Die Holler-Frau aus der Börde

„Die Schönheit der Hohen Börde erschließt sich auf den zweiten Blick“, sagt die Malerin Ursula Duchrow. Die gebürtige Magdeburgerin und Weltenbummlerin weiß, wovon sie redet. Nachdem sie unter anderem in Spanien und Luxemburg gelebt hat, fand sie in den 1990er Jahren zurück und in kleinen Ort in der Nähe von Magdeburg – Niederndodeleben - ihre Oase unter dem vielbesungenen „Hollerbusch“. „Mit dem Blick von außen habe ich erkannt, wie schön es hier ist“, sagt sie. Als Mitglied im Landfrauenverband möchte sie ihr Wertgefühl für diese Region weiter geben – sowohl an jene, die hier leben, als auch an jene, die zu Besuch kommen.

Ursula Duchrow stellt zum Kaffee eine Holunder-Süßspeise auf den Tisch. Spätestens dann ist sie bei ihrem Lieblingsthema.Wenn der Besuch nicht schon vorher neben der Eingangstür an einem ihrer Großbilder stehen geblieben ist. Darauf blüht der Hollerbusch zu jeder Jahreszeit.

Wie die Zuckerrübe ist auch der Holunder mit dem fruchtbaren Bördeboden verwurzelt. Ursula Duchrow selber würde es sicher von sich weisen: Aber eigentlich ist sie es, die den Holunder zum Aushängeschild für die Region gemacht hat. „Märchen, Mythen und Legenden, ja auch neueste wissenschaftliche Forschungen ranken sich um den Holunder. Von dessen Wurzel bis zur Beere ist alles verwertbar“, sagt sie. „Bei uns in der Börde wächst er vor jeder Haustür!“ Da müsse doch etwas Identifikationsstiftendes draus zu machen sein, dachten sich ein paar Gleichgesinnte und gründeten vor einigen Jahren den Verein „Holunderbund“. 2007 eröffneten sie ihr „Holunder-Kontor“, das weltweit erste kulturgeschichtliche Informations- und Dokumentationszentrum, das sich mit dem Holunder befasst. Immerhin würden die aufgeschriebenen Geschichten über dieses Gewächs 2500 Jahre zurück reichen, hat die Künstlerin erforscht.

Und sie hat „Holli Holler“ erfunden. Die Holunderbeere aus der Magdeburger Börde erzählt aus ihrem Jahrtausende alten Schatz von Geschichten aus der Familie des Sambucus nigra, des schwarzen Holunders. „Das Schöne ist: Jeder Zuhörer kann eine eigene Geschichte beisteuern. Den Holunder kennt jeder“, ist Ursula Duchrow belustigt. Weil Essen und Trinken nicht nur Leib und Seele, sondern auch die menschliche Gemeinschaft zusammen halten, lud der Holunderbund 2007 zum ersten Holunderblütenfest mit allerlei Gaumengenüssen ein. Inzwischen ist es zur jährlichen Tradition geworden.

Den Bekanntheitsgrad des Holunders ausnutzend hat sich die Landfrauengruppe in der Hohen Börde den Namen „Holli Holler“ gegeben. „Wir waren zur Gründung acht, jetzt sind wir 40 Mitglieder – von Müttern mit kleinen Kindern bis zur 80-Jährigen“, sagt Ursula Duchrow. Was sie alle generationsübergreifend verbindet? „Die Lebenslust. Wir erfreuen uns an unserer Landschaft, an den Schätzen der Natur. An der Wiederentdeckung, auch am Neuerfinden von Traditionen. Wir sind uns sympathisch.“

Es habe wohl etwas mit dem Alter zu tun, dass ihr die zwischenmenschlichen Beziehungen immer wertvoller werden, meint Ursula Duchrow. Sie ist in diesem Jahr 60 geworden, hat zwei Söhne und sechs Enkelkinder. Und hat sich zu jeder Zeit als wahre Lebenskünstlerin bewiesen. Immer angetrieben von dem Willen, das Beste zu machen aus der jeweiligen Situation.

„Sterben, ohne Paris gesehen zu haben, das war zum Beispiel für mich als junge Frau ein großer Kummer“, sagt sie lachend und erzählt von ihrem Leben zu DDR-Zeiten. Was heute ein „Designer“ ist, nannte sich damals „Gebrauchswerbegestalter“ und war ihr Beruf. Was sie in ihrer kleinen privaten Autoglaserei als „mitarbeitende Ehefrau“ gemacht hat, würde man heute als Managerin bezeichnen. Und worin sie Perfektion erlangt hat, heißt jetzt Networking: Aufbau und Pflege von persönlichen und beruflichen Kontakten.

Was ihr jenes Land nicht bieten konnte, war Weltoffenheit. Kurz bevor sich die deutsch-deutsche Grenze öffnete, hatte sie die DDR verlassen. Und hat die Freiheit genutzt, um ein bisschen „die verpasste Hippiezeit“, wie sie sagt, nachzuholen. Sie lacht und spricht dann ernsthaft von einer wertvollen Erfahrung: „Ganz ohne materiellen Besitz muss man niemandem mehr etwas vormachen. Dann zählt nicht, was man ist, sondern wer man ist.“

Spanien, Luxemburg, Indien – ihre Aufenthalte in diesen Ländern waren länger, intensiver als ein Besuch. Die Rückkehr war aus familiären Gründen notwendig.

Wieder zu Hause, hatte sie eine andere Wahrnehmung von ihrem Heimatland. „Ich musste mich in der Fremde umschauen dürfen, um bewusst und vor allem liebevoll wahrnehmen zu können, wie schön es zu Hause ist“, sagt Ursula Duchrow.

Die Besonderheiten ihrer Heimat möchte sie weiter vermitteln und regt entsprechende Projekte an. Ein „Holunderradwegenetz“ gehört dazu, auch die (aus Mitteln des EU-Leaderprogrammes geförderte) Einmach- und Schauküche im Holunder-Kontor. Hier wird zu allerlei Köstlichem wie auch Heilsamem verarbeitet, was auf einer 1.000-Quadratmeter-Wiese bei Brumby blüht und reift. 2007 wurde die Holunderplantage mit Kulturholundersorten aus England, Dänemark, Österreich und Deutschland angepflanzt. Sie eröffnet Betätigungsfelder, in denen sich dann auch die Landfrauen wieder kreativ einbringen und die gemeinsame Arbeit mit gemeinsamen Festen krönen können.

 

Autorin (Text/Foto): Kathrain Graubaum

BU: Die Malerin und Holunder-Expertin Ursula Duchrow hat das Maskottchen Holli Holler erfunden. Die Landfrauengruppe aus der Hohen Börde trägt deren Namen.

Kontakt:
Ursula Duchrow
August-Bebel-Straße 14
39167 Niederndodeleben
Tel.: 039204/66258
info.ignore@holli-holer.de
www.holli-holler.de

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