Modemacher für den praktischen Bedarf

Die Magdeburger Schule für Mode und Design sieht sich in 100-jähriger Tradition.

„Schule für Mode und Design“ steht neben dem Fahrstuhlknopf zur dritten Etage. Oben angekommen, weist rhythmische Musik den Weg. Junge Models proben für ihre Auftritte. Höhepunkt wird die Fashion Week in Berlin im Januar sein. Zum wiederholten Male will sich die Magdeburger Modeschule von Barbara und Lutz Liebecke dort mit den Kreationen ihrer Schülerinnen präsentieren. 2015 heißt das Motto ihrer Kollektion „100 Jahre Modeschule in Magdeburg“. Wenn es um das Einfühlen in dieses Thema geht, haben die Nachwuchs-Designerinnen einen Standortvorteil im wahren Wortsinn: Die Schule hat genau dort ihre Räumlichkeiten, wo Magdeburg anfing, Mode für ganz Deutschland zu machen.

1915 öffnete in der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg die deutschlandweit erste Modeklasse an einer Kunstschule. Staatlich gefördert – der politische Hintergrund ist aus der Situation im Ersten Weltkrieg zu erklären. Deutschland sollte sich nicht länger dem Modediktat des Kriegsgegners Frankreich unterwerfen, sondern der Mode ein eigenes Gesicht geben – allerdings unter Berücksichtigung der internationalen Mode-Trends, schließlich wollte man nicht hinterwäldlerisch daher kommen. Rudolf Bosselt, der damalige Direktor der Magdeburger Kunstgewerbeschule, suchte die Lehrkräfte für die Fachklasse für Frauenkleidung in jenen Künstler-Kreisen, die zum „gut Angezogensein“ eine Beziehung und eine Riecher dafür hatten, was sich zum Trend entwickeln könnte. Die Mode sollte tragbar und alltagstauglich sein. Bosselts Wahl fiel auf die Malerin Else Raydt aus Stuttgart, die eine Werkstatt für Frauenkleidung besaß.

100 Jahre später lassen sich so einige Parallelen ziehen zur heutigen Modeschule. „Wir stehen nicht in Konkurrenz zur Kunsthochschule Burg Giebichenstein“, sagt Barbara Liebecke. Den praktischen Bedarf für die von ihr ausgebildeten Designerinnen sieht sie bei den großen deutschen Modelabels, die tragbare Mode entwerfen. Hier tue sich derzeit sogar eine Nachfrage auf. Nachwuchssorgen kennt demnach auch die Modebranche? Barbara Liebecke bejaht. Der sogenannte „Modemacher“ habe in jüngster Vergangenheit nicht gerade zum Traumberuf junger Menschen gehört. „In den zurückliegenden zehn Jahren galt es unter den Jugendlichen nicht trendy, sich schick anzuziehen. Das kommt jetzt langsam wieder“, beobachtet sie erfreut. Allerdings: Ein Modediktat wie früher – ein Jahr Mini und im nächsten Maxi, eine Saison Schlaghose, in der darauf folgenden die Röhre – gäbe es längst nicht mehr. Was es den Modefirmen schwerer mache, gezielt den Modegeschmack aufzugreifen, der am Ende Absatz auf dem Markt garantiere.

Wie dem Initiator der Modeklasse vor 100 Jahren ist es auch dem Ehepaar Liebecke wichtig, junge Designer und Designerinnen auszubilden, die nahe an den Kunden sind. Die sich in die Lebens- und Arbeitswelt derer einfühlen können, die ihre Mode tragen sollen – und vor allem wollen. „Wir wollen eine Tradition fortsetzen, die in Magdeburg 1915 mit der Fachklasse für Frauenkleidung begründet und mit dem prominenten ostdeutschen Modeschöpfer Heinz Bormann bis in die 1970er Jahre weiter geführt wurde“, sagt Barbara Liebecke.

Auch die handwerklichen Grundlagen für den Designer-Beruf wollen die Liebeckes, beide sind gelernte Schneider, ihren Schülern vermitteln. Sie bieten entsprechende Ausbildungs-Module an: Neben dem kreativen Entwerfen von Kollektionen stehen Maschinenkunde, Werkstoffkunde, Verarbeitungslehre – das hört sich sehr nach solidem Handwerk an. Barbara Liebecke lacht. „Ja, die Handwerkskammern in Magdeburg und  in Hannover, wo die Prüfungen zum Damenmaßschneider abgenommen werden, stehen sehr hinter unserer Schule und unterstützen uns.“

Was die Magdeburger Schule für Mode und Design auch nötig hat. Im Gegensatz zu ihrer staatlichen Vorgängerin ist sie eine private. Mit ihr erfüllten sich Barbara und Lutz) Liebecke einen Traum. Während der Elektroniker Lutz Liebecke den Schneiderberuf 1989 an der Betriebsakademie des Burger Bekleidungswerkes erst neu erlernte, legte Ehefrau Barbara zu der Zeit bereits ihren Schneidermeister ab. Gelernt hatte sie am Theater in Halle. Eine Marktlücke in der DDR-Zeit der Mangelwirtschaft zu finden, fiel der Schneiderin nicht schwer. Ihre Kundinnen kamen mit westlichen Modekatalogen, um sich Bekleidung nachnähen zu lassen.

Als sich mit der Öffnung der Grenze auch die Türen für viele berufliche Wünsche auftaten, füllte die 1990 gegründete Modeschule eine neue Marktlücke. „Modedesigner stand da hoch im Kurs, wir hatten guten Zulauf. Und konnten auch herausragende Talente fördern“, sagt Barbara Liebecke. Stolz nennt sie Julia Wundrack und Carolin Schmidt, die sich inzwischen unter eigenem Modelabel erfolgreich arbeiten.

Noch einmal zurück geblickt auf 100 Jahre Werkstattarbeit in den Modeschulen von Magdeburg: Schon ein Jahr nach ihrer Gründung trat die Klasse von Else Raydt auf Modenschauen in Magdeburg, Berlin und in vielen anderen deutschen Großstädten auf. Positive Resonanz hatte auch „Gewagtes“,  die Zusammenstellung und Verarbeitung von Materialien betreffend. Die heutige Modeschule ist  dieser Tradition  treu  geblieben. Ein Paillettenkleid aus Plaste, der Rüschenrock aus Papier, das Mieder aus Dichtungsringen – Ungewöhnliches, Erstaunliches fällt den Schülerinnen ein zu den unterschiedlichsten Materialien. Die kommen – so war das vor 100 Jahren schon – von Partnern aus der Wirtschaft. Die Möller-Metalldichtungen GmbH aus Hecklingen  beispielsweisehat mit Mode aus der Kollektion  ihrer Dichtungsringe und -bleche einen Foto-Kalender für 2015 beauftragt. Und für die Weihnachts-Modenschau des Papiergroßhändlers Igepa an seinem Standort Landsberg bei Halle laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren.

Im Wandel der Zeiten ist das Agieren der Modeschule von heute international. Gerade verhandelt sie mit einer holländischen Firma über die Produktion ihrer Recycling-Kollektion. Aus gebrauchter Jeanskleidung haben die Nachwuchs-Designerinnen Dirndlkleider entworfen. „Internationale Erfahrungen haben wir auch bei einem Schüler-Austausch mit Jung-Designern aus Lettland gemacht. Wir wollen unbedingt weitere solcher Begegnungen initiieren“, sagt Barbara Liebecke. „100 Jahre nach Deutschlands erster Modeklasse für Frauenkleider macht kein Land mehr  Mode nur für sich.“

Autorin: Kathrain Graubaum (Text/Foto)
BU: Models präsentieren die Kreationen aus der Magdeburger Schule für Mode und Design von Barbara und Lutz Liebecke.

Kontakt:
Schule für Mode und Design
Lutz Liebecke
vill-a-rte gemeinnützige GmbH
Brandenburger Str.9
39104 Magdeburg
Tel. 0391/5560771
Mobil 01729575459
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