Formel 1 für die Medizintechnik

High Technology Made in Sachsen-Anhalt ist Weltspitze

Die Medizintechnik in Sachsen-Anhalt mit etwa 75 Unternehmen und einem Jahresumsatz von 160 Millionen Euro entwickelt sich zu einem prosperierenden Wirtschaftszweig. Ingenieurtechnische Hochleistungen sind in der Maschinenbauregion seit über 100 Jahren zu Hause. In Kombination mit medizinischer Forschung erobert sich Sachsen-Anhalt einen Ruf als Innovationsführer auf dem Weltmarkt der Medizintechnik-Branche.

Wie beispielsweise COVIDIEN. Johannes Anz hält eine druckfrische Broschüre in den Händen: „COVIDIEN – Das Werk Halberstadt von 1990 bis 2015“. Fotos erzählen eine 25-jährige Geschichte als Hersteller von Medizinprodukten. Das Halberstädter Werk ist auf die Herstellung von Klebe-Elektroden insbesondere für die Anwendung im Bereich der Elektrokardiographie (EKG) spezialisiert.

Doch die Zeit der technischen Erfolge an diesem Standort reicht weiter zurück. Mit Beginn der 1950er Jahre wurden hier Uhren samt ihrer Feinmechanik produziert. In den 1970er Jahren begann die Entwicklung und Herstellung von Technik für die elektronische Datenverarbeitung. Anz selber kam 1991 als Leiter der Abteilung „Forschung und Entwicklung“ in das Werk, das damals die Fertigung von Medizinprodukten neu aufgenommen hatte. Seit 1998 leitet er das dem weltweit agierenden amerikanischen Unternehmen COVIDIEN gehörende Werk.

Seit 2015 ist COVIDIEN ein Unternehmen des Medtronic-Konzerns, eines großen Medizintechnik-Herstellers aus den USA. Damit beginnt ein neues Kapitel für den Halberstädter Betrieb, dessen Produkte weltweit gefragt sind. Mehrere hundert Millionen Elektroden verlassen jährlich das Werk in Richtung Europa, Fern- und Nah-Ost, Neuseeland und Afrika. Sie sind führend auf dem Weltmarkt. Zuverlässige Qualität ist kombiniert mit innovativen Eigenschaften. Zum Sortiment gehören Elektroden für Neugeborene und Erwachsene zur Herzrhythmus-Überwachung in Kurz- oder Langzeitmessungen. Ob im Schlaflabor oder im OP-Raum eingesetzt – jede Elektrode habe ihre spezielle Bestimmung, erklärt der Werkleiter. Zudem komme es darauf an, dass jede Neuentwicklung leicht anzuwenden und kostengünstig zu kaufen ist. Mit der Entwicklung und dem Bau vollautomatischer und videoüberwachter Fertigungsstrecken habe sich der Betrieb klare Wettbewerbsvorteile geschaffen. In der hauseigenen Abteilung „Produktpflege“ werden u.a. die Hydrogele entsprechend ihrer unterschiedlichen Anforderungen entwickelt. Des Weiteren zählt zu den Eigenentwicklungen eine Neutralelektrode für die Hochfrequenz-Chirurgie. Sie ist eine der patentierten Neuheiten auf dem Weltmarkt.

In der Region um die Stadt Halberstadt hat sich in Sachsen-Anhalt ein Kompetenzzentrum für Medizintechnik gebildet. Zahlreiche Unternehmen der Branchen sind hier angesiedelt. Neben COVIDIEN zählen dazu etwa die weltweit agierende Primed Halberstadt Medizintechnik GmbH, Spezialist für Medizinprodukte im Bereich der Wundbehandlung und Diagnostik sowie für Technologien der Kunststoffverarbeitung, die Dahlhausen Medizintechnik GmbH, Europas größter Komplettanbieter von klinischem Zubehör, oder die Veritas Medizintechnik GmbH, Hersteller von Einmalprodukten  aus Silikon für den klinischen Einsatz. Der Medizintechnikstandort Halberstadt profitiert von der traditionellen Kunststoffkompetenz in Sachsen-Anhalt. Seit über 75 Jahren ist hier die Plastikindustrie zu Hause. Seitdem hat sich das Land zu einem weltweit führenden Kompetenzzentrum der Polymerherstellung und -verarbeitung entwickelt. Diese Kompetenzsynergien sind typisch für das Bundesland Sachsen-Anhalt. Im engen branchenübergreifenden Zusammenspiel mit der regionalen Metallindustrie, der Elektrotechnik, der Kunststoffindustrie und der IT-Technologie erhält sie wichtige Impulse und bringt Innovationen hervor, die auf dem weltweiten Medizintechnik-Markt die Nase vorn haben.

Rund um die Landeshauptstadt Magdeburg als Zentrum hat sich so im Norden Sachsen-Anhalts ein weiterer Hotspot der Medizintechnik entwickelt. Einst Schwermaschinenbauzentrum, sind dort heute Hightech-Produktion der Spitzenklasse beheimatet.

 „Innovationen sind unabdingbar, um neue Kundenanforderungen zu erfüllen und auf dem internationalen Markt bestehen zu können“, betont COVIDIEN-Werksleiter Johannes Anz für sein Unternehmen in Halberstadt.

Genau so sieht es auch Peter Weber aus Magdeburg. Sein Unternehmen HASOMED entwickelt und produziert Hard- und Software für die Anwendung im medizinischen und therapeutischen Bereich. Mitgeschäftsführer ist Sohn Matthias. Der 35-jährige Ingenieur für  Elektrotechnik ist von Kindesbeinen an mit der Firma vertraut, die sein Vater vor 25 Jahren gründete. Aufgabe von Matthias Weber ist es, das Portfolio des Unternehmens den Anforderungen des internationalen Marktes anzupassen. HASOMED hat seine Kunden weltweit – u.a. in den USA, Korea, Malaysia, China, Australien, Russland und in Europa.

Fast ein Drittel der 85 Beschäftigten arbeitet in der hauseigenen Forschungs-und Entwicklungsabteilung insbesondere an Medizintechnik für die Neurologische Rehabilitation. „Mit der Verknüpfung zur Robotik ergeben sich für unsere Systeme zur funktionellen Elektrostimulation ganz neue Anwendungsfelder“, sagt Peter Weber. „Für Patienten mit Querschnittslähmung oder mit neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall haben wir Geräte entwickelt, die das passive Bewegungstraining von Armen und Beinen durch Elektrostimulation erweitern. Unser Stimulator sendet elektrische Impulse über Elektroden zu den Muskeln und erzeugt eine zielgerichtete Bewegungen der Extremitäten – trotz Lähmung.“

Sohn Matthias ergänzt: „Um bedarfsgerechte zukunftsweisende Produkte zu entwickeln, beteiligen wir uns aktiv an verschiedensten Projekten.“ Eines ist der Cybathlon, ein internationaler Wettkampf für Parathleten, die dabei robotische Hilfsmittel zur Unterstützung nehmen. „Unsere Partner sind die Technische Universität Berlin und die Unfallklinik Berlin, wo Querschnittsgelähmte auf unserem RehaBike für die Teilnahme im Oktober 2016 trainieren“, sagt Weber. „Es ist wie bei Formel 1, wo für die Wettkämpfe High Technology entwickelt und getestet wird, die später in ein Consumer-Produkt eingeht.“

Auch die Weiterentwicklung der Ultraschall-Diagnostik bekommt bedeutende Impulse aus Sachsen-Anhalt. Ultraschallsensoren kommen zunehmend in der Medizintechnik zum Einsatz, z.B. in Geräten zur Überprüfung automatisierter Prozesse, wie sie von der SONOTEC Ultraschallsensorik Halle GmbH entwickelt und hergestellt werden. „Und zwar nach individuellem Anspruch unserer Kunden, die Maschinen und Anlagen für die Medizin, die Pharmazie und für die Biochemie produzieren“, betont Hans-Joachim Münch, Geschäftsführer der SONOTEC Ultraschallsensorik Halle GmbH. 1991 hatten er und Santer zur Horst-Meyer, beide sind seit ihrem Physikstudium Freunde, das gemeinsame Technologieunternehmen in Halle an der Saale gegründet. Jetzt nach 25 Jahren hat SONOTEC 125 Mitarbeiter und einen wachsenden Absatzmarkt für Ultraschallsensoren, die z.B. Dialysemaschinen oder Herz- und Blutpumpen auf gesundheitsschädigende Luftblasen kontrollieren. Auf dem Weltmarkt bislang einmalig ist ein Durchflusssensor, der neben Strömungsgeschwindigkeiten in flexiblen Schläuchen auch Luftblasen schnell und berührungslos erfassen kann. Er wird beispielsweise in Herz-Lungen-Maschinen, bei kathetergestützten Spezialeingriffen am Herzen und zur Überwachung von Infusionen eingesetzt.

SONOTEC hat sich ein Netzwerk aus Wirtschaft und Wissenschaft aufgebaut. „Die Forschungslandschaft in Sachsen-Anhalt generiert einen Wissens-Transfer auf hohem Niveau und sorgt für gut ausgebildete Fachkräfte, die innovative Ideen und Lösungen hervorbringen“, sagt Münch. Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, die Hochschulen Anhalt und Magdeburg-Stendal, die Fraunhofer- und Max-Planck-Institute in Halle und Magdeburg betreiben praxisorientierte Forschung im Bereich der Medizintechnik und kooperieren dabei vor allem mit mittelständischen Betrieben.

 „Unser Unternehmen profitiert von diesem Netzwerk“, sagt Münch und betont, dass SONOTEC wegen dieser positiven Standortfaktoren in Sachsen-Anhalt geblieben ist. Seine Kunden hat das Technologieunternehmen inzwischen weltweit. Der direkte Exportanteil beträgt 20 Prozent, der indirekte über Auftraggeber 70 Prozent. Das Unternehmen hat Vertriebsstandorte in Tschechien und in den USA, um den Kunden dort in Service und Beratung nahe zu sein.

Foto: Die Produktionslinie der Klebe-Elektroden von COVIDIEN in Halberstadt verläuft vollautomatisch und wird von Video-Kameras überwacht. (Foto: COVIDIEN)

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