit ihren Kunden vor allem innerbetriebliche Kommunikationsplattformen. Die Lintra-Produkte ermöglichen die umfassende Verwaltung von Dokumenten und Projekten, den Aufbau intelligenter Intranetportale und den Ausbau innerbetrieblicher sozialer Netzwerke. Lintra nutzt dabei SharePoint und Office 365. Auf diese „Datenwolken“ können alle Berechtigten von jedem Ort aus zugreifen, um das Firmenwissen gemeinsam zu nutzen und zu teilen. „Das bringt den Unternehmen einen großen Wettbewerbsvorteil“, sagt Lars Bendler.

Auch das Magdeburger Institut für Automation und Kommunikation ifak e.V. steht in der vierten industriellen Revolution an vorderster Front – und ist an der Entwicklung von Prozessen beteiligt, die etwa Anlagentechnik, IT-Systeme und betriebswirtschaftliche Modelle digital miteinander vernetzen, um eine durchgängige Kommunikation zu ermöglichen – ohne Missverständnisse und Zeitverluste. In dem Gemeinschaftsprojekt „autoAPSint“ haben das ifak und regionale IT-Unternehmen eine Lösung entwickelt, die die Echtzeit-Kommunikation von der Geräteebene über die Steuerungstechnik bis zur Verwaltungsebene ermöglicht.

Im Projekt ENTOC treiben die Projektpartner gemeinsam mit großen Autoherstellern die Entwicklung virtueller Fertigungsstrecken voran. „Durch die vorausgehenden 3D-Simulation aller Abläufe wird die Umrüstzeit der Fertigungsstrecken für die Produktion wechselnder Fahrzeugtypen verkürzt. Zudem können Fehler in der Steuerung oder bei Anlagenkomponenten vor der Inbetriebnahme der realen Anlage korrigiert werden“, sagt Mario Thron, wissenschaftlicher Mitarbeiter des ifak.

IPT Pergande-Geschäftsführer Mirko Peglow kann sich ähnliche Nutzungsmöglichkeiten für seine virtuelle Wirbelschichtanlage vorstellen. Seine Vision ist es, den digitalen Zwilling für eine Serviceerweiterung zu nutzen. „Unserem Kunden in Südafrika etwa könnten wir mit der Anlage auch deren Instandhaltung anbieten – hier von Sachsen-Anhalt  aus“, sagt Peglow Und: „Wir eröffnen uns mit Industrie 4.0 weitere Geschäftsfelder.“

Autor & Fotograf: Kathrain Graubaum

www.pergande.de www.iff.fraunhofer.de
https://xitaso.com/
www.lintra.de
www.ifak.eu


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