Sachsen-Anhalt ist ein Zentrum der Logistik-Forschung

 

Das Energieeffizienz-Labor der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ist eine Perle der Logistik-Forschung. Denn im deutschsprachigen Raum ist es einzigartig. Im Dezember 2010 eingeweiht, verfügt es über 800 Lagerplätze für Kleinteile. In dem 15 Meter langen, acht Meter hohen und vier Meter breiten Raum wird eine Situation simuliert wie sie in großen Lagerhäusern anzutreffen ist. Doch die Magdeburger Anlage kann mehr. Sie misst ununterbrochen und ganz detailliert sämtliche Energieverbräuche. Fast zeitgleich mit jeder Bewegung wird dargestellt und dokumentiert, was wird wann, wo, bei welcher Aktion verbraucht. Die hier ermittelten Ergebnisse können andernorts viel Geld sparen.

 

In dem Energieeffizienz-Labor wird unter anderem gemessen wie viel Strom kostet die horizontale und wie viel die vertikale Bewegung. Wie viel wird beim Herabfahren und was beim Bremsen gespart. Denn beim Bremsen des Bediengerätes, das die Regale bestückt, wird Energie frei. Bei horizontalen Bewegungen können bis zu 50 Prozent, bei vertikalen sogar bis zu 60 Prozent in das Stromnetz zurückgeführt werden. Aus den Ergebnissen könne zum Beispiel abgeleitet werden, ob es effektiver ist zuerst unten oder oben, mehr am Anfang ober mehr am Ende eines Hochregals einzulagern, beschreibt Professor Dr.-Ing. Hartmut Zadek, Leiter des Instituts für Logistik und Materialflusstechnik (ILM) an der Fakultät für Maschinenbau der Universität Magdeburg, den praktischen Nutzen dieses Labors. Sein Institut betreut das 250.000 Euro teure, vom Land Sachsen-Anhalt und der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Energieeffizienz-Labor, das neben der Grundlagen- und Anwendungsforschung auch in der Ausbildung von Logistik-Studenten genutzt wird. Von besonderem Interesse dürften die Forschungsergebnisse besonders für die Betreiber großer Hochregal-Anlagen sein. So habe zum Beispiel allein der Otto-Konzern an seinem Standort in Haldensleben mit jährlichen Stromkosten in Millionenhöhe zu tun. Die ersten Testreihen im Labor zeigten, dass bis zu 40 Prozent Energie zurück gewonnen werden könne, berichtet Hartmut Zadek, der den Lehrstuhl für Logistik an der Magdeburger Universität innehat. 

Dass dieses Labor an der Magdeburger Universität entstand, ist kein Zufall. Sachsen-Anhalt ist ein Zentrum der Logistik-Forschung. Es gäbe kaum eine andere Hochschule in Deutschland, an der so viele Lehrstühle mit dem Bezug zum Thema Logistik gebündelt sind, wie in Magdeburg, sagt Zadek, der auch an anderen deutschen Hochschulen als Lehrbeauftragter tätig ist. Neben dem von ihm geleiteten Lehrstuhl gibt es am Institut für Logistik und Materialflusstechnik zwei weitere. Der von Prof. Michael Schenk geleitete Lehrstuhl für logistische Systeme befasst sich vor allem mit der Logistik orientierten Fabrikplanung und -betrieb sowie der Modellierung und Simulation von Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsnetzwerken. Prof. Schenk ist in Personalunion darüber hinaus seit vielen Jahren Chef des Magdeburger Fraunhofer Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF). Daraus ergäben sich bedeutende Synergien in Lehre und Forschung hebt Zadek hervor. Das beim IFF angesiedelte Test- und Entwicklungslabor für RFID, für Funk-Etikette, erforscht und entwickelt auf 1.800 Quadratmetern die lückenlose Überwachung von Transportwegen durch innovative funk- und videobasierte Ortungstechnologien. Das Virtual Development and Training Centre VDTC des IFF befindet sich im Magdeburger Wissenschaftshafen. Es sei auf neueste Virtual Reality-Technologien für Anwendungen in der Industrie spezialisiert, so Zadek. Der dritte Lehrstuhl an dem von Prof. Zadek geleiteten Institut ILM befasst sich mit Materialflusstechnik. Er wird von den Professoren Klaus Richter und André Katterfeld betreut. Darüber hinaus widmen sich auch Wirtschaftswissenschaftler der Magdeburger Universität der Logistik-Forschung. Der Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft behandelt betriebswirtschaftliche Entscheidungsprobleme auf dem gesamten Feld der Produktionswirtschaft und des Logistikmanagements.

Zadek verweist auch auf Kollegen in Halle (Saale). An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg werden von Professor Christian Bierwirth und seinem Team Produktions- und Logistiksysteme in Industrie- und  Dienstleistungsunternehmen erforscht. Auch an den Hochschulen Magdeburg Stendal, Harz, Merseburg und Anhalt-Köthen stehen Logistik-Themen auf den Lehrplänen.

Eine besondere Rolle nimmt das  Institut für Automation und Kommunikation ifak in Magdeburg ein.  Es ist ein eigenständiges vom Land Sachsen-Anhalt gefördertes Institut der angewandten Forschung. Es widmet sich besonders der Einführung aktueller Informations- und Kommunikationstechnologien in die Automatisierungstechnik. Unter der Führung von Professor Ulrich Jumar werden auch eine Reihe logistischer Themen verfolgt, hebt Zadek hervor.

Diese Konzentration wissenschaftlicher Kompetenz und die intensive Beschäftigung von Wissenschaftlern mit dem Thema Logistik werden in der Branche als eine Stärke Sachsen-Anhalts gesehen. So sagt Magdeburgs Hafendirektor Karl-Heinz Erhardt, das Land verfüge mit dem Hafen und dem Wasserstraßenkreuz im Norden, dem Drehkreuz rund um den Flughafen Leipzig/Halle und der Logistik-Wissenschaft drei logistische Pfunde, mit denen man phantastisch wuchern könne. Auch Toralf Weiße, Chef des Logistik-Netzwerkes Leipzig-Halle, das die Kräfte der Branche in der Region bündeln und den Standort weltweit vermarkten will, sieht die Logistik-Forschung in Sachsen-Anhalt „super aufgestellt“. Er wünscht sich, dass noch bekannter würde, an welchen Projekten die Wissenschaftler arbeiten, um Ergebnisse schneller in die Praxis überführen zu können.

Zadek sieht diese Konzentration der Logistik-Forschung in Sachsen-Anhalt weniger als Reflex auf die im Lande wachsende Logistik-Branche. Nach seinen Worten bringt die Wissenschaft vielmehr Vorleistungen, die von den Unternehmen in der Praxis angewendet werden können. „Logistik-Forschung beflügelt die Wirtschaft“, hebt er hervor. „Entscheider sehen, dass hier viel geforscht und ausgebildet wird. Warum sollten sie hier nicht auch investieren?“, fragt er. Dieser Gedankengang werde ja auch schon nachvollzogen, erklärt der 42-jährige Wissenschaftler mit Hinweis auf laufende oder geplante Investitionen von Branchengrößen wie Hermes in Haldensleben, von Rewe, Kühne & Nagel oder Dachser an anderen Stellen. Dabei erweise sich auch als großer Vorteil, dass im Land noch genügend große Flächen vorhanden sind, auf denen investiert werden könne, unterstreicht auch  Zadek Vorzüge des Landes als Logistik-Drehscheibe. 

Als einen Schwerpunkt, der derzeit intensiv an der Universität bearbeitet wird, hebt der Wissenschaftler das Telematik-Labor hervor, das noch in diesem Jahr fertiggestellt wird. Es soll sowohl der Forschung als auch der Lehre dienen. In ihm soll untersucht werden, wie Güterströme in der Stadt intelligent zu bündeln, auszulasten und dynamisch zu steuern sind. Das korrespondiere mit dem Entwicklungslabor des Gallileo-Testfeldes Sachsen-Anhalt, das vor einem Jahr von der Magdeburger Universität im Hafen eingeweiht wurde. Dieses ehrgeizige Projekt wird im Logistik-Konzept der Landesregierung ausdrücklich hervorgehoben. Es wird mit mehreren Millionen Euro gefördert. Es ist das einzige Entwicklungslabor und Testfeld für Ortung, Navigation und Kommunikation in Verkehr und Logistik in Deutschland, hieß es bei seiner Einweihung. Damit können laut Zadek modernste satellitengestützte Anwendungen für die Verkehrs- und Logistikbranche, den öffentlichen Nahverkehr, die Telematik und die funkgestützte Kommunikation im Verkehrsbereich von Unternehmen getestet und weiterentwickelt werden. Langfristiges Ziel sei die Vernetzung der verschiedenen Technologien und zum Beispiel der Aufbau von intelligenten und umweltorientierten Verkehrssystemen für Sachsen-Anhalt. Neu aufgebaut wird derzeit am Institut für Logistik und Materialflusstechnik das Thema Nachhaltigkeit in der Logistik. „Dabei wird die enge Verknüpfung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem untersucht“, sagt Zadek. In der Logistik  verbinde der Begriff „Nachhaltigkeit“ wirtschaftliche Effizienz mit Ressourcenschonung. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehe dabei der Mensch. „Wenn in einem Logistikzentrum alles automatisiert ist, muss das nicht die beste Lösung sei“, beschreibt Zadek die Richtung, in die es künftig gehen soll. Gemeinsam mit der Bundesvereinigung Logistik sei ein Kriterienkatalog erarbeitet worden, der empfiehlt, was bereits bei der Planung beachtet werden muss, um Nachhaltigkeit in der Logistik zu sichern. Das reiche von der Energieerzeugung bis hin zu Baumaterialien, so Zadek. Diese vielen Aktivitäten auf dem Feld der Logistik-Forschung trügen dazu bei, dass sich die Universität Magdeburg weiter als Kompetenzzentrum für innovative Verkehrs- und Logistiksysteme etabliert, erklärt der Logistik-Professor, dessen Institut eng mit solchen Unternehmen wie Continental, Bosch und Volkswagen und anderen zusammenarbeitet.

Dazu solle auch der enge Schulterschluss beitragen, sagt Zadek, den die Forscher mit der Landeshauptstadt hergestellt haben. Der Stadt sei es im vergangenen Jahr gelungen, bei einem Wettbewerb des Bundesforschungsministeriums unter die fünf deutschen Städte zu kommen, die in den kommenden fünf Jahren jeweils eine Millionen Euro erhalten, damit sie ihre Energieeffizienz verbessern. Die Gesellschaft für Wirtschaftsservice Magdeburg GWM begleitet und koordiniert dieses Projekt. Zu ihren über 30 Partnern gehören auch die Otto-von-Guericke-Universität, das ifak Institut für Automation und Kommunikation, das IFF Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automation, die Hochschule Magdeburg Stendal und das Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme. Insgesamt sollen bis zum Jahr 2020 durch eine Vielzahl von Maßnahmen mehr als 50 Prozent des gesamten Energiebedarfs – ohne Verkehr – aus erneuerbaren Energien und der Müllverbrennung gedeckt werden. Beim Verkehr soll durch ein ganzes Maßnahmenbündel und eine innovative Verkehrsmanagementzentrale – in Verbindung mit wesentlich effizienteren Motoren und einem relevanten Anteil an Hybrid- und Elektrofahrzeugen eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 21 Prozent erreicht werden, berichtet Zadek. Insgesamt soll nach Angaben des Fraunhofer-Instituts der CO2-Ausstoß bis 2020 um mindestens zwei Drittel gegenüber 1990 reduziert und der Endenergieverbrauch um 20 bis 25 Prozent gegenüber 2007 gesenkt werden. Nicht nur für die Logistik-Forscher gibt es viel zu tun.

Kontakt

Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Institut für Logistik und Materialflusstechnik

Lehrstuhl für Logistik

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Hartmut Zadek

Tel. + 49 (0) 391 6718604

Fax: + 49 (0) 391 6712646

E-Mail: zadek.ignore@ovgu.de

www.ilm.ovgu.de

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