Gegen Krankheiten ist in Samswegen ein Pilz gewachsen

Im sachsen-anhaltischen Samswegen schießen unternehmerische Ideen wie Pilze aus den Baumblöcken. Geschäftsführer Dieter Völkers lässt im Bördekreis in seiner „Magdeburger Pilzmanufaktur“ den Shiitake wachsen und gedeihen. Der asiatische Pilz hat einen außergewöhnlichen Geschmack. Zugleich hat das Gewächs ungewöhnlich gute „Nebenwirkungen“. Dank seines Wirkstoffes Lentinan werden durch den Verzehr beispielsweise Krebszellen bekämpft.

Es ist warm und feucht in der Erntehalle. Betriebsleiterin Susan Reiher und Mitarbeiter Christian Völkers setzen ihre Messer an. Sie gehen auf schmalen Pfaden zwischen den Regalen hindurch und schauen sich jeden einzelnen Pilz an. Viele Holzblöcke stehen hier aufgereiht. Auf ihnen sprießen die Shiitake-Pilze. Ist das Häutchen unter dem Hut aufgeplatzt und sind die Lamellen zu sehen, schneiden die „Erntehelfer“ behutsam den Pilz ab und legen ihn in die Plastik-Kiste. Morgens und abends ist Erntezeit in Samswegen, auch am Wochenende und an Feiertagen.
Bis zu 50 Kilogramm Shiitake „pflückt“ das Team täglich von den Blöcken. „Pilze kennen keine freien Tage, die wachsen immer“, sagt Dieter Völkers, Geschäftsführer der Magdeburger Pilzmanufaktur. Er hat kein Problem damit. „Unsere Kunden müssen sicher sein, dass wir zuverlässig und qualitätsgerecht arbeiten“, erklärt er. Was in seinem Betrieb erzeugt wird, unterliegt den strengen Qualitätsrichtlinien des Anbauverbandes BIOLAND. In der Manufaktur setzt man auf Handarbeit, auf Pestizide wird komplett verzichtet.

„Wir verwenden nur Licht und Wasser“, sagt Dieter Völkers. Die Pilze werden auch nicht gepflückt, wie es in anderen Pilzfarmen durchaus üblich ist, sondern mit dem Messer abgetrennt. „So kann die Schnittstelle nicht zur Brutstätte für Schimmelpilze werden“, erklärt Völkers.

Fünf Ernteräume gibt es im ehemaligen Kälberstall, den der Geschäftsführer und sein damaliger Partner umbauen ließen. Bei 16 Grad und 60 Prozent Luftfeuchtigkeit recken sich hier die Shiitake-Pilze. Es ist nicht ihre erste Station. Dieter Völkers zeigt auf Regale, auf denen Tüten mit einem braun-weißen Inhalt stehen. Ein Experte in Hessen füllt Sägemehlsubstrat aus Buchenholz in die Tüten und beimpft es von außen steril mit dem Pilzmyzel - einer Art Pilzgeflecht. Im Samsweger Reiferaum besiedelt das Myzel in der geschlossenen Tüte das Sägemehl. Aus dem Holzpulver entsteht ein Block und die ersten Pilz-Kappen zeigen sich. „Durchwachsen“, nennen das die Experten, die mit einem Blick auf die Tüten erkennen, „ob sich bereits etwas tut“. Damit in den Tüten, in die ein Spezial-Filter eingebaut ist, Shiitake heranwachsen, müssen bis zu 25 Grad herrschen. Für die benötigte Feuchtigkeit spritzen Mitarbeiter Wasser auf den Fußboden, das langsam verdunstet. „Wir gießen nicht direkt, damit die Pilze das Wasser aus der Luft aufnehmen können“, erklärt der Chef. Tag und Nacht läuft zudem eine Zugluftanlage, damit die Pilze Sauerstoff bekommen.

Für das Team der Pilzmanufaktur ist es eine Sekundensache zu entscheiden, ob die Pilze „bereit sind“ und aus der Tüte genommen werden können. Der Holzblock wird beschnitten, dann geht es in den Ernteraum. Jede Charge erhält einen „Personalausweis“. „Auf der Karte wird alles eingetragen, damit wir immer wissen, wann wir etwas mit den Pilzen gemacht haben“, erklärt Völkers. Der Überblick ist wichtig, da in den Räumen viele kleine Blöcke und Pilze in verschiedenen Stadien stehen. Abgeerntete Blöcke kommen in den Ruheraum. „Die erste Erntewelle ist vorbei“, sagen die Experten. Zwei bis drei Wochen ruhen sich die Holzblöcke aus, danach werden sie zwölf Stunden lang in kaltes Brunnenwasser getaucht. „Der eigentliche Pilz ist noch im Holzblock“, erklärt Dieter Völkers. „Spürt der Pilz die Nässe und Kälte, denkt er es ist Herbst und wird animiert, noch mal neue Früchte zu bilden.“ Was folgt, ist schließlich eine zweite „Erntewelle“. Wenn die vorbei ist, kommt ein Transporter und holt die abgeernteten, ausgemusterten Blöcke ab und bringt sie in einen Hordorfer Bio-Geflügelbetrieb.

Mit den geschredderten Blöcken verfestigt man dort die Gülle. Die Stilreste der Pilze wandern in die Biogasanlage, die ein Unternehmer direkt hinter den Pilzhallen errichtet hat. „Wir haben praktisch keinen Abfall“, sagt Völkers. Aber schöne weiß-graue Shiitake haben sie. Nach der Ernte lagern die Pilze bei fünf bis sieben Grad, mit einem Tuch verdeckt, im Kühlraum, bevor sie verpackt und verkauft werden. „Das muss alles schnell gehen, damit die Pilze frisch bleiben“, erklärt Völkers. Vor ein paar Jahren wusste Dieter Völkers das alles auch noch nicht.

Der studierte Theologe und ehemalige Sozialarbeiter kam zufällig zum Shiitake-Anbau. „Ich wollte etwas Neues machen, ein Kollege brachte die Idee aus Japan mit, und dann probierten wir es einfach.“ Aus der Idee ist inzwischen ein florierendes kleines Unternehmen mit drei Angestellten und einigen Saisonarbeitern geworden, das auf sechs erfolgreiche Jahre zurückblicken kann. Dass die Hallen ausgerechnet in Samswegen stehen, war nicht geplant. Dieter Völkers: „Ein Landwirt bot uns die Hallen an, die waren ideal für die Zwecke.“

Seine Investitionen in Sachsen-Anhalt waren dagegen nicht zufällig. „Wir haben uns entschlossen hierzubleiben und etwas zu bewegen“, sagt Völkers, dessen Partner inzwischen aus dem Unternehmen ausgeschieden ist. An Angeboten aus anderen Regionen hatte es dem Wahl-Magdeburger nicht gemangelt. Aus Schleswig-Holstein oder Hessen meldeten sich Unternehmer, boten ihre Farm zur Übernahme an oder wollten gemeinsam mit Dieter Völkers eine neue Firma gründen. Er lehnte ab. „Wir wollen lieber hier mit außergewöhnlichen Produkten werben“, sagt der Pilz-Chef.

In der Lebensmittelbranche hat die Manufaktur hierzulande längst einen guten Namen. Zu den Kunden des Unternehmens gehören Einzelhändler in Magdeburg und Umgebung, im gesamten thüringischen und westsächsischen Raum. In Berlin verbreitet ein Großhändler in fast allen Bio-Supermärkten die Shiitake-Pilze aus Samswegen, in allen Karstadt-Häusern der neuen Bundesländer und in Hamburg werden sie aufgetischt. Man schätzt die Samsweger Handarbeit und die außergewöhnliche Würze, die wie eine Mischung aus Rettich und Knoblauch schmeckt. Was die Gourmets dabei fast völlig vergessen: Dieser Pilz könnte in der Apotheke glatt als Heilmittel angeboten werden. Shiitake wirkt stark antiviral. Der Pilz unterstützt, bei regelmäßigem Verzehr, die körpereigenen Abwehrstoffe so gut, dass der Mensch gut mit Virenangriffen – etwa Schnupfen – fertig wird. Außerdem bekämpft der Shiitake Bluthochdruck, Thrombose und Krebszellen. Bei all den positiven Nebenwirkungen kann der Pilz in der Küche vielfältig zubereitet werden. Egal, ob gekocht, gebraten, gedünstet oder roh – Shiitake schmeckt immer besonders. Dieter Völkers bekommt nicht genug davon. „Ich esse die Pilze fast täglich.“ Die Liebe zum Unternehmen geht bei ihm durch den Magen. „Wir empfinden das, was wir tun als Berufung“, sagt er, „und eine Berufung wechselt man nicht so schnell.“

Autorin/ Fotografin: Manuela Bock

Kontakt:
Magdeburger Pilzmanufaktur
Dieter Völkers
Am Sportplatz 4
39326 Samswegen

Tel.: +49 (0)391 / 72609342
Fax: +49 (0)391 / 72609342
E-Mail: info.ignore@magdeburger-pilzmanufaktur.de
Web: www.magdeburger-pilzmanufaktur.de

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