Akribie und Können macht historische Löwen fit für die Zukunft

Zwei prächtige Löwen halten das Wappen des Herzogtums Sachsen-Gotha-Altenburg in den Pranken. Das üppige Motiv prägt einen über 300 Jahre alten Bildteppich. Goldfarben und mit kräftigem Rot schmückt er bald wieder einen Raum auf Schloss Friedenstein in Gotha. Das 5,40 Meter breite und 4,30 Meter hohe Exemplar hat eine fast zwölf Monate dauernde Kur hinter sich. Spezialisten der Staatlichen Textil- und Gobelinmanufaktur Halle haben die Tapisserie mühevoll restauriert.

"Unzählige Fehlstellen mussten wir sichern. Heute sind diese kaum noch sichtbar.", erzählt Nadine Leitsch. Es galt, das passende Material dafür zu finden und den Teppich insgesamt restauratorisch zu bearbeiten. Zuvor sei er in einer belgischen Werksstatt vorsichtig und besonders schonend gereinigt worden. Der Unterschied zum alten Zustand sei inzwischen unübersehbar, sagt die junge Frau. Datiert habe man das Stück auf das Jahr 1695.

An einem anderen Tisch begutachtet Mechthild Bungenberg eine so genannte Nachwebung. Das dunkelgrüne Material mit Einhörnern, Löwenköpfen und Ornamenten erweist sich als Herausforderung. Möglichst originalgetreu sollen die Hallenser Spezialisten ein Stück der Wandbespannung in Melanchthons Sterbezimmer in der Lutherstadt Wittenberg kopieren. Sie dienen dazu, defekte Bereiche zu "reparieren". Im Sommer kommenden Jahres öffnet das ehemalige Wohnhaus des Freundes des Reformators, nach umfangreicher Sanierung, wieder. Für die Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, in deren Obhut sich das zum Weltkulturerbe der UNESCO gehörende Gebäude befindet, zählt jedes Detail bei den Arbeiten, sagt die Textildesignerin der halleschen Manufaktur. Sie nennt es besonders schwer, annähernd das Material zu finden, aus der die originale Wandbespannung Ende des 18. Jahrhunderts gefertigt wurde. Die gleichen mechanischen Eigenschaften der Wolle zählten ebenso, wie die richtige Farbe und das Verhalten der fertigen Textilstücke beim Anbringen an die Wand. Umfangreiche Recherchen gehören bei solchen Aufträgen dazu.

"Solche Aufgaben stellen für uns seit 20 Jahren eine fast alltägliche Herausforderung dar", versichert Dirk Willmann, Geschäftsführer der Textil- und Gobelinmanufaktur. Das Unternehmen habe sich auf solche Aufgaben spezialisiert und damit Reputation in ganz Deutschland erworben. 14 Mitarbeiter sind in den Bereichen Textilrestaurierung, Färberei, Gobelinwirkerei, Stickerei/Näherei, Handweberei und Textildesign tätig. Weitere freie Restauratoren und andere Fachleute werden bei Bedarf dazu geholt. Mit dieser Vielfalt der Techniken sind die Hallenser nicht nur zwischen Ostsee und Bayrischem Wald ein Einzelfall. Auch in Europa sucht man eine vergleichbare Einrichtung vergeblich. Ansonsten sehe man sich gegenwärtig in puncto Restaurierung in der Bundesrepublik unter den Top-Fünf.

Willmann zeigt sich qualitätsbewusst. Jeder Auftrag werde mit einem realistischen Angebot untersetzt. Dabei zählten vor allem die eigenen, strengen, fachlichen Kriterien. "Auch wenn es manchmal schwerfällt, wir lehnen auch Anfragen ab, wenn sie sich mit unserem Verständnis von Restaurierung nicht vereinbaren lassen", sagt er. Das Konzept ist erfolgreich, wie allein der Blick auf die Referenzliste der Manufaktur beweist.

Aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein in Vaduz kamen zwei Tapisserien aus dem 17. Jahrhundert an die Saale. Vier über 100 Jahre alte Fahnen des Berliner Handelsverbandes bekamen die notwendigen Sicherungsmaßnahmen, um in gutem Zustand der Nachwelt bewahrt zu bleiben. Die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen gehört schon fast zu den Stammkunden der Halleschen Experten. Gut zwei Drittel aller Aufträge der Manufaktur betreffen die Restaurierung oder die Anfertigung von Repliken. Daneben kommen auch neue Stücke aus den Werkstätten. Gobelins gehören ebenso dazu, wie Paramente oder Bodenteppiche.

Eine Besonderheit des Unternehmens ist die enge Bindung an die Burg Giebichenstein, Kunsthochschule Halle. Der 1945 als Fahnen- und Uniformstickerei gegründete Betrieb stellte bereits 1946 die erste Weberin ein. Zehn Jahre später baute Professor Willi Sitte eine erste Textilklasse und die Teppichmanufaktur auf. Die Kontakte zwischen Ausbildung und Produktion wurden dadurch noch fester. Schließlich übernahm die Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein den volkseigenen Betrieb komplett. Nunmehr können in dessen Räumen Textilgestalter praktische Erfahrungen sammeln, es entstehen unter anderem zahlreiche Gobelins für öffentliche Gebäude in der DDR. Daneben sind es klassische Kunstgewerbearbeiten, die das Profil prägen.

Nach wie vor können Studenten die Manufaktur nutzen. In jedem Semester sind es bis zu 45 angehende Textilgestalter, Modedesigner oder junge Leute des Fachbereichs Kunst, die ihre Fertigkeiten beispielsweise an Webstühlen ausbauen. Sie profitieren dabei vom großen Erfahrungsschatz der Mitarbeiter. "Alle sind Meister ihres Fachs, verfügen über das Wissen von mehr als 30 Jahren im Beruf", zeigt sich Willmann zufrieden. Gleichzeitig macht er sich Gedanken um den eigenen Berufsnachwuchs. Deshalb bilde man selbst aus und stelle in der Saalestadt zunehmend auch Diplom-Textilrestauratoren ein, für die es erst seit wenigen Jahren ein eigenes Studium gibt. Wissen rund um Textilien und beste Qualifikation der Beschäftigten zählen für die Hallesche Manufaktur zu den Markenzeichen. Das werde auch künftig der "unverzichtbare Maßstab" sein, sagt der Geschäftsführer.


Autor/Foto: Klaus-Peter Voigt

Kontakt:
Staatliche Textil- und Gobelinmanufaktur
Puschkinstraße 19
06108 Halle/Saale

Ansprechpartner:
Geschäftsführer Dirk Willmann
Tel.: +49 (0)345 / 2024934
Fax: +49 (0)345 / 2024935
E-Mail: info@textilmanufaktur.de
Web: www.textilmanufaktur.de
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