Heimstatt für Technik-Fossile

Sie verwalten einen riesigen Fundus original erhaltener Teile aus alten Produktionsanlagen der Chemischen Industrie. Warum ist es wichtig, so etwas aufzubewahren?

Martin: Dafür gibt es viele Gründe. Einerseits wollen wir die Geschichte der technischen Entwicklung bewahren. Andererseits geht es aber auch um die Stärkung regionaler Identifikation. Die chemische Industrie ist hier seit Jahrzehnten verankert, die Akzeptanz in der Bevölkerung ist hoch. Und schließlich geht es auch um Bildung für jung und alt, die wir hier anschaulich vermitteln können.

Die Sammlung ist einzigartig. Wie groß ist sie und wie kam sie zustande?

Martin: In der Tat sucht sie überregional ihres Gleichen. Unser Depotbestand umfasst 5.000 original erhaltene Objekte. In unserem Technikpark auf dem Gelände der Hochschule Merseburg sind etwa 300 davon unter freiem Himmel ausgestellt. Darunter sind ganze Anlagenteile aus der Abbruchmasse der Chemiewerke in Buna und Leuna, zum Beispiel eine Chlorgasanlage oder eine zur Produktion von Kautschuk. Ihre Rettung verdanken wir vielen ehemaligen Mitarbeitern, die sie kurz nach der Wende abgebaut und eingelagert haben. Oft waren sie dabei der geplanten Verschrottung nur einen winzigen Schritt voraus.

Was sind die Herzstücke der Ausstellung?

Martin: Wir haben mit Originalteilen den Prozess der Ammoniaksynthese nachgebaut, die früher in Leuna stationiert war. Diese Anlage stellt eine Keimzelle der chemischen Industrie in der Mitteldeutschen Region dar. Das war 1916/17. Die Ammoniaksynthese war erst ein paar Jahre zuvor erfunden wurden. 1913 ging eine erste Anlage in Ludwigshafen an den Start. Merseburg war der zweite Standort für die seinerzeit bahnbrechende Technik, die später in der DDR bis zur Wende in Betrieb war. Herzstück der Anlage und zugleich Prunkstück unserer Ausstellung ist eine riesige Umlaufpumpe aus dem Jahr 1925.

Was ist das Besondere daran?

Martin: Sie ist die letzte ihrer Art weltweit. Sie wurde vom späteren Nobelpreisträger Carl Bosch erfunden. Allein das Schwungrad wiegt mehrere Tonnen. Und sie ist sehr komplex, ein Konglomerat vieler mechanischer Teile, die ineinander greifen. Wir sind stolz darauf, dass wir sie den Besuchern sogar in Aktion präsentieren können. Denn durch die Detailkenntnisse ehemaliger Produktionsarbeiter konnte sie wieder flott gemacht werden.

Wer unterstützt Ihre Ideen?

Martin: Kern des Museums ist der Verein „Sachzeugen der chemischen Industrie“, dem 250 Mitglieder angehören. Die Idee eines Chemiemuseums stammt eigentlich schon aus den 50er Jahren, wurde jedoch zu DDR-Zeiten nie Realität. Erst nach der Wende wurde es konkret. Hilfreich waren dabei vor allem die hervorragenden Kontakte zwischen der Hochschule Merseburg und den sie umgebenden Industrieunternehmen.

Welche Pläne und Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Martin: Wir haben rund 3.000 Besucher jährlich. Das sind weniger als in einem herkömmlichen Museum. Aber wir sind bisher eher eine Einrichtung für speziell Interessierte. Wir möchten unser Angebot erweitern und das Museum zu einem lebendigen Ort der Nachwuchsförderung und Berufsorientierung im naturwissenschaftlich-technischen Bereich entwickeln. Erste Ansätze gibt es bereits in Form von Entdeckerfeldern. Dort können Besucher verschiedene Themen selbst ausprobieren. Außerdem betreiben wir zusammen mit der Hochschule das Schülerlabor „Chemie zum Anfassen“. Für den Ausbau benötigen wir mehr personelle und finanzielle Unterstützung. Zum Beispiel möchten wir leer stehende Gebäude auf dem Hochschulgelände nutzen, um das neue Konzept in einem Ausstellungsgebäude realisieren zu können. Die Geschichte der mitteldeutschen Chemieregion ist nichts, was man verstecken sollte. Das Deutsche Chemie-Museum Merseburg ist deshalb auch ein Baustein der Industriekultur im touristischen Angebot des Landes. Initiativen im Ruhrgebiet zeigen, wie ein Strukturwandel zukunftsweisend umgesetzt werden kann, es hat uns da einiges voraus.

Kontakt:

Verein „Sachzeugen der chemischen Industrie e.V.“
Prof. Dr. Thomas Martin
Hochschule Merseburg
Geusaer Straße
06217 Merseburg
Tel: 03461-46-2011
E-Mail: thomas.martin@hs-merseburg.de
www.dchm.de

vorheriger Beitrag nächster Beitrag